Putins neue Strategie stellt Selenski vor riesige Probleme
Jetzt erobert Russland in Rekord-Tempo ukrainische Gebiete

Knapp zwei Wochen vor den russischen Präsidentschaftswahlen läufts grad rund für Wladimir Putin. Seine Truppen rücken in der Ukraine so rasch vor wie zuletzt im Januar 2023. Das hat mehrere Gründe.
Publiziert: 06.03.2024 um 12:03 Uhr
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Aktualisiert: 06.03.2024 um 15:45 Uhr
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Samuel SchumacherAusland-Reporter

Es läuft nicht gut für die Ukraine am Ende des dritten Kriegswinters. Nach der Eroberung der strategisch wichtigen Kleinstadt Awdijiwka vor knapp zwei Wochen rücken Wladimir Putins (71) Truppen überraschend schnell weiter vor. Allein im Februar haben die russischen Invasoren ein Gebiet von 138 Quadratkilometern eingenommen. Das ist knapp so gross wie Liechtenstein – und so viel Landmasse, wie die Russen zuletzt Anfang 2023 in einem Monat erobern konnten. Die Gründe für den Erfolg sind vielfältig – und überraschend.

Die USA blockieren noch immer weitere Hilfslieferungen. Die Ukraine muss extrem sparsam mit ihrer Munition umgehen. Und das baldige Frühlings-Tauwetter, das die Böden im ukrainischen Osten einmal mehr in unpassierbare Schlammlandschaften verwandeln wird, dürften die siegeshungrigen Kriegstreiber im Kreml ebenfalls weiter anspornen. Weitere Erfolgsmeldungen – und seien sie mit noch so viel russischem Blut errungen – kommen Putin kurz vor den russischen Präsidentschaftswahlen am 17. März gerade recht.

Noch ein Faktor aber macht den russischen Wintersturm zu Beginn des dritten Kriegsjahres bislang so gefährlich: Alte sowjetische Bomben, die in russischen Werkstätten mit modernen Navigationssystemen und Gleit-Finnen ausgestattet werden.

Bald beginnt das Frühlings-Tauwetter, während dem sich die ukrainischen Böden in unpassierbare Schlammlandschaften verwandeln.
Foto: Getty Images
Russische Gleitbombenangriffe drängen die ukrainischen Truppen derzeit täglich weiter zurück.
Foto: IMAGO/ABACAPRESS
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Putins neue Luftkriegsstrategie

Die mit bis zu 1000 Kilogramm Sprengstoff bepackten Todesbringer fliegen bis zu 30 Kilometer weit und sind für die ukrainische Luftabwehr wegen ihrer geringen Flugzeit äusserst schwer zu stoppen. Egor Sugar, Soldat in der Dritten Sturmbrigade einer ukrainischen Eliteeinheit, beschreibt die Wirkung der russischen Gleitbomben auf X folgendermassen: «Sie zerstören jedes Ziel komplett. Wo zuvor Häuser standen, sind nach dem Einschlag nur noch Gruben.»

Abgefeuert werden die Gleitbomben von russischen Kampfjets. Putin setzte seine Fliegerstaffeln bis auf die intensive Phase ganz zu Beginn des Krieges zuletzt sehr sparsam ein. In den vergangenen Wochen aber stellen die Experten des amerikanischen Instituts für Kriegswissenschaften eine erhöhte russische Risikobereitschaft bezüglich der Kampfjets fest. «Russland scheint bereit, mehr Flieger zu verlieren, um Gleitbomben-Angriffe fliegen zu können», schreibt das Institut in einer Einschätzung vom 3. März.

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Tatsächlich gelang es den Ukrainern, alleine vergangene Woche sieben russische Jets abzuschiessen. Die Gleitbomben-Kampagne aber wirkt. «Die Russen werden richtig aufmüpfig», sagt ein anonym bleibender ukrainischer Front-Soldat gegenüber Blick. Zuletzt nahmen die Russen auch Ziele in den bis anhin einigermassen verschonten Donbass-Städten Kostjantyniwka und Tschassiw Jar ins Visier. Sollte es den Russen gelingen, diese Städte einzunehmen, wäre das nach dem Fall von Awdijiwka ein weiterer Grosserfolg für Putin.

Expertin sagt: Putin so zuversichtlich wie lange nicht mehr

Dara Massicot, Russland-Expertin bei der amerikanischen Carnegie-Stiftung für Internationalen Frieden, deutet die jüngsten Gleitbomben-Angriffe als Zeichen der russischen Zuversicht. «So kurz vor den Wahlen würde der Kreml nichts tun, das schiefgehen könnte», schreibt Massicot in einer aktuellen Einschätzung.

Die Ukraine selbst setzt seit einiger Zeit ebenfalls auf Gleitbomben aus französischen Waffenschmieden. Und sie kann damit rechnen, ab Juni mit von Dänemark gelieferten F-16-Kampfjets endlich ein probates Gegenmittel gegen die russischen Gleitbomben-Flieger zu haben. Die Durststrecke bis dahin wird für das geschändete Land noch einmal unendlich hart.

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