Sie sollen lieber beim IS töten
Exportiert Russland seine Terroristen?

Der russische Geheimdienst hat islamistische Kämpfer aus dem Nordkaukasus offenbar nach Syrien und in den Irak geschickt. Dort sollten sie sich dem IS anschliessen – statt in den russischen Teilrepubliken zu töten.
Publiziert: 27.08.2015 um 21:30 Uhr
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Aktualisiert: 10.09.2018 um 23:35 Uhr

Es sind Zahlen, mit denen sich Russlands Präsident Wladimir Putin gerne brüstet: 2014 hat die Anzahl Todesopfer, die Terrorattacken im Nordkaukasus gefordert haben, im Vergleich zum Vorjahr um über einen Drittel abgenommen. Seit 2011 sank die Zahl der Terror-Toten in der Region um die Teilrepubliken Tschetschenien und Dagestan gar um rund die Hälfte.

In der Lesart des Kremls ist die Abnahme auf auf den verstärkten Kampf der Sicherheitskräfte gegen den Terror zurückzuführen. Doch aus Sicht von Experten gibt es einen ganz anderen Grund, der in erster Linie zur Beruhigung im krisengeschüttelten Nordkaukasus geführt hat: der Krieg in Syrien und im Irak. Schätzungen zufolge mehrere Hundert Kämpfer des zersplitterten islamistischen Untergrunds haben ihren Kampf für ein Kalifat in den Mittleren Osten verschoben und sich der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) angeschlossen.

«Lasst sie kämpfen, einfach nicht hier»

Eine aus Sicht Russlands durchwegs positive Entwicklung – der die Regierung allerings nicht nur mit Zufriedenheit zugeschaut, sondern aktiv Vorschub geleistet haben soll. Das haben Recherchen der bekannten kremlkritischen Journalistin Elena Milaschina ergeben, die für die russische Zeitung «Nowaja Gaseta» schreibt. Die US-Nachrichtenplattform «The Daily Beast» hat jüngst ausführlich über ihre Enthüllungen berichtet und weitere Recherchen zum Thema veröffentlicht.

Demnach soll der russische Inlandgeheimdienst FSB islamistischen Kämpfern mit der Schaffung eines «grünen Korridors» die Einreise über die Türkei nach Syrien ermöglicht haben. Die Journalistin Milaschina, die wegen Recherchen über Tschetschenien bereits Morddrohungen erhielt, sprach mit dem Obersten des Dorfes Nowosasitili, aus dem bereits 22 der 2500 Einwohner in den Dschihad gezogen seien. Er kenne einen Mittelsmann, der zusammen mit dem FSB bereits mehrere Führungspersonen des Untergrunds ins Ausland gebracht habe. «Sie wollen kämpfen – lasst sie kämpfen, einfach nicht hier», meint er.

Milaschina gelang es, mit diesem «Verhandler» in Kontakt zu treten. 2012 habe er einem «sehr gefährlichen Mann» geholfen, in die Türkei zu reisen, erzählt er. Der Mann sei vom FSB verdächtigt worden, hinter mehreren Terroranschlägen zu stehen. Der Geheimdienst habe ihm einen Pass organisiert und als Reiseführer agiert. Die Bedingung: Der Terrorist durfte niemandem vom Deal erzählen. Mit fünf weiteren Dschihad-Reisenden soll es zu solchen Vereinbarungen gekommen sein.

Experten sind skeptisch

Auf Nachfrage von «The Daily Beast» sagt Tanya Lokschina von der Menschenrechtsorganisation «Human Rights Watch», sie könne solche Vorwürfe an den Geheimdienst weder bestätigen noch dementieren. Sollte der FSB tatsächlich Islamisten aus dem Nordkaukasus zur Terrormiliz schicken, so würde das wohl auf lokaler, nicht auf nationaler Ebene eingefädelt, meint sie. Sie könne sich vorstellen, dass die Agenten vor Ort ihre Vorgesetzten in Moskau «mit besseren Sicherheitsquoten» beeindrucken wollen. «Es dreht sich alles um Zahlen», sagt sie.

Dass die Anweisung, Terroristen in den Mittleren Osten abzuschieben, vom Kreml kommt, erachten Experten als unwahrscheinlich. «Die Idee, sie aus dem Dorf zu schaffen, macht keinen Sinn», sagt Mike Rogers, ehemaliger US-Abgeordneter und Mitglied des Geheimdienstausschusses des Repräsentantenhauses, zu «The Daily Beast». Schliesslich sei bekannt, dass die IS-Kämpfer ausgebildet werden und irgendwann wieder zurückkehren.

IS kommt innenpolitisch gelegen

Der IS kommt Russland aber auch in anderer Hinsicht gelegen. Im Juni dieses Jahres haben die islamistischen Rebellen des Kaukasus-Emirats der Terrormiliz Gefolgschaft geschworen. Der schwelende Konflikt, der in den vergangenen Monaten in Tschetschenien neu aufflammte, ist damit keine rein innenpolitische Angelegenheit mehr.

Russland sei über den IS-Treueschwur «sehr glücklich», weil er bedeute, dass der Kreml nun dem IS die Schuld für die lokalen Aufstände in die Schuhe schieben könne, statt selbst Verantwortung für die fragile Sicherheitslage im Nordkaukasus übernehmen zu müssen, sagt Joanna Paraszczuk, die sich als Journalistin des vom US-Kongress finanzierten Radios Free Europe mit dem Thema befasst. Aus Sicht des tschetschenischen Herrschers Ramsan Kadyrow – einem engen Vertrauten Putins – stecken hinter dem IS nämlich «westliche Geheimdienste». Feinde, sie sich in Russland und seiner Teilrepublik Tschetschenien politisch deutlich besser ausschlachten lassen. (lha)

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