Didier Burkhalter über den Jungen aus den Trümmern von Aleppo
«Die Kindheit von Omran hat sich verflüchtigt»

Das Foto des 5-jährigen Omran geht um die Welt. Es gibt dem Leiden der Kinder im syrischen Aleppo ein Gesicht. Der Kleine hat einen Bombenangriff überlebt, sitzt blutüberströmt und verstört in einem Rettungswagen.
Publiziert: 19.08.2016 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 12.10.2018 um 15:36 Uhr
Sein Gesicht ist blutüberströmt, der Blick leer: Kurz zuvor hat Omran (5) einen Luftangriff in Aleppo überlebt.
Foto: Aleppo Media Center
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Auch Aussenminister Didier Burkhalter berührt das Bild von Omran (5).
Foto: Gonzalo Garcia

Auch Aussenminister Didier Burkhalter berührt dieses Bild. Für BLICK schildert er seine ganz persönlichen Gedanken.

«Es heisst immer wieder, wir könnten unsere Kindheit nie hinter uns lassen, sie sei vielmehr für immer tief in uns eingraviert. Für diesen kleinen Jungen hat sich die Kindheit verflüchtigt. Nicht wegen den natürlichen Flügelschlägen des Lebens, sondern im Staub der Bomben, der alles verdunkelt. Ich würde diesen kleinen Jungen gerne an der Hand nehmen und ihm Hoffnung schenken.

In Jordanien habe ich Kinder getroffen, die kaum älter waren als der kleine Junge auf dem Bild. Es war in einer Schule, die mit Mitteln der Schweiz renoviert wurde. Besonders in Erinnerung blieb mir ein kleines Mädchen, das vor demselben Krieg, demselben Schrecken geflohen war. Wie der Junge hat sie nicht nur ihre Kindheit verloren, sondern auch das Lachen.

Schon damals stellte ich mir die Frage, die mich bei der Betrachtung des Fotos heute wieder einholt: Wie können diese Kinder die Welt verstehen, in die sie das Leben hineingeworfen hat?

Wir müssen sie an der Hand nehmen. Wir müssen ihnen sagen, dass eine Welt in Frieden möglich ist. Dass wir uns für eine solche Welt einsetzen. Dass wir sie brauchen, um diese Welt aufzubauen. Und dass auch sie selbst eines Tages Kinder haben werden…

Wenn meine Gedanken kreisen, sehe ich oft Kindergesichter wie diese vor mir. Und dann verspüre ich den Willen, dass unser Land, dass jeder und jede von uns dazu beiträgt, diesen Kindern ihr verlorenes Lachen zurückzugeben.» Didier Burkhalter

Ständerat Filippo Lombardi (60, CVP/TI), Präsident der CVP-Fraktion und Mitglied der Aussenpolitischen Kommission
Foto: Patrick Luethy

«Das Foto dieses Jungen berührt uns – es ist aber nur eines von Tausenden. Wer die Augen offen hatte, für den ist die Tragödie in Syrien keine Überraschung. Sie zeigt unmissverständlich: Militärische Interventionen zur Lösung solcher Konflikte scheitern. Das sollten alle Machthaber, ob regional oder global, ob in Damaskus, Washington oder Europa, unbedingt bedenken. Leider war die Erwartung nach dem Ende des Kalten Krieges und nach dem Fall der Berliner Mauer falsch, dass die Welt von Stabilität, Sicherheit und Respekt profitieren wird. Die Schweiz sollte ihre Neutralität jetzt nicht zum eigenen Komfort nutzen, sondern vielmehr zum Dienst an anderen. Etwa als Vermittlerin für einen Frieden. Und: Wir müssen mit anderen Staaten zusammen die humanitäre Hilfe vor Ort verstärken, damit die Leute in der Nähe ihrer Heimat bleiben können. So können sie nach dem Ende des Konflikts zügig mit dem Wiederaufbau beginnen.» Ständerat Filippo Lombardi (60, CVP/TI), Präsident der CVP-Fraktion und Mitglied der Aussenpolitischen Kommission

