Jetzt spricht ein Pakistanischer Starjournalist
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China, Russland, Iran:Jetzt spricht ein Pakistanischer Starjournalist

Star-Journalist Hamid Mir über die Neuordnung im mittleren Osten nach dem US-Abzug aus Afghanistan
«China, Russland, Iran – alle unterstützen die Taliban»

Hamid Mir (55) gelang es, dreimal Osama Bin Laden zu interviewen. Fast alles, was der Al-Kaida-Führer prophezeite, habe sich erfüllt, sagt der Pakistaner. Blick traf den Star-Journalisten und Autor beim Endorfine Festival in Lugano TI.
Publiziert: 23.09.2021 um 07:14 Uhr
Interview: Myrte Müller

Blick: Sie waren der letzte Journalist, dem Osama Bin Laden ein Interview gab. Wie kam es dazu?
Hamid Mir: Ich hatte Osama Bin Laden bereits zweimal interviewt, als mich der legendäre US-Talkmaster Larry King im November 2001 in seine Show einlud. Dort sagte ich, dass mich Osama Bin Laden im Interview 1998 nicht überzeugt hatte, weil Bin Laden das Töten von unschuldigen Amerikanern mit den islamischen Lehren rechtfertigte. Die CNN-Sendung muss Osama Bin Laden gesehen haben, oder er wurde darüber informiert. Ein paar Tage später wurde ich kontaktiert. Ich wurde nicht direkt zum Interview eingeladen, aber aufgefordert, in Jalalabad über den Krieg zu berichten. Als ich in der afghanischen Stadt eintraf, wurde ich bereits von Al Kaida erwartet. Sie brachten mich, versteckt in einer Ambulanz, zum Treffen mit Osama Bin Laden.

Wie haben Sie Osama Bin Laden erlebt?
Als ich Osama Bin Laden das erste Mal 1997 interviewte, hielt ich ihn für einen sehr gefährlichen Mann, der Amerika angreifen und vielen anderen Ländern grosse Schwierigkeiten machen würde. Im zweiten Interview 1998 kündigte er an, er werde Amerika vernichten, Amerikaner töten. Er sagte damals, die USA würden ihn nie lebend kriegen. Das dritte Interview fand im Bombenhagel der US-Streitkräfte statt. Er war entspannt und sprach mit mir mit einem Lächeln, ohne jede Angst. Ich hingegen fürchtete um mein Leben.

Welche Botschaften hatte Osama Bin Laden?
Er prophezeite mir damals, die Alliierten würden kommen, sie würden geschlagen werden und schliesslich mit den Taliban verhandeln. Ich glaubte ihm damals nicht. Zehn Jahre nach dem Tod des Al-Kaida-Führers und 20 Jahre nach 9/11 haben sich all seine Prophezeiungen bewahrheitet.

Hamid Mir (55) zu Gast beim Endorfine Festival in Lugano. Der pakistanische Journalist sprach über Osama Bin Laden, die Taliban und die Lage am Hindukusch.
Foto: zVg/Ti-Press
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Nach dem Abzug der USA und ihren Partnern, wer füllt das politische Vakuum in Afghanistan?
Im ersten Interview schlug Osama Bin Laden eine Allianz zwischen Afghanistan, China und dem Iran vor. Das war für mich damals unvorstellbar. Denn 1997 hatten die Taliban grosse Probleme mit dem Iran. Heute sieht man: Iran, Russland, China – alle unterstützen die Taliban.

Bedroht, entführt und festgenommen

Hamid Mir (55) ist ein pakistanischer Enthüllungsjournalist, Nachrichtensprecher und Autor. Er arbeitete als Journalist für pakistanische Zeitungen und moderierte die politische Talkshow «Capital Talk» auf Geo News. Er schrieb ein Buch über Osama Bin Laden, den er dreimal interviewte. Hamid Mir wurde wegen seiner kritischen Berichterstattung entführt, bedroht und festgenommen. Er verlor immer wieder auf Druck von oben seinen Job.

Hamid Mir (55) ist ein pakistanischer Enthüllungsjournalist, Nachrichtensprecher und Autor. Er arbeitete als Journalist für pakistanische Zeitungen und moderierte die politische Talkshow «Capital Talk» auf Geo News. Er schrieb ein Buch über Osama Bin Laden, den er dreimal interviewte. Hamid Mir wurde wegen seiner kritischen Berichterstattung entführt, bedroht und festgenommen. Er verlor immer wieder auf Druck von oben seinen Job.

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Welche Interessen verfolgen diese Länder? Fangen wir mit China an.
China hat schon lange Verbindungen zu den Taliban. Es will Afghanistan an die neue Seidenstrasse anschliessen. Die Seidenstrasse soll von Pakistan über Afghanistan nach Usbekistan, Tadschikistan auch in den Iran führen. Der Hauptpartner der Chinesen in unserer Region ist der Iran. In den kommenden zehn Jahren will China 100 Milliarden US-Dollar in den Iran investieren.

Was verbindet China, Russland und der Iran in einem Bündnis mit den Taliban?
Sie unterstützen die Taliban nicht wegen ihrer Ideologie. Sie wollen sie gegen den sogenannten IS benutzen, der viel gefährlicher ist als die Taliban. Der IS beginnt Allianzen zu bilden mit Kämpfern aus Usbekistan, Tadschikistan, mit muslimischen Rebellen in China und in Tschetschenien. Daher ist Russland beunruhigt, wenn der IS in Usbekistan und in Tadschikistan wächst. Er bereitet China Probleme in der muslimischen Provinz Xinjiang und dem Iran in der Provinz Buschehr. Auch die Taliban werden vom IS bekämpft, der an die Überlegenheit der sunnitischen Sekte glaubt und gegen die Schiiten des Irans ist.

Wie steht Pakistan zu den Taliban?
1995 war es Amerika, das Pakistan zwang, die Taliban zu unterstützen. Nach 9/11 aber sollte Pakistan die Taliban bekämpfen. Der damalige Premier Pervez Musharraf folgte auf der einen Seite dem Druck der USA und verhaftete viele Taliban-Führer. Auf der anderen Seite gab es deswegen grosse Probleme. Es ist wahr, in der Vergangenheit hat Pakistan ein doppeltes Spiel getrieben. Doch heute, denke ich, haben sie ihre Lektion gelernt. Offen gesagt, Pakistan will keinen Bürgerkrieg in Afghanistan. Es hat aktuell bereits vier Millionen afghanische Flüchtlinge. Daher drängt das Land die Taliban, sich der internationalen Gemeinschaft anzuschliessen. Das Gleiche will der Uno-Sicherheitsrat.

Das Friedensabkommen der USA mit den Taliban wurde in Doha unterzeichnet. Welche Rolle spielt Katar?
Katar wird zur Softpower in der Region und zahlt viel Geld an Afghanistan. Das Emirat ist ein Verbindungsglied zwischen Afghanistan, der Region und dem Westen. Der Friedensvertrag der USA mit den Taliban wurde in Doha unterzeichnet. Daher trägt Katars Regierung eine Verantwortung dafür, dass die Taliban den Friedensvertrag auch einhalten.

Wird es wirklich Frieden geben?
Alle sagen, sie wollen Frieden. Doch ich als Journalist habe grosse Bedenken. Diese Länder scheren sich nicht um Demokratie, um Menschen- oder Frauenrechte. Wenn die Menschenrechte verletzt werden, Frauen keine Rechte erhalten, es keine Pressefreiheit mehr gibt, dann ebnet dies den Weg zum Extremismus.

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