Russische Angriffe auf Bachmut gehen weiter
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Unter Beschuss:Russische Angriffe auf Bachmut gehen weiter

Von Russen umzingelt
Warum die Ukrainer trotz hoher Verluste die Stadt Bachmut nicht aufgeben können

Hunderte kommen im blutigen Gefecht um die Donbass-Stadt jeden Tag ums Leben, die Verteidigung scheint sinnlos. Doch Selenski will nicht aufgeben und schickt Verstärkung in den Hexenkessel. Vier Gründe sprechen dafür, dass sich das für die Ukraine lohnt. Eine Analyse.
Publiziert: 08.03.2023 um 09:11 Uhr
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Aktualisiert: 08.03.2023 um 14:55 Uhr
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Samuel SchumacherAusland-Reporter

Also doch kein Rückzug: Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski (45) hat in einer Ansprache am Montagabend deutlich gemacht, dass seine Truppen die seit Monaten umkämpfte Donbass-Stadt Bachmut nicht aufgeben werden. Den Entscheid fällte Selenski auf einstimmiges Anraten seiner beiden Top-Generäle und wichtiger Berater.

Tausende Ukrainer mussten bei der Schlacht um Bachmut (mit einst 70'000 Einwohnern etwa so gross wie St. Gallen) bereits ihr Leben lassen. Hunderte werden bei jedem weiteren Tag getötet. Die Russen haben die Stadt von drei Seiten her umzingelt. Fast ausweglos scheint die Situation für die Ukrainer. Und dennoch macht ihre blutige Verteidigungs-Taktik Sinn – aus vier Gründen:

1

Russland sterben die Kämpfer weg

Die Gleichung ist brutal, aber aus reiner Kriegslogik betrachtet geht sie auf: Nach Schätzungen der Nato sterben in Bachmut auf jeden ukrainischen Soldaten fünf Russen. Aus ukrainischer Sicht geht die Rechnung also auf. Je länger man die Stadt verteidigt, umso mehr Russen sterben, umso mehr Material verliert der Gegner, umso schwächer wird er. Dementsprechend zufrieden zeigte sich Selenski am Montagabend: «Bachmut hat grossartige Resultate geliefert.»

Seit Monaten verteidigen ukrainische Soldaten die Donbass-Stadt Bachmut vor russischen Angreifern.
Foto: keystone-sda.ch
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Putin braucht den Sieg

Nirgendwo an der 600 Kilometer langen Kriegsfront im Donbass wird derzeit heftiger gekämpft als in Bachmut. Beide Seiten schicken nebst neuen Rekruten auch Elite-Kämpfer in die Schlacht. Insbesondere der russische Präsident Wladimir Putin (70) braucht den Durchbruch dringend. Er konnte seinem Volk seit Monaten keinen Sieg mehr verkünden. Und: Wenn das Massensterben seiner Truppen (laut ukrainischen Schätzungen kommen in Bachmut täglich bis zu 900 russische Kämpfer ums Leben) weitergeht, dann kommt der Kreml-Chef mittelfristig nicht um eine zweite Zwangsrekrutierungswelle herum. Und das dürfte den Rückhalt in der Bevölkerung weiter schmälern.

3

Die Ukraine verschafft sich wertvolle Zeit

In Bachmut wiederholt sich die Geschichte: Schon bei der Schlacht um die Donbass-Zwillingsstädte Sewerodonezk und Lyssytschansk im Hochsommer gelang es den Ukrainern, die Russen abzulenken. Sie merkten nicht, dass die Ukrainer weit ab der heissen Schlachten kühl taktierten. Kurz nach dem ukrainischen Rückzug aus den beiden Städten gelang ihnen die Rückeroberung grosser Gebiete rund um die Stadt Charkiw. Die geschwächten und völlig unvorbereiteten Russen wurden sprichwörtlich überrannt. Ähnlich könnte das auch im Fall von Bachmut sein. Der deutsche Kriegsexperte Ralph Thiele (68) erklärte kürzlich gegenüber Blick, dass das grosse Opfer der Ukraine in Bachmut durchaus Sinn mache, «wenn den Ukrainern durch die Bindung der russischen Kräfte ein Überraschungsschlag an einem anderen Ort gelