Sohn des ermorderten Hanns Martin Schleyer trifft RAF-Terroristin
Wie wurde mein Vater hingerichtet, Frau Maier-Witt?

Versöhnung nach 40 Jahren: Der Sohn des 1977 ermordeten deutschen Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer traf eine ehemalige RAF-Terroristin, die damals an der Tat beteiligt war. Die heute in Mazedonien lebende Frau plagen schwere Schuldgefühle.
Publiziert: 30.11.2017 um 21:01 Uhr
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Aktualisiert: 12.10.2018 um 15:39 Uhr
7 Stunden und 40 Minuten lang haben sich die Ex-Terroristin Maier-Witt und Schleyer-Sohn Jörg im mazedonischen Skopje unterhalten.
Foto: Foto: Abdullah Khan/Bildzeitung
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Guido Felder

In Deutschland bricht eine ehemalige Links-Terroristin ihr Schweigen. 40 Jahre nach dem Mord an Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer (†62) meldete sich Silke Maier-Witt (67) am 19. Oktober 2017 per Brief bei Schleyers Sohn Jörg (63). Maier-Witt war Mitglied der Roten Armee Fraktion (RAF), die Schleyer 1977 im «Deutschen Herbst» entführt und ermordet hatte. Maier-Witt bittet Schleyer um Verzeihung. Sie schreibt: «Ich schäme mich sehr.»

Der deutschen «Bild»-Zeitung ist es gelungen, den Sohn des Opfers und die Mittäterin an deren Wohnort in Mazedonien zusammenzubringen. Beim Treffen in einem Hotel in Skopje ging Jörg Schleyer mit ausgestreckter Hand direkt auf die Ex-Terroristin zu und sagte: «Schleyer, guten Abend, Frau Maier-Witt.» Diese erwiderte: «Es klingt so platt. Aber ich möchte einfach erst mal um Verzeihung bitten. Es hilft nicht viel, aber ich denke, ich habe gemerkt, dass ich immer davor ausgewichen bin, mich dem zu stellen.»

Jörg Schleyer überhäufte Maier-Witt mit Fragen, die BLICK in gekürzter Fassung aus der «Bild» wiedergibt.

Jörg Schleyer: Wie waren Sie bei der Entführung meines Vaters involviert? Was war am Tattag Ihre Aufgabe?
Silke Maier-Witt:
Ihr Vater hatte – glaube ich – zwei unterschiedliche Routen zwischen Büro und Wohnung, die er fahren konnte. Wir haben eine der beiden Routen abgecheckt. Wir haben ihn aber nicht gesehen. Erst als wir zurück waren, hörten wir im Radio, dass die Aktion gelaufen war.

Was wussten Sie über die Ausführung?
Ich wusste schon, dass sie da diesen Kinderwagen einsetzen. Den habe ich ja selber gesehen. Und ich wusste, dass darin die Waffen versteckt waren. Aber dass sie die alle ...

Niedermetzeln?
Niedermetzeln ... Es ging dann schon darum, den Wagen zu stoppen. Und dass da geschossen werden würde, war klar.

Welchen Kontakt hatten Sie danach zu dem Teil der Gruppe, der meinen Vater gefangen hielt?
Nachdem Ihr Vater gefangen genommen wurde, keinen mehr. Schon aus Sicherheitsgründen nicht mehr. Weil man sich wegen der Fahndung nicht mehr gut bewegen konnte. Denn jeder, der dann in der Zeit verhaftet worden wäre, hätte irgendetwas ausplaudern können.

Wie haben Sie Kontakt zur Gruppe gehalten?
Über Telefon. Wir haben immer zu verabredeten Uhrzeiten in Kneipen angerufen, mal auch im «Wienerwald».

Was haben Sie über das Verhältnis der Entführer zu meinem Vater erfahren?
Ich kann nur sagen, dass ich glaube, dass im Laufe der Zeit so eine Art von Beziehung aufgebaut worden ist.

Eine Art Stockholm-Syndrom?
In der Länge der Zeit hat sich tatsächlich ein Verhältnis aufgebaut. Wenn ihm naive Fragen gestellt wurden, hat Ihr Vater immer gesagt: «So naiv, wie ihr euch das vorstellt, ist es alles nicht.» Ihr Vater sagte, dass es mit dem Kapitalismus und dem Imperialismus nicht so einfach wäre, wie wir es uns vorstellen. Und er hat dann irgendwie auch fast schon wie in einer belehrenden Art gewirkt.

