U-Boot-Experte pessimistisch
«Für die Menschen an Bord gibt es leider keine Hoffnung»

Verzweifelt suchen die Rettungskräfte nach dem vermissten Titanic-Tauchboot. Experte Jürgen Weber glaubt: «Für die Menschen an Bord gibt es keine Hoffnung.»
Publiziert: 20.06.2023 um 17:24 Uhr
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Aktualisiert: 20.06.2023 um 18:44 Uhr
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Jenny WagnerRedaktorin News

Wer schon einmal auf dem Meeresgrund getaucht ist, kennt den zunehmenden Wasserdruck. Bei zehn Metern beträgt er 2 bar. In einer Tiefe von 3800 Metern herrscht der 200-fache Druck. Bei einem Menschen würde bereits der Druck in 200 Metern Tiefe zu einer Lungenkompression führen und könnte tödlich enden.

Das Tauchboot, das sich am Sonntag auf den Weg zum Wrack der 1912 gesunkenen Titanic machte, könnte gerade diesem Druck ausgesetzt sein. Seit zwei Tagen ist das Tauchboot, das fünf Personen zur Titanic bringen sollte, verschwunden. Es ist per Funk nicht erreichbar, jegliche Kommunikation schlägt fehl. Wo das Boot ist und wie es den Insassen geht? Völlig unklar.

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Jürgen Weber (69) ist ehemaliger U-Boot Kommandant der Deutschen Marine und hält es für wahrscheinlich, dass das Tauchboot mit dem Namen Titan zwischen den Wrackteilen der Titanic gefangen ist. «Gut möglich, dass es zu einer Kollision mit dem gesunkenen Schiff kam», so Weber.

Fünf Menschen brachen am Sonntag auf, um die Titanic in 3800 Metern Tiefe zu betrachten.
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Wenn das Tauchboot tatsächlich im Wrack gefangen ist, betrage das potenzielle Suchfeld gerade mal einen Quadratkilometer. «Das ist an sich nicht viel, aber ein Tauchboot zwischen all den Schiffstrümmern zu finden, ist eine immense Herausforderung», so Weber. Ohne Karte, ohne gute Beleuchtung und ohne Kommunikation tappen die Such-Crews wortwörtlich im Dunkeln. «Wie soll man so Wrackteile und U-Bootteile unterscheiden?»

Geringe Überlebenschancen

Laut Informationen von Familienangehörigen haben sich fünf Menschen an Bord der Titan befunden. Unter ihnen der britische Geschäftsmann Hamish Harding (58), die Milliardäre Shahzada Dawood (48) und sein Sohn Sulaiman (19) sowie das Crew-Mitglied Stockton Rush (61) und der Taucher Paul-Henri Nargeolet (63).

Weber schätzt die Überlebenschancen der fünf Männer als gering ein. «Es bräuchte ein Wunder. So wie es aktuell aussieht, gibt es für die Menschen an Bord leider keine Hoffnung.»

Denn: Selbst wenn sich die Crew nach dem Funkabbruch gegen eine Fortsetzung der Mission entschieden hat, stehen die Überlebenschancen nicht gut. «Der grösste Teil des Boots befindet sich unter Wasser. Es ragen vielleicht etwa 80 Zentimeter aus dem Wasser heraus», so Weber. «In den hohen Wellen des Atlantiks ist das Tauchboot kaum zu sehen.»

Reicht die Zeit für eine Rettungsmission?

Vermutlich befindet sich das U-Boot aber unter Wasser. Die Wahrscheinlichkeit sei gross, dass eines oder mehrere Systeme nicht funktionierten, sagt Weber. «Vielleicht ist die Energie an Bord ausgefallen, vielleicht auch nur die Kommunikation.» Es sei auch denkbar, dass die Fahranlage nicht mehr funktioniere. Das wäre fatal. «Wenn die Fahranlage ausgefallen ist, dann tut sich gar nichts mehr.» Das Boot könnte weder steigen noch sinken.

Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit: Der Sauerstoff an Bord reicht mit viel Glück bis Donnerstag. Bis dahin muss die Titan gefunden und das zehn Tonnen schwere Boot 3800 Meter nach oben befördert werden.

Das Problem: Es gibt kaum Gerätschaft, die in diese Tiefe runter kann. Und: «Solche Tauchboote können nur über das Wasser transportiert werden, und das kostet auch Zeit», weiss Weber. «Das ist eine reine Herkulesaufgabe, unmöglich zu lösen.»

Drei Touristen vermisst

Ocean Gate bietet für einen Preis von 250'000 Dollar pro Person eine «einzigartige Reiseerfahrung» zur Titanic. Das Boot ist knappe 7 Meter lang, 2,80 Meter breit und 2,50 Meter hoch. Viel Platz ist dort nicht.

Am Sonntag waren drei Milliardäre an Bord, ein Pilot und ein Taucher. Weber kann darüber nur den Kopf schütteln. «Es ist eine schwierige Situation, wenn zwei Fachleute mit drei unerfahrenen Touristen auf eine derartige Tiefe gehen.» Auf so engem Raum bestehe ein enormes Konfliktpotenzial. «Das ist nichts, was man nur aus Spass macht, und sicher kein tolles Reiseerlebnis», erklärt Weber.

Hinzu kommt der enorme Meeresdruck. Dieser sei «immens», sagt Weber. Der Experte weiss, wovon er spricht. Er ist selbst auch einmal mit einem Tauchboot auf 870 Meter abgestiegen und weiss, «wie dunkel das da unten sein kann». Ihn begleitete damals ein mulmiges Gefühl. «Man muss die Risiken gut abwägen.»

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