Entmachtete Medien
Out of Control

Donald Trump (70) ist dabei, einen zentralen Pfeiler der amerikanischen Demokratie zu zerstören: Als Präsident will er ohne die lästige Kontrolle durch Journalisten regieren.
Publiziert: 20.11.2016 um 00:00 Uhr
|
Aktualisiert: 28.09.2018 um 21:08 Uhr
Trump, Tochter Ivanka, Japans Premier Shinzo Abe, Schwiegersohn Jared Kushner (v. r.) letzten Donnerstag Abend im Trump Tower.
Foto: AFP Photo
Peter Hossli

Donald Trump (70) zieht eine Grimasse, hebt den Arm und streckt Reportern, die Kameras und Mikrofone auf ihn richten, den Zeigefinger entgegen: «Schaut sie euch an», ruft er der johlenden Menge zu. «Das sind die erbärmlichsten, unehrlichsten Menschen, die es gibt.»

Es ist Mittwoch, der 2. November, in Miami, Florida. In einer Woche wählt Amerika einen neuen Präsidenten. Mit rhetorischem Dreck bewirft der Kandidat der Republikaner fünfzig Journalisten, die über ihn berichten sollen.

Seine Anhänger grölen, schreien: «Buh! Buh! Buh!» Manchen Reporter ergreift die nackte Furcht.

Sechzehn Tage später empfängt der neugewählte US-Präsident den japanischen Premierminister Shinzo Abe (62) im goldverzierten Office im Trump Tower, New York. Dabei: Tochter Ivanka Trump (35) und Schwiegersohn Jared Kushner (35). Wird die US-Präsidentschaft zur Familienposse? Kushner peilt tatsächlich einen Posten im Kabinett an. Obwohl es Gesetze gegen die Vetternwirtschaft gibt.

Bemerkenswerter aber ist, wer nicht dabei ist. Kein einziger Reporter verfolgt das Treffen mit Abe, keiner stellt Fragen. Das Bild? Haben Trumps Fotografen gemacht.

Die Presse? Bleibt draussen!

Das ist verstörend, besonders in einer Demokratie, die den gläsernen Staat in der Verfassung festgeschrieben hat. Was ein US-Präsident – oder gewählter Präsident – ausserhalb seiner privaten Räume tut, das darf, ja muss die Öffentlichkeit wissen. Ausser, es sei streng geheim.

Seit dem Amtsantritt von Franklin D. Roosevelt 1933 begleitet ein Tross von Reportern jeden Präsidenten – immer. Vom Tag der Wahl bis zur Übergabe an den Nachfolger. Journalisten waren da, als John F. Kennedy am 22. November 1963 in Dallas erschossen wurde. Als George W. Bush (70) am Morgen des 11. September 2001 einer Klasse vorlas, als er später an Bord von «Air Force One» den Horror der Terroranschläge verfolgte.

Zwei Millionen Fotos schoss der Fotograf des Weissen Hauses von Barack Obama (55). Jedes Bild wird aufbewahrt. Weil der US-Präsident der Geschichte gehört.

«Die erbärmlichsten, unehrlichsten Menschen»

Trump will das nicht. Bereits im Wahlkampf verbannte er Journalisten aus seinem Flugzeug. Bei Auftritten gab er vor, wo Kameras stehen durften. Einige Journalisten – «die erbärmlichsten, unehrlichsten Menschen» – setzte er auf schwarze Listen. Auf Twitter verunglimpfte er sie. Er desavouierte die Presse, machte sie zum Hassobjekt wie die Politiker-Kaste in Washington.

Gestern kanzelte Trump eine Theatergruppe ab, die seinen Vizepräsidenten kritisierte. Seit seiner Wahl hält er sich Reporter bewusst vom Hals. Dass er am Dienstag im New Yorker Club 21 ass, ist nur dank eines Smartphone-Videos publik geworden. Was die Korrespondenten im Weissen Haus aufschreckt. Per Brief gemahnen sie Trump, den Pressepool beizubehalten: jene Reporter in seiner Nähe zu belassen, die dem mächtigsten Mann der Welt über die Schulter schauen.

Kein Land respektiert das Recht auf Meinungsfreiheit mehr als die USA, festgehalten im «First Amendment», dem ersten Zusatz zur Verfassung. Fast unmöglich ist es in Amerika, Journalisten zu verklagen. Selbst wenn sie etwas inhaltlich Falsches publizieren, muss ein Kläger die böse Absicht belegen.

Bisher verhinderte dies ein Entscheid des Obersten Gerichtshofes aus dem Jahr 1964. Nicht einmal bei Pornografie endet in den USA die freie Meinungsäusserung. Dafür kämpfte «Hustler»-Herausgeber Larry Flynt (74) erfolgreich.

Nun möchte Trump mit neuen Gesetzen die Verleumdung verbieten. Reporter, die ihn beleidigen, will er vor Gericht ziehen. Das mag für Europäer normal klingen. Amerika erschüttert das.

Tief verankert in der amerikanischen Psyche ist das Bewusstsein, alles sagen zu dürfen. Selbst ein armer Junge in der Bronx glaubt das. US-Journalisten nehmen den Auftrag ernst, als vierte Gewalt im Staat die Demokratie zu hüten. Nie lassen sie sich von Politikern einschüchtern. Nie würden sie zulassen, was Schweizer oder deutsche Journalisten zulassen: dass Minister ihre Interviews vor der Veröffentlichung nicht nur gegenlesen, sondern Gesagtes oft zurückziehen. Dass sie sich sogar vorschreiben lassen, welche Fragen sie stellen.