Wie wurde mein Vater behandelt?
Ich glaube nicht, dass er da fortwährend malträtiert wurde.

Wissen Sie, wie lange er direkt nach der Entführung in der ersten Wohnung in Köln am Renngraben war?
Nein. Ich wusste erst später, dass er in einem grossen Weidenkorb nach Holland und später weiter nach Belgien gebracht wurde. Es wurde Sorge dafür getragen, dass er gar nicht merkt, wo er ist. Auch der Kaffee und so – dass er denkt, er wäre noch in Deutschland.

Waren Sie die ganze Zeit in Düsseldorf?
Nein. Erst war ich in Düsseldorf, dann war ich in Mannheim. Später kam ich mit Rolf Clemens Wagner in Kontakt. Es war wirklich sehr schwierig in der Zeit, sich zu bewegen. Ich war dann in Mannheim alleine in einer Wohnung. Von dort aus habe ich dann die Erklärung zur Entführung der «Landshut» verbreitet.

Was passierte dann?
Als die «Landshut» gestürmt wurde, war ich mit Sieglinde Hofmann in Frankfurt. Die Wohnung wurde aufgelöst, die wäre nach der Fahndung auf jeden Fall bekannt geworden. Da habe ich Sieglinde Hofmann gefragt, warum Schleyer denn nicht freigelassen werden könnte. Da sagte sie: «Der kennt doch alle viel zu gut.»

Wenn die Gefangenen in Stammheim nicht Selbstmord begangen hätten – hätte das eine andere Konsequenz für meinen Vater gehabt?
Ich weiss es nicht. Es hat ja auch innerhalb der Gruppe Leute gegeben, die nicht glauben wollten, dass die Gefangenen Selbstmord begangen haben.

Aber wenn man spekulieren würde? Hätte mein Vater überlebt, wenn es die Selbstmorde in Stammheim nicht gegeben hätte?
Ich glaube nicht. Ich glaube, das war ja auch eben eine riesige Niederlage. Nein, ich glaube nicht, dass es möglich gewesen wäre. Leider nicht.

Sie haben am 18. Oktober 1977 die Nachricht erhalten, dass mein Vater hingerichtet wurde. Wissen Sie noch, von wem Sie diese Information bekommen haben?
Wir hatten bestimmte Gaststätten, in der ich dann sass, und dann kam der Telefonanruf. Von Rolf Clemens Wagner. Die waren in Frankreich, und da habe ich dann auch die Nummer von «Libération» bekommen und den Text.

Wie hat mein Vater die letzten Stunden vor seinem Tod verbracht?
Das weiss ich nicht.

Auch nicht die letzten zehn Minuten ...?
Nein. Das muss schrecklich gewesen sein.

Das treibt uns ja am meisten um. Die Art der Hinrichtung.
Mir hat einer gesagt, dass wir davon ausgegangen sind, dass wir nie wieder so etwas wie Hitler wollten – und dann selber auch zu solchen Mitteln wie einem Genickschuss gegriffen haben. Also wirklich so die Art und Weise – uaah. Auf jeden Fall sind es ja wohl zwei Leute, die daran beteiligt waren. Heissler schliesse ich irgendwie aus. Aber ich kann es auch nicht völlig ausschliessen. Ich glaube nicht, dass sich da jemand darum gedrängt hat.

Und welche Rolle spielte Wisniewski?
Wie gesagt, könnte sein. Heissler könnte sein. Ich weiss nicht, ob Klar auch dabei war. Ich weiss es nicht.

Wenn Sie sagen, es hätte sich eine Beziehung aufgebaut – kann es denn dann überhaupt sein, dass jemand am Schluss gesagt hat: Ich erschiesse ihn trotzdem.
Da wäre ich mir nicht so sicher. Weil da irgendwie so etwas war wie: Was gemacht werden muss, das muss gemacht werden.

Das ist das Ziel.
Ja. Und wenn das nun einmal so ist, dann macht er das auch, der «gute Revolutionär». Wenn moralische Kriterien eine Rolle gespielt hätten, dann wäre das Ganze ja gar nicht erst gemacht worden. Ich kann zu mir sagen, dass es auch mir gelungen ist, erfolgreich alle Regungen, die dem entgegengestanden hätten, zu unterdrücken, und irgendwie auch darin zu funktionieren.

