Foto: DUKAS

Schweizer Botschafter in Ostberlin malte Schreckensszenario zur Wiedervereinigung
«Ab jetzt werden die DDR-Leute verdrängt»

Am Samstag feiern die Deutschen den Fall der Berliner Mauer, der knapp ein Jahr darauf zur freudigen Wiedervereinigung führte. Der damalige Schweizer Botschafter in der DDR war weniger optimistisch, wie sein nun freigegebener vertraulicher Abschiedsbericht zeigt.
Publiziert: 07.11.2019 um 22:44 Uhr
Kurz vor dem Mauerfall: Botschafter Franz Birrer (r.) mit Künstler Max Bill an einer Ausstellung am 20. September 1989 in Ostberlin.
Foto: Keystone
1/13
Guido Felder

Am Samstag vor 30 Jahren fiel die Mauer in Berlin. Ein historischer Freudentag für die Bevölkerung. Er leitete die Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten ein, die knapp ein Jahr später am 3. Oktober 1990 vollzogen wurde.

Die Schweiz unterhielt in der DDR seit 1973 eine Botschaft, die im abgeschirmten Ostberliner Diplomatenviertel in einem dreigeschossigen Standardbau des Typs «Pankow» einquartiert war. Der letzte Botschafter, der den Mauerfall und anschliessend die Auflösung der DDR miterlebte, war der inzwischen 87-jährige Entlebucher Franz Birrer.

Vertrauliches Dossier – aufgesetzt am Tag vor der Wiedervereinigung

Birrer schrieb am 2. Oktober 1990, am Tag vor der Wiedervereinigung Deutschlands, den siebenseitigen Bericht «Adieu, DDR!», den er als «vertraulich» deklarierte. Das Schreiben beginnt mit dem Satz: «Heute geht die Geschichte des Staates DDR zu Ende. Die DDR wird der Bundesrepublik Deutschland ‹beitreten› und damit von der politischen Landkarte verschwinden.»

Der damalige Botschafter schien grosse Zweifel an einer erfolgreichen Zusammenführung der beiden deutschen Staaten gehabt zu haben. So fragte er kritisch: «Wird der neue Staat Heimat, ja ein Zuhause für alle Deutschen werden können?»

Das Tempo der Wiedervereinigung hielt Birrer für bedenklich und überstürzt. Für die Ostdeutschen malte er ein Schreckensszenario. Zitat: «Sie ist nicht eine Vereinigung, sondern eine Einvernahme der DDR durch die BRD, was u.a. daran zu erkennen ist, dass ab morgen westdeutsche Beamte, Richter, Wirtschaftsführer etc. in dieses Land ‹einmarschieren› und die DDR-Leute verdrängt werden.»

Kritik an Schweizer Sicht der Dinge

Das vertrauliche Schreiben – die Schutzfrist für Akten des Bundes beträgt normalerweise 30 Jahre – ist nun frühzeitig öffentlich zugänglich gemacht und in die Sammlung der Diplomatischen Dokumente der Schweiz (Dodis) aufgenommen worden. Grund für die frühzeitige Veröffentlichung ist die Publikation «When the Wall Came Down», in der 63 Dokumente die Wahrnehmung der internationalen Diplomatie zum Fall der Mauer und der Wiedervereinigung beleuchten.

Seine freundliche Haltung gegenüber der DDR hat Franz Birrer Kritik eingetragen. So schrieb der «Spiegel» 2017 nach Veröffentlichung des Buches «Die DDR aus Sicht schweizerischer Diplomaten» von einem «irritierenden Verständnis» Birrers für den SED-Staat. Birrer habe nach Bern berichtet, die Zahl der politischen Häftlinge sei «gering», das Kulturleben geprägt von «grosser Freizügigkeit» und die alte Garde um DDR-Chef Erich Honecker (1912–1994) «guten Glaubens und Willens, eine neue und bessere Gesellschaft aufzubauen».

Auch der Buchautor, der deutsche Historiker Bernd Haunfelder (68), wundert sich über Birrers Einstellung. Vor seinem Stellenantritt hätten die Schweizer Botschafter in Ostberlin die Schwächen ihres Gastlandes offen angesprochen. Mit Birrer, so schreibt Haunfelder, habe die Berichterstattung nach Bern «an kritischer Distanz» verloren.

Birrer wehrt sich

Birrer kann diese Vorwürfe nicht verstehen, wie er dem BLICK auf Anfrage sagt. Er erzählt, wie nach dem 9. November 1989 die Visa-Anträge «explosionsartig» zugenommen hätten und die DDR-Bürger schon ab 6 Uhr morgens vor der Botschaft Schlange gestanden seien. Birrer rechtfertigt sich: «Ich war damals mit solchen kritischen Gedanken zum Tempo der Wiedervereinigung nicht allein. Auch Staatschefs wie François Mitterrand und Margaret Thatcher äusserten sich dazu zurückhaltend.»

Vor 30 Jahren fiel die Mauer

Der 9. November 1989 ist nicht nur in deutschen Geschichtsbüchern ein wichtiges Datum. Es ist der Tag, an dem nach 28 Jahren, 2 Monaten und 28 Tagen die Berliner Mauer fiel. Der Tag, der die beiden deutschen Staaten BRD und DDR wiedervereinte – der Tag, der die ganze Welt veränderte.

Die Grenzöffnung kam überraschend und ist auf einen Irrtum von Günter Schabowski (1929–2015), Mitglied des kommunistischen Zentralkomitees, zurückzuführen. Am 9. November wollte er die DDR-Medien über eine neue, erleichterte Reiseregelung informieren. Nur war Schabowski entgangen, dass die Details der Regelung erst am 10. November hätten veröffentlicht werden dürfen, denn längst waren nicht alle Stellen informiert.

Und so antwortete er vor laufenden Kameras auf die Frage eines italienischen Journalisten, ab wann die neue Regelung denn gelten würde, mit den Worten: «Das tritt nach meiner Kenntnis … ist das sofort, unverzüglich.» Die Presse sprach von «Grenzöffnung», die Massen nahmen Schabowski beim Wort und schritten zur Mauer. Nur wenig später lagen sich Ost- und Westdeutsche weinend in den Armen.

Der 9. November 1989 ist nicht nur in deutschen Geschichtsbüchern ein wichtiges Datum. Es ist der Tag, an dem nach 28 Jahren, 2 Monaten und 28 Tagen die Berliner Mauer fiel. Der Tag, der die beiden deutschen Staaten BRD und DDR wiedervereinte – der Tag, der die ganze Welt veränderte.

Die Grenzöffnung kam überraschend und ist auf einen Irrtum von Günter Schabowski (1929–2015), Mitglied des kommunistischen Zentralkomitees, zurückzuführen. Am 9. November wollte er die DDR-Medien über eine neue, erleichterte Reiseregelung informieren. Nur war Schabowski entgangen, dass die Details der Regelung erst am 10. November hätten veröffentlicht werden dürfen, denn längst waren nicht alle Stellen informiert.

Und so antwortete er vor laufenden Kameras auf die Frage eines italienischen Journalisten, ab wann die neue Regelung denn gelten würde, mit den Worten: «Das tritt nach meiner Kenntnis … ist das sofort, unverzüglich.» Die Presse sprach von «Grenzöffnung», die Massen nahmen Schabowski beim Wort und schritten zur Mauer. Nur wenig später lagen sich Ost- und Westdeutsche weinend in den Armen.

Mehr
Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?