Derzeit zeigen europäische Regierungen mit dem Finger auf Trump. Doch längst haben sie die Presse in jene Schranken gewiesen, wo der künftige US-Präsident sie gerne hätte. Zu Recht sorgen sich US-Journalisten, dass eine geschwächte Presse Gift ist für die Demokratie. Die Wahl von Donald Trump sollte aber bei allen Journalisten die Frage aufwerfen: Sind sie unabhängig und aufsässig genug?

Die Börse brummt

Wegen seines Sieges steht es 1:1. Anderthalb Wochen nach der Wahl von Donald Trump (70) ist der Dollar gut einen Franken wert. So stark war die US-Währung zuletzt im Februar. Eine Überraschung für die meisten Analysten: Sie hatten mit einem Schwächeanfall des Dollars gerechnet, sollte der Immobilienmogul Präsident werden.

Auch das Schweizer Parkett geriet nicht ins Wanken – entgegen allen Prognosen. «Dass wir am Tag nach der Wahl an der Börse mit einem deutlichen Plus enden, hat kaum jemand erwartet», sagt Anastassios Frangulidis (47), Anlagechef bei Pictet Asset Management in Zürich.

Seit der Wahl hat die Schweizer Börse zwei Prozent zugelegt. Die Angst vor Handelskriegen weicht der Hoffnung auf ein gutes Geschäft – wohl auch wegen Trumps Siegesrede, in der er sich als pragmatischer Geschäftsmann zeigte. Er habe klargemacht, dass er nicht den Konflikt mit anderen Ländern suche, sondern fair verhandeln wolle, so Frangulidis. «Einige haben dies so interpretiert, dass der Präsident Trump andere Ziele verfolgt als der Kandidat Trump.»

Zu den grossen Gewinnern gehören Banken, Versicherungen und Pharmaunternehmen – zentrale Branchen für die Schweiz. Am besten schnitt die UBS ab. Ihr Kurs stieg in anderthalb Wochen um 16,3 Prozent. Dies liege vor allem daran, dass Hillary Clinton nicht gewählt wurde, erklärt Raiffeisen-Chefökonom Martin Neff (56). «Clinton hatte angekündigt, die Medikamentenpreise zu deckeln und Wall Street an die Kandare zu nehmen.» Das hätte die Umsätze gedrückt. Entsprechend stieg die Aktie des Pharmakonzerns Actelion seit dem US-Wahltag um 16 Prozent – nach der UBS war dies die zweitbeste Performance.

Sogar die Zinsen steigen wieder. Und das könnte Auswirkungen auf die Schweizerische Nationalbank (SNB) haben. «Die SNB bekommt die Chance, innerhalb der nächsten zwei Jahre aus der Negativzins­politik herauszukommen», glaubt Anlagechef Frangulidis.

Wie lange der Trump-Hype anhält, bleibt abzuwarten. Am Freitag jedenfalls war an der Schweizer Börse wieder wenig Euphorie zu spüren.

Der Businessman Trump muss erst noch beweisen, dass er auch wirklich einer ist. | Vinzenz Greiner, Moritz Kaufmann

Wegen seines Sieges steht es 1:1. Anderthalb Wochen nach der Wahl von Donald Trump (70) ist der Dollar gut einen Franken wert. So stark war die US-Währung zuletzt im Februar. Eine Überraschung für die meisten Analysten: Sie hatten mit einem Schwächeanfall des Dollars gerechnet, sollte der Immobilienmogul Präsident werden.

Auch das Schweizer Parkett geriet nicht ins Wanken – entgegen allen Prognosen. «Dass wir am Tag nach der Wahl an der Börse mit einem deutlichen Plus enden, hat kaum jemand erwartet», sagt Anastassios Frangulidis (47), Anlagechef bei Pictet Asset Management in Zürich.

Seit der Wahl hat die Schweizer Börse zwei Prozent zugelegt. Die Angst vor Handelskriegen weicht der Hoffnung auf ein gutes Geschäft – wohl auch wegen Trumps Siegesrede, in der er sich als pragmatischer Geschäftsmann zeigte. Er habe klargemacht, dass er nicht den Konflikt mit anderen Ländern suche, sondern fair verhandeln wolle, so Frangulidis. «Einige haben dies so interpretiert, dass der Präsident Trump andere Ziele verfolgt als der Kandidat Trump.»

Zu den grossen Gewinnern gehören Banken, Versicherungen und Pharmaunternehmen – zentrale Branchen für die Schweiz. Am besten schnitt die UBS ab. Ihr Kurs stieg in anderthalb Wochen um 16,3 Prozent. Dies liege vor allem daran, dass Hillary Clinton nicht gewählt wurde, erklärt Raiffeisen-Chefökonom Martin Neff (56). «Clinton hatte angekündigt, die Medikamentenpreise zu deckeln und Wall Street an die Kandare zu nehmen.» Das hätte die Umsätze gedrückt. Entsprechend stieg die Aktie des Pharmakonzerns Actelion seit dem US-Wahltag um 16 Prozent – nach der UBS war dies die zweitbeste Performance.

Sogar die Zinsen steigen wieder. Und das könnte Auswirkungen auf die Schweizerische Nationalbank (SNB) haben. «Die SNB bekommt die Chance, innerhalb der nächsten zwei Jahre aus der Negativzins­politik herauszukommen», glaubt Anlagechef Frangulidis.

Wie lange der Trump-Hype anhält, bleibt abzuwarten. Am Freitag jedenfalls war an der Schweizer Börse wieder wenig Euphorie zu spüren.

Der Businessman Trump muss erst noch beweisen, dass er auch wirklich einer ist. | Vinzenz Greiner, Moritz Kaufmann

Mehr
Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?