«Eine Evakuierung von Teilen Kiews wird im Moment geprüft»
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Bürgermeister Vitali Klitschko:«Eine Evakuierung von Teilen Kiews wird im Moment geprüft»

Vitali Klitschko im Blick-Interview
«Wir hoffen, dass wir nicht evakuieren müssen»

Angesichts der sinkenden Temperaturen machen die russischen Raketenanschläge auf die Energie-Infrastruktur in der Ukraine den Menschen Sorgen. Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko sagt, welche Pläne die Verwaltung hat und warum er an einen Sieg der Ukraine glaubt.
Publiziert: 01.11.2022 um 21:01 Uhr
Interview: Sylwina Spiess und Anastasia Mamonova

Der Krieg ist in Kiew zurück. Seit einigen Wochen wird die ukrainische Hauptstadt regelmässig von russischen Truppen beschossen. Das Ziel: die Zerstörung der Energie-Infrastruktur. Der Bürgermeister der Stadt, Vitali Klitschko (51), spricht mit Blick über die aktuelle Lage in Kiew.

Blick: In Kiew kommt es immer wieder zu Strom- und Wasserunterbrüchen. Wie ist die aktuelle Lage?
Vitali Klitschko: Von den Raketenanschlägen sind unsere Energiesysteme stark betroffen. Am Montag hatten 80 Prozent der Anschlüsse kein Wasser. In rund 350'000 Wohnungen war der Strom ausgefallen. Die Kommunalarbeiter waren die ganze Nacht dabei, das Problem zu lösen, und jetzt hat jeder Kiewer wieder Wasser und Strom. Was Russland macht, ist Völkermord. Im Winter ist es sehr kalt, wir haben Temperaturen von bis zu Minus 20 Grad. Solche Anschläge können zu einer Katastrophe führen. Die Zivilbevölkerung leidet, und deswegen muss die ganze Welt die Ergebnisse des Kriegs sehen.

Sie haben den Westen gebeten, Hilfsmittel zu senden, damit die Menschen nicht erfrieren. Rechnen Sie mit Kältetoten?
Wir kalkulieren verschiedene Szenarien. Für den schlimmsten Fall – wenn wir kein Wasser, kein Strom und keine Heizung für längere Zeit haben – haben wir über 1000 Standorte vorbereitet, in denen sich Menschen aufwärmen können. Die Russen wollen uns entmutigen. Sie haben keinen Erfolg an der Front, deswegen wollen sie die Ukraine erpressen. Doch statt eine Depression bekommt die Bevölkerung eine riesige Wut, und das motiviert uns, für unsere Unabhängigkeit weiterzukämpfen.

Vitali Klitschko versichert, dass Kiew alles unter Kontrolle habe. Es gebe keinen Grund für Menschen, die Stadt zu verlassen.
Foto: Global Images Ukraine via Getty Images
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Die Angriffe fanden seit Oktober jeden Montag statt, wenn die Menschen zur Arbeit gingen. Rechnen Sie damit, dass es weiterhin die sogenannten Black Mondays gibt?
Diese Frage müssen Sie Herrn Putin stellen, ob er nächsten Montag wieder attackieren und unschuldige Menschen umbringen wird. Wir rechnen mit verschiedenen Szenarien, aber wir glauben nicht, dass die Russen erfolgreich sein werden.

Getrauen sich die Leute noch, zur Arbeit zu gehen?
Die Menschen sind nervös, aber sie haben keine Angst.

Kiews Bürgermeister

Vitali Klitschko (51) ist seit 2014 der Bürgermeister von Kiew. Bevor er in die Politik wechselte, stand Klitschko im Ring. Der ehemalige Profiboxer gewann 1999 seinen ersten WM-Titel der WBO. Ab 2008 verteidigte er diesen bis zu seinem letzten Kampf im Jahr 2012. Mit seiner 2014 gegründeten Partei Udar bildete er bei den Maidan-Protesten zusammen mit der nationalistischen Swoboda-Partei und dem «Vaterland» ein oppositionelles Dreierbündnis, das sich für den Rücktritt des ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch (72) einsetzte.

Vitali Klitschko (51) ist seit 2014 der Bürgermeister von Kiew. Bevor er in die Politik wechselte, stand Klitschko im Ring. Der ehemalige Profiboxer gewann 1999 seinen ersten WM-Titel der WBO. Ab 2008 verteidigte er diesen bis zu seinem letzten Kampf im Jahr 2012. Mit seiner 2014 gegründeten Partei Udar bildete er bei den Maidan-Protesten zusammen mit der nationalistischen Swoboda-Partei und dem «Vaterland» ein oppositionelles Dreierbündnis, das sich für den Rücktritt des ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch (72) einsetzte.

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Ist eine Evakuierung der Stadt Kiew geplant?
Die Menschen zu evakuieren, wäre das Worst-Case-Szenario. Wir hoffen, dass wir diesen Plan nicht werden realisieren müssen. Wir sind aber auf jeden Fall bereit.

Kann es sein, dass die Menschen wegen der Krise in der Grundversorgung das Land verlassen müssen?
Die Menschen müssen das Land nicht verlassen. Wir haben alles unter Kontrolle.

Wie gehen Sie persönlich mit der Situation um?
Es ist sehr wichtig, hier zu bleiben und die Stadt zu beschützen. Wir sind stark in unserem Glauben. Wir sehen die Ukraine als ein modernes, demokratisches und europäisches Land. Putin akzeptiert das nicht, er sieht die Ukraine als ein Teil von Russlands Imperium. Wir waren mal ein Teil des Imperiums, aber wir wollen nicht zurück in die Vergangenheit. Wir sehen unsere Zukunft als Teil der europäischen Familie. Die Russen kämpfen für das Geld, wir kämpfen für unsere Kinder.

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