So gingen Israel-Kommandanten gegen Warnungen vor Hamas-Angriff vor
«Stellen dich vor Kriegsgericht, wenn du Unsinn erzählst»

Die israelische Armee unterschätzte die Gefahr eines Hamas-Angriffs massiv. Neue Erzählungen von Soldaten zeigen, wie die Kommandanten die Meldungen herunterspielten.
Publiziert: 21.11.2023 um 18:23 Uhr
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Aktualisiert: 22.11.2023 um 15:29 Uhr

Nach dem Angriff der Hamas auf Israel stellte sich schnell heraus: Das israelische Militär und der Geheimdienst ignorierten Warnungen vor einem möglichen Angriff über mehrere Wochen.

Laut dem israelischen Nachrichtenportal N12 berichteten Wachen an der Grenze zum Gazstreifen über Wochen von ungewöhnlichen Aktivitäten der Hamas-Terroristen. Die Kommandanten hätten die Warnungen allerdings ignoriert, wird einer der Soldaten in dem Bericht zitiert. So habe einer der Kommandanten gesagt: «Ich möchte nicht noch einmal von diesem Unsinn hören. Wenn du uns noch einmal mit diesen Dingen belästigst, wirst du vor ein Kriegsgericht gestellt.»

Auch seien die Kommandanten überzeugt gewesen, dass es zu keinen Angriffen kommen würde, berichten die Soldaten N12. «Die Hamas sind ein Haufen von Idioten. Die werden gar nichts tun», soll einer der Vorgesetzten gesagt haben.

Israelische Soldaten beobachteten vor dem Hamas-Angriff ungewöhnliche Bewegungen – die Kommandanten ignorierten sie.
Foto: keystone-sda.ch
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«Beobachteten es wie am TV»

In einem weiteren Bericht der «Jerusalem Post» wird einer der Soldaten zitiert, der mit seinem Kommandanten über die «ungewöhnlichen Ereignisse im Gazastreifen» sprach. Dieser habe ihm gesagt, es handle sich dabei um «nichts Aussergewöhnliches», erinnert sich der junge Soldat.

«Wir haben uns die Übungen angesehen, als wäre es im Fernsehen», erinnert sich der Soldat. «Es hat uns Spass gemacht. Die Kommandanten haben das Ereignis nicht ernst genommen, fanden es eher interessant, dass sie Übungen gemacht haben.» Die Soldaten hätten sich darüber ausgetauscht. «Wir dachten uns nur: ‹Scheisse, können wir das wirklich ignorieren? Wird sich das eines Tages rächen, dass wir diesen Mist ignorieren?›»

Funkverkehr nicht überwacht

Eine Recherche der «New York Times» zeigte bereits Ende Oktober, wie der israelische Nachrichtendienst die Gefahr eines Angriffs unterschätzte. So wurde zum Beispiel nicht einmal mehr der Funkverkehr der Hamas abgehört. Der israelische Nachrichtendienst hatte das Abhören bereits ein Jahr vor dem Grossangriff eingestellt, weil die Agenten es für Zeitverschwendung hielten.

Der israelische Militärgeheimdienst und der nationale Sicherheitsrat waren sich seit Mai 2021 einig, dass die Hamas es nicht wagen würde, Israel anzugreifen, weil sie angeblich einen verheerenden Gegenangriff fürchtete.

Und so konnten sich die Hamas-Terroristen in aller Ruhe vorbereiten, Ziele auskundschaften und Kämpfer für die Attacke trainieren. Die israelischen Behörden wiegten sich in Sicherheit und vertrauten auf ihr Luftabwehrsystem und Grenzbefestigungen, um die Hamas in Schach zu halten – ein schwerer Fehler.

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