Nationalrätin Doris Fiala (59, FDP/ZH), Mitglied in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates
Foto: Gaetan Bally

«Ein Einzelschicksal, vor allem wenn es ein Kind trifft, geht einem immer stark ans Herz. Und es erinnert uns an die humanitäre Verantwortung, welche die Schweiz gerade als neutrales Land hat. Wer regelmässig Nachrichten schaut, weiss jedoch, dass in Syrien seit fünf Jahren eine der grössten Tragödien seit dem Zweiten Weltkrieg im Gange ist. Ich habe bei meinen Besuchen in Flüchtlingslagern an der syrischen Grenze in der Türkei viele Kinder im Elend gesehen, die einen mit Augen anschauen, dass es einen erschüttern muss. Vor allem auch darum, weil Flüchtlinge und Zivilbevölkerung in Syrien letztlich Opfer von Auseinandersetzungen fremder Mächte sind. Darum muss die Schweiz alles tun, was an humanitärer Hilfe vor Ort möglich ist. Wir können anbieten, für Frieden zu vermitteln. Und bei uns brauchen wir eine verantwortungsvolle Asylpolitik mit Kopf und Herz. Weder die Sozialromantiker noch diejenigen, die Angst vor Flüchtlingen schüren, bringen uns dabei weiter.» Nationalrätin Doris Fiala (59, FDP/ZH), Mitglied in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates

Nationalrat Andreas Aebi (57, SVP/BE), Mitglied Aussenpolitische Kommission
Foto: Patrick Luethy

  «Der Ausdruck des kleinen, herzigen, verletzten Omran trifft mich sehr, denn er könnte das eigene Kind oder Grosskind sein. Die Politik steht zwingend in der Pflicht, mit allen Mitteln diesen Wahnsinn zu beenden.» Nationalrat Andreas Aebi (57, SVP/BE), Mitglied Aussenpolitische Kommission

Peter Maurer (59), Präsident des Internatio­nalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK), Genf
Foto: Pascal Mora

«Das Bild dieses kleinen Jungen, Omran Daqneesh, erinnert uns daran, wie stark die Kinder in Aleppo und vielen anderen Landesteilen Syriens leiden. Nicht nur heute, sondern jeden Tag. Jeden Tag sehen wir, wie die Opferzahlen in den Spitälern ansteigen. Und jeden Tag sterben mehr Kinder durch die Gewalt, die keine Grenzen kennt. Kein Kind in Aleppo ist sicher. Die Stadt ist konstant Ziel von Luftangriffen, steht permanent unter Artillerie- und Mörserbeschuss. Das können wir nicht akzeptieren. Die politischen Führer müssen alles unternehmen, um das Töten und die Gewalt zu stoppen. Alle Konfliktparteien müssen aufhören, das Kriegsvölkerrecht zu ignorieren. Sie müssen besonders Kinder wie Omran verschonen und schützen. Sie müssen der Zivilibevölkerung eine Erholung zugestehen. Und sie müssen den humanitären Organisationen den Zugang zu all denen gewähren, die in Not sind.» Peter Maurer (59), Präsident des Internatio­nalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK), Genf

Nationalrätin Sibel Arslan (36, Grüne/BS), Mitglied Aussenpolitische Kommission
Foto: Patrick Luethy

«Dieses unglaublich traurige Bild geht mir sehr nahe. Es zeigt einmal mehr die furchtbare Situation in Syrien. Für diese Zustände sind wir alle mitverantwortlich, und wenn wir nicht handeln, machen wir uns zu Mittätern. Die Schweiz muss sich beim Syrienkonflikt langfristig stärker für den Frieden und kurzfristig für den humanitären Korridor engagieren.» Nationalrätin Sibel Arslan (36, Grüne/BS), Mitglied Aussenpolitische Kommission

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