Wir fragen uns immer, wie viel Angst unser Vater vorher ertragen musste. Hatte er sich darauf vorbereiten können? Sie sprachen ja vorhin selbst von den Exekutionen unter Hitler, die im Dritten Reich stattgefunden haben. Wo die Menschen an den Gräbern standen. Die Bilder kennen wir ja leider alle ...
Ja, genau!

Es wäre ja auch denkbar, dass er noch eine Nachricht hinterlässt – für seine Ehefrau oder seine vier Söhne.
Ich glaube nicht, dass sie ihm gesagt haben: «Okay, wir werden dich jetzt erschiessen.» Ich glaube, dass man eher gesagt hat: «Wir müssen noch mal umziehen.»

Aber verstehen Sie, was ich meine?
Ich verstehe, was Sie meinen. Bestimmt haben sie ihm die Informationen vorenthalten, dass es jetzt final wird.

Musste er sich hinknien? Wurde er exekutiert? Oder wurde er heimlich von hinten erschossen?
Ich denke mir, hinterrücks.

Sieben Stunden und 40 Minuten redeten die beiden laut «Bild» miteinander. Silke Maier-Witt hatte zum Gespräch eingewilligt, weil sie sich «endlich der Verantwortung» stellen wollte. Anschliessend gaben sich die beiden die Hand und baten, den Kontakt aufrechtzuerhalten. Jörg Schleyer verabschiedete sich mit: «Nichts für ungut.» Maier-Witt hatte Tränen in den Augen.

Der Sohn des Opfers will alles über die Ermordung seines Vaters wissen. Er bittet den deutschen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier (61), die bisher unter Verschluss gehaltenen Akten freizugeben.

Erst dann werden Jörg Schleyer und seine Familie mit der Vergangenheit abschliessen können.

Hanns Martin Schleyer in den Fängen der Linksterroristen: Er wurde von der RAF schliesslich hingerichtet.
Foto: AFP
Der Fall Schleyer war der Anfang des «Deutschen Herbsts»

Der «Deutsche Herbst» steht für eine der schwersten Krisen von Nachkriegsdeutschland. Im September und Oktober 1977 verübte die Terrorgruppe Rote Armee Fraktion (RAF) mehrere Anschläge.

Am 5. September 1977 überfielen RAF-Mitglieder den Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer (†62) in Köln (D). Sie erschossen den Fahrer und drei Polizisten. Sie entführten Schleyer, um die Freilassung von elf RAF-Häftlingen zu erzwingen. Weil Bundeskanzler Helmut Schmidt (†96) nicht nachgab, versuchten mit der RAF befreundete Terroristen der Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP) den Druck mit der Entführung der Lufthansa-Maschine Landshut zu erhöhen. Sie ermordeten den Piloten Jürgen Schumann, worauf die deutsche Sondereinheit GSG 9 in Mogadischu den Flieger stürmte und die 86 Geiseln befreite.

Nur wenige Stunden später begingen die in Stuttgart-Stammheim inhaftieren RAF-Terroristen Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe Selbstmord. Als Reaktion auf die Stürmung des Flugzeugs und den Tod der Anführer wurde der vierfache Vater Hanns Martin Schleyer von seinen Entführern erschossen. Seine Leiche wurde am Abend des 19. Oktobers 1977 im Kofferraum eines Audi 100 in Mülhausen (F) gefunden.

Von den 20 identifizierten Tätern wurden 17 gefasst und verurteilt, darunter Silke Maier-Witt (67). Zwei wurden bei der Verhaftung erschossen. Eine Person gilt als verschollen. Nachträglich sagten Verurteilte, Schleyer sei von Rolf Heissler und Stefan Wisniewski erschossen worden sei.

Hanns Martin Schleyer wurde am 5. September 1977 in Köln entführt. Vier Begleiter wurden erschossen.
Imago

Der «Deutsche Herbst» steht für eine der schwersten Krisen von Nachkriegsdeutschland. Im September und Oktober 1977 verübte die Terrorgruppe Rote Armee Fraktion (RAF) mehrere Anschläge.

Am 5. September 1977 überfielen RAF-Mitglieder den Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer (†62) in Köln (D). Sie erschossen den Fahrer und drei Polizisten. Sie entführten Schleyer, um die Freilassung von elf RAF-Häftlingen zu erzwingen. Weil Bundeskanzler Helmut Schmidt (†96) nicht nachgab, versuchten mit der RAF befreundete Terroristen der Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP) den Druck mit der Entführung der Lufthansa-Maschine Landshut zu erhöhen. Sie ermordeten den Piloten Jürgen Schumann, worauf die deutsche Sondereinheit GSG 9 in Mogadischu den Flieger stürmte und die 86 Geiseln befreite.

