Rundumschlag des Wagner-Chefs
Prigoschin wettert über den «Grossvater» – meint er Putin?

Wagner-Boss Prigoschin hat keine Lust mehr – auf Krieg, auf fehlende Munition und auf Putin. Der Kremlchef reagiert bislang nicht auf die Kritik.
Publiziert: 10.05.2023 um 17:34 Uhr
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Chiara SchlenzAusland-Redaktorin

Wagner-Boss Jewgeni Prigoschin (64) greift in einem Telegram-Video Kremlchef Wladimir Putin (70) ausgerechnet am Dienstag, am russischen «Tag des Sieges», an. Zu wenig Munition, schlecht ausgebildete Soldaten und ein drohender Abzug aus Bachmut – 27 Minuten lang echauffierte er sich über die Lage in der Ukraine.

«Der Fisch stinkt vom Kopf», meinte er. Er sprach auch von einem «glücklichen Grossvater», der «denkt, er tue Gutes». Dann fragte sich Prigoschin, was aus Russland werde, wenn dieser «Grossvater» sich als «komplettes Arschloch» entpuppe. Auch wenn der Wagner-Boss Putin nicht namentlich nannte – die Vermutung, dass er gemeint war, ist naheliegend.

In dem Video greift Prigoschin auch das Verteidigungsministerium Russlands an. «Unsere Feinde sind heute nicht die Streitkräfte der Ukraine, sondern ein russischer Bürokrat.» Gemeint ist womöglich der Verteidigungsminister Sergei Schoigu (67).

Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin stichelt in einem 27-minütigen Video gegen das russische Verteidigungsministerium. Es fehle an Munition.
Foto: Jewgeni Prigoschin / Telegram
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«Die Leute ziehen selbst ihre Schlüsse»

Am Mittwoch rudert Prigoschin auf Telegram etwas zurück. Mit «Grossvater» habe er eine Vielzahl von Personen aus dem russischen Militärkomplex gemeint haben können. Laut Quellen aus dem Kreml, mit denen das russische Exil-Portal Meduza gesprochen hat, kauft man Prigoschin diese Ausrede nicht ab. «Natürlich kann er später sagen, dass er damit Schoigu oder sonst jemanden gemeint hat. Aber die Leute ziehen ihre Schlüsse selbst», wird eine anonyme Quelle im Bericht zitiert.

Laut dem Institute for the Study of War (ISW), einer US-Denkfabrik, ist es nicht das erste Mal, dass Prigoschin hochrangige Politiker angegriffen hat. So deutlich hat sich der Wagner-Boss aber noch nie ausgedrückt.

Putin äussert sich nicht – und zeigt damit Schwäche

Putin hat bislang aber weder auf Prigoschins persönliche Attacken, noch auf den Vorwurf der schlechten Militärführung reagiert. Laut «Kyiv Independent» habe Kremlsprecher Dmitri Peskow (55) lediglich gemeint, dass man im Kreml das Video gar nicht gesehen habe.

Der US-Historiker Sergey Radchenko (73) vermutet auf Twitter: «Wenn Putin darauf nicht reagiert, wissen wir, dass er am Ende ist. Man kann den Zaren nicht einfach so herausfordern und überleben.» Auch das ISW stellt ähnliche Vermutungen an. Laut deren Bericht könnte eine ausbleibende Reaktion auf die Videobotschaft die Gerüchte um Putins fehlenden politischen Rückhalt bestätigen.

Dass Putin nicht reagiert, hat auch einen pragmatischen Grund: Man möchte Prigoschin und seine Männer nicht weiter verärgern. Schliesslich hat der Kampf um Bachmut – wo die Wagner-Söldner eine wichtige Rolle spielen – gezeigt: Ohne die Söldnertruppe ist die russische Armee nicht in der Lage, die Fronten zu halten.

Ist Prigoschin zu abhängig vom Kreml?

Aber auch wenn Prigoschin unzufrieden ist mit der Lage an der Front: Die Wagner-Truppe wird ihre Stellung vorerst nicht verlassen – auch wenn Prigoschin noch vor wenigen Tagen angekündigt hatte, seine Truppen wegen der schlechten militärischen Versorgung am Mittwoch aus Bachmut zurückzuziehen.

Obwohl seine Drohung, Bachmut zu verlassen, keine Reaktion des Kremls hervorgerufen hat, wird er seine Truppen nun dort behalten. Denn dem Wagner-Boss wurde nach eigenen Aussagen mit «Vergeltung» gedroht, sollte er seine Pläne wahr machen. Die ISW-Experten halten ausserdem fest, dass Prigoschin dafür zu abhängig vom Kreml und dessen Gelder sei.

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