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Russlands Kriegsökonomie
Tod des Mannes an der Front wird zur lukrativen Vorsorge für eine Familie

Russland versucht mit hohen Geldsummen, Freiwillige an die Front zu locken. Besonders in ärmeren Provinzen ist der Tod eines Mannes im Krieg zur effizientesten Vorsorge für Familien geworden.
Publiziert: 22.09.2024 um 03:36 Uhr
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Aktualisiert: 22.09.2024 um 09:07 Uhr

Kurz zusammengefasst

  • Russland Todesökonomie verändert das Land
  • Freiwillige werden mit hohen Summen an die Front gelockt
  • Tod des Mannes im Krieg beschert Familien lukrative Vorsorge
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
Rekruten nehmen an einer Eideszeremonie im Moskauer Siengesmuseum teil.
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Russland sucht händeringend nach freiwilligen Soldaten, um eine Mobilmachung für die Front in der Ukraine zu vermeiden. Und die verlockenden Geldsummen wirken durchaus. Vor allem in den ärmeren Provinzregionen, aus denen die meisten Freiwilligen kommen, locken sattes Geld und hohe Entschädigungen für Hinterbliebene.

Zum ersten Mal seit der Strelizen-Armee im 17. Jahrhundert lässt sich als Soldat in Russland wieder so gut verdienen wie in einem Zivilberuf, ja sogar deutlich besser. Soldaten wird so viel Geld versprochen, dass der Tod eines Mannes im Krieg zur effizientesten Vorsorge für eine Familie geworden ist.

Der Staat muss tief in die Tasche greifen, weil er nicht auf den Patriotismus seiner Männer bauen kann. Die wollen Geld für den Gang an die Front. Die Kosten für Vertragssoldaten sind zu einer ökonomisch relevanten Grösse geworden, die Russland prägt.

105'000 Franken für den Tod an der Front

Die Stadt Moskau etwa bietet mittlerweile bereits umgerechnet rund 18'000 Franken Einstiegspauschale für freiwillige Soldaten. Dazu kommen einmalig 3800 Franken vom Staat. Mit allen Zulagen kann ein Moskauer Soldat so 49'000 Franken im Jahr verdienen. Sattes Geld für ein Land, wo selbst in der reichen Hauptstadt ein Fünftel davon schon als gutes Jahresgehalt gilt.

Trotz des starken Zuwachses an Freiwilligen wird der Regierungsplan bei weitem nicht eingehalten. Die Anwerbungen reichen nicht aus, um die Verluste an der Front auszugleichen. Dort befinden sich laut dem russischen Präsidenten Wladimir Putin (71) etwa 700'000 Soldaten. Gerade weil der Staat nicht auf den Patriotismus seiner Männer bauen kann, muss er sie mit Geld locken.

Verwundete erhalten eine Entschädigung von umgerechnet 28'500 Franken. Im Todesfall bekommen die Hinterbliebenen maximal 105'000 Franken Kompensation. «Jedes menschliche Leben ist unschätzbar, jedes», sagte Putin im März 2024 in einem Interview. Doch Berechnungen zeigen, dass ein russisches Leben deutlich weniger wert ist.

«Effizienteste Vorsorge für eine Familie»

«Es ist zynisch, aber der Tod des Mannes ist zur effizientesten Vorsorge für eine Familie geworden», sagte der russische Ökonom Wladislaw Inosemzew (55) der Zeitung «Die Welt». Ähnlich äussert sich der russische Militärexperte und Politdozent Pavel Luzin (38): «Sie verkaufen ihr Blut im Tausch gegen Geldsummen, die sie mit ihrer Arbeit und ihrer Kreativität im Rahmen des jetzigen Systems nie verdienen könnten.»

Die Ausgaben für lebende und tote Soldaten sind ein wesentlicher Motor für die Wirtschaft. Russland erlebt eine Todesökonomie, die das Land verändert. Seit Kriegsbeginn beklagt es etwa 600'000 Verwundete und Tote, davon 200'000 Gefallene, schätzen westliche Geheimdienste. «Wir haben die Namen von 70'112 in der Ukraine getöteten russischen Soldaten identifiziert», berichtete die britische BBC diese Woche. Die tatsächliche Zahl dürfte jedoch deutlich höher liegen.

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Noch mehr Soldaten für Putin

Putin hat nun verfügt, die russische Armee um 180'000 Soldaten auf 1,5 Millionen aktive Soldaten aufzustocken. Damit würde sie nach der chinesischen zur zweitgrössten Armee der Welt. Der Grossteil der Vertragssoldaten wird wohl weiter aus der tiefen und ärmeren Provinz kommen, wo die Aussicht auf schnelles Geld am verlockendsten ist.

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