Nur wenige Stunden später begingen die in Stuttgart-Stammheim inhaftieren RAF-Terroristen Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe Selbstmord. Als Reaktion auf die Stürmung des Flugzeugs und den Tod der Anführer wurde der vierfache Vater Hanns Martin Schleyer von seinen Entführern erschossen. Seine Leiche wurde am Abend des 19. Oktobers 1977 im Kofferraum eines Audi 100 in Mülhausen (F) gefunden.

Von den 20 identifizierten Tätern wurden 17 gefasst und verurteilt, darunter Silke Maier-Witt (67). Zwei wurden bei der Verhaftung erschossen. Eine Person gilt als verschollen. Nachträglich sagten Verurteilte, Schleyer sei von Rolf Heissler und Stefan Wisniewski erschossen worden sei.

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Die späte Reue einer Terroristin

Silke Maier-Witt (67) war massgeblich an der Entführung von Hanns Martin Schleyer beteiligt. Sie hatte sich im April 1977 – kurz nachdem die RAF Generalbundesanwalt Siegfried Buback (†57) ermordet hatte – der Terrororganisation angeschlossen.

Ihre Aufgabe bestand darin, Schleyers Weg zur Arbeit auszukundschaften. Nach der Ermordung war sie es, welche die Medien über den Tod Schleyers informierte mit den Worten: «Wir haben nach 43 Tagen Hanns Martin Schleyers klägliche und korrupte Existenz beendet.»

In einem Brief an Schleyers Sohn Jörg (63) schrieb sie am 19. Oktober dieses Jahres: «Ich war es, die als Vollzugsgehilfin diese unsäglichen Worte über Ihren Vater öffentlich verkündet habe. Diese Worte haben sich in mein Gedächtnis eingebrannt. Sie haben Ihren Vater nach seinem Tod noch verunglimpft, und ich schäme mich zutiefst dafür, dass ich mich so weit erniedrigt habe, diese Wort zu verlesen.»

Maier-Witt war in Hamburg aufgewachsen und hatte Medizin und Psychologie studiert. 1979 tauchte sie in der DDR als Angelika Gerlach unter und wurde Stasi-Mitarbeiterin. Nach der Wende wurde sie enttarnt und wegen Mordes, Geiselnahme und räuberischer Erpressung zu zehn Jahren Haft verurteilt.

1995 kam sie vorzeitig frei und wurde Friedensfachkraft bei einer Hilfsorganisation auf dem Balkan. Heute lebt sie als Rentnerin am Stadtrand von Skopje in Mazedonien.

Kundschaftete die Fahrwege von Schleyer aus: Terroristin Silke Maier-Witt. Heute bereut sie ihre Tat.
Fahndungsbilder Polizei

Silke Maier-Witt (67) war massgeblich an der Entführung von Hanns Martin Schleyer beteiligt. Sie hatte sich im April 1977 – kurz nachdem die RAF Generalbundesanwalt Siegfried Buback (†57) ermordet hatte – der Terrororganisation angeschlossen.

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In einem Brief an Schleyers Sohn Jörg (63) schrieb sie am 19. Oktober dieses Jahres: «Ich war es, die als Vollzugsgehilfin diese unsäglichen Worte über Ihren Vater öffentlich verkündet habe. Diese Worte haben sich in mein Gedächtnis eingebrannt. Sie haben Ihren Vater nach seinem Tod noch verunglimpft, und ich schäme mich zutiefst dafür, dass ich mich so weit erniedrigt habe, diese Wort zu verlesen.»

Maier-Witt war in Hamburg aufgewachsen und hatte Medizin und Psychologie studiert. 1979 tauchte sie in der DDR als Angelika Gerlach unter und wurde Stasi-Mitarbeiterin. Nach der Wende wurde sie enttarnt und wegen Mordes, Geiselnahme und räuberischer Erpressung zu zehn Jahren Haft verurteilt.

1995 kam sie vorzeitig frei und wurde Friedensfachkraft bei einer Hilfsorganisation auf dem Balkan. Heute lebt sie als Rentnerin am Stadtrand von Skopje in Mazedonien.

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