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USA-Experte Lütjen
USA - «Biden hat eine Schonfrist von drei Monaten»

Der Politologe Torben Lütjen beschreibt die Krise der beiden grossen amerika­nischen Parteien. Und erklärt, warum sich die Europäer ihren Spott besser sparen sollten.
Publiziert: 08.11.2020 um 12:21 Uhr
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Aktualisiert: 09.11.2020 um 20:31 Uhr
Interview: Simon Marti

Einen Satz hört man derzeit bis zum Umfallen: «Die USA sind ein gespaltenes Land.» Aber ist diese Polarisierung wirklich ­etwas Neues?
Torben Lütjen: Nein. Das Land war bis in die 1960er-Jahre hinein von einem starken Konsens geprägt. Dann zerbricht diese Einigkeit und die Spaltung hat seither Schritt für Schritt zugenommen.

Lässt sich bestimmen, wie die Republikaner, eine respektable konservative Partei, in diesen ­populistischen Sog geraten ist?
In den 60ern öffnen sich in den USA drei grosse Konfliktlinien: zuerst die Rassenfrage. Die Demokraten wollen die Rassentrennung im ­Süden überwinden. In der Folge wenden sich die konservativen Südstaatler, traditionell Wähler der Demokraten, den Republikanern zu – diese werden zu einer kon­serva­tiven Partei.

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Politikwissenschaftler Torben Lütjen: «Intellektuell ist die Republikanische Partei implodiert, aber als populistische Wählermaschine bleibt sie intakt.»
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Und dann gibt es da noch die ­Religion ...
Das ist der zweite Graben. Millionen konservativer Christen stemmen sich gegen die Liberalisierung der Gesellschaft und werden mit Ronald Reagan fester Bestandteil der Republikaner. Etwas jünger ist der Gegensatz von Stadt und Land oder zwischen Gewinnern und ­Verlierern der Globalisierung.

Noch-Präsident Donald Trump befeuerte demnach schlicht bestehende Gegensätze?
Trump hat eine neue Qualität in die Republikanische Partei gebracht und die Polarisierung im Land zusätzlich radikalisiert. Die Republikaner haben bereits vor ihm gegen die Eliten in Kultur, Medien und ­Politik polemisiert. Mit Trump gilt aber ganz Washington als Sumpf, den es samt den Fröschen darin trockenzulegen gilt. Zugleich nutzt Trump Verschwörungstheorien für seinen Aufstieg, etwa jene, dass Präsident Barack Obama gar nicht in den USA geboren sei.

Können sich die Republikaner noch mässigen? Den Konserva­tiven gelang es in der Vergangenheit, sich von den schlimmsten Gestalten abzugrenzen.
Diese Abgrenzung findet längst nicht mehr statt. Das ist unverzeihlich. Aber man muss sehen, dass eine solche Abgrenzung mit dem Aufkommen des Internets und in einer Medienlandschaft, die denjenigen belohnt, der noch härter draufhaut, sehr, sehr schwierig geworden ist.

Das republikanische Establishment, mit gestandenen Sena­toren wie Mitch McConnell oder Lindsey Graham, hat sich Trump an den Hals geworfen. Können sich diese Politiker nun so einfach aus seiner Umklammerung lösen?
Derzeit tun sie es nicht. Noch nicht, vielleicht. Ich glaube, dass der ­eigentliche Gewinner der letzten vier Jahre Mitch McConnell ist, der Chef der Republikaner im Senat. Trump hat alles an Gesetzen unterschrieben, was McConnell wollte: Steuern wurden gesenkt, Regulierungen abgebaut, zig Richterstellen neu besetzt. Nun werden die Parteioberen die nächsten Monate aussitzen und dann geht es weiter wie zuvor.

Ohne Trump?
Als Ex-Präsident wird er irgendwann seine Wirkung verlieren. Das wird damit beginnen, dass sich die Medien nicht mehr auf jeden seiner Tweets stürzen. Dann kommt vielleicht der nächste Populist, den McConnell einspannt und auf diesem Weg seine politischen Ziele durchzusetzen versucht.

Brauchen die Republikaner eine Figur wie Trump, um mehrheitsfähig zu sein?
Wahrscheinlich schon. Intellek­tuell ist die Republikanische Partei implodiert, aber als populistische Wählermaschine bleibt sie intakt.

Die Demokraten auf der anderen Seite nominierten den 77-jährigen Joe Biden, vor vier Jahren präsentierten sie Hillary Clinton. Diese Partei ist doch im Grunde auch ­gescheitert.
Völlig verkehrt war Bidens Nominierung nicht, so, wie die Wahl gelaufen ist. Den Demokraten stehen aber schwere Zeiten bevor. Diese Partei ist ideologisch bis zum Platzen inklusiv. Es ist extrem, was die unter einen Hut zu bekommen versuchen. Die linke Kongressabgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez sagte einmal, dass sie in keinem ­anderen Land der Welt mit Joe ­Biden in der gleichen Partei wäre. Und das stimmt ja auch.

Wird ein Präsident Biden bald aus den eigenen Reihen unter Druck kommen?
Biden hat eine Schonfrist von drei Monaten, dann wird er den Druck richtig zu spüren bekommen. So komisch das klingt, aber innerhalb der Partei kommt es ihm entgegen, dass die Demokraten die Mehrheit im Senat nicht erobert haben. Jetzt kann er die hohen Erwartungen dämpfen, indem er mit dem Finger auf die Republikaner zeigt, die ihn blockieren werden, wo es nur geht.

Hält Biden vier Jahre durch?
Das kann ich nicht sagen. Aber wenn man ihn sich so anguckt … Gibt er sein Amt ab und Vizepräsidentin Kamala Harris übernimmt, schreit das geradezu nach einem innerparteilichen Herausforderer. Die Linken haben nach dem knappen Ausgang in diesem Jahr Rückenwind. Die Fliehkräfte in der Partei werden eher noch stärker, wenn Trump weg ist: Die Grund­lage des Burgfriedens entfällt.

Manch ein Beobachter in Europa blickt jetzt spöttisch über den Atlantik. Steht uns dieses Überlegenheitsgefühl gut an?
Sicherlich nicht. Es gibt eine eigenartige Lust am Untergang der USA. ­Natürlich steckt die dortige Demokratie in einer Krise. Man könnte es aber auch umdrehen: Da kommt ein Mann mit eindeutig autori­tären ­Tendenzen an die Macht und doch halten ja bisher die Institu­tionen. Ob wir einen Trump aushalten würden? Da wäre ich nicht so sicher.


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