Tausende Tote wurden in Mariupol behelfsmässig begraben
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Friedhof in Mariupol:Tausende Tote wurden in Mariupol behelfsmässig begraben

Schweizer Mediziner fordern, «bei Flüchtlingen wachsam» zu sein
Erste Cholera-Fälle im zerbombten Mariupol

In der zerstörten Stadt Mariupol sind erste Cholerafälle aufgetaucht. Schweizer Mediziner warnen vor einer Verschleppung und vor weiteren Krankheiten, welche die kriegsgeplagten Menschen bedrohen.
Publiziert: 10.06.2022 um 21:14 Uhr
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Aktualisiert: 07.06.2023 um 17:26 Uhr
Guido Felder

Das Leiden in den zerbombten Städten Mariupol und Cherson nimmt kein Ende. In den russisch besetzten Gebieten der Ukraine droht nun der Ausbruch von gefährlichen Krankheiten. Laut Informationen des britischen Verkehrsministeriums, das sich auf Geheimdienste beruft, wurden bereits erste Fälle von Cholera gemeldet.

Cholera ist eine bakterielle Infektion, die zu schweren Durchfällen und Flüssigkeitsverlust führen kann. Die Krankheit kann tödlich verlaufen. Übertragen wird sie meistens durch verunreinigtes Wasser oder verunreinigte Lebensmittel.

In der Ukraine hat es 1995 eine schwere Cholera-Epidemie gegeben und seitdem immer wieder kleinere Ausbrüche, vor allem in der südostukrainischen Region um Mariupol am Asowschen Meer. Nun warnen die Briten: «Die medizinische Versorgung in Mariupol steht wahrscheinlich bereits kurz vor dem Zusammenbruch. Ein grösserer Cholera-Ausbruch in Mariupol wird dies weiter verschärfen.»

Mariupol ist praktisch zerstört.
Foto: AFP
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Hier sollen 20'000 Tote liegen
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Massengrab in Mariupol:Hier sollen 20'000 Tote liegen

Zwei Tage auf bestelltes Wasser warten

Russland ringe zwar darum, der Bevölkerung in den besetzten Gebieten grundlegende Dienstleistungen anzubieten. «Der Zugang zu sauberem Trinkwasser ist unbeständig, Telefon- und Internetdienste weiterhin stark gestört», teil das Verteidigungsministerium mit.

Laut Petro Andriuschenko, Berater des vertriebenen ukrainischen Bürgermeisters, hat die jetzige von Russland eingesetzte Regierung in der Stadt eine Quarantäne verhängt. Um überhaupt Wasser zu erhalten, müssten die Bewohner eine Bestellung abgeben – mit Wartefristen von bis zu zwei Tagen.

Schon Ende April warnten die ukrainischen Behörden davor, dass «tödliche Epidemien in der Stadt ausbrechen können, weil es an einer zentralen Wasserversorgung und Kanalisation mangelt, Tausende Leichen unter den Trümmern verwesen und ein katastrophaler Mangel an Trinkwasser und Nahrungsmitteln herrscht».

Cholera-Übertragung durch Flüchtlinge?

Die Cholera-Meldungen werden in der Schweiz aufmerksam beobachtet. Denn Cholera kann auch verschleppt werden. Peter M. Keller (43), stellvertretender Leiter für Diagnostik am Institut für Infektionskrankheiten an der Uni Bern, antwortet auf Anfrage gegenüber Blick: «Der Erreger der Cholera kann durch symptomatisch erkrankte Personen mit Durchfall oder durch Personen, welche die Erkrankung kürzlich durchgemacht haben, bei Reisen weitergetragen werden. Dies wurde ebenfalls in Verbindung mit dem schweren Erdbebenereignis in Haiti wissenschaftlich untersucht.»

Jan Fehr (49), Departementsleiter Public & Global Health und Arzt an der Uni Zürich, betont, dass es kaum zu einer grossflächigen Ausbreitung über Flüchtlinge ausserhalb des Krisengebietes kommen werde. Fehr: «Dennoch muss man hier wachsam sein, und unser Gesundheitspersonal tut gut daran zu denken, wenn eine Person aus dieser Region mit Durchfall auffällt. Bei Cholerapatientinnen und -patienten besteht die Gefahr in einem rasch einsetzenden Flüssigkeitsverlust, der angegangen werden muss.»

Weitere Krankheiten drohen

Cholera ist nicht die einzige Krankheit, welche die schon kriegsgeplagte Bevölkerung in der Ukraine bedroht. Fehlende Behandlungsmöglichkeiten und Impflücken fördern laut den beiden Medizinern auch die Ausbreitung von Krankheiten wie Typhus, Amöben, Hepatitis A und C, Diphtherie, Covid und HIV.

Ein grosses Thema sei auch die Tuberkulose, die in der Region schon vor dem Krieg häufiger vorkam als bei uns. Fehr: «Bei zunehmender Immunschwäche der Menschen spitzt sich die Lage zu, und es ist von noch mehr Tuberkulosefällen auszugehen.»

Besonders von Krankheiten betroffen sind vorbelastete Menschen. «Selbst die minimalste Gesundheitsversorgung ist kaum mehr gewährleistet», sagt Fehr. Was vorher schon schwierig gewesen sei, werde mit jedem Tag schlimmer.

Und etwas, so Fehr, dürfe nicht vergessen werden: «Selbstredend wird die psychische Gesundheit ein grosses Thema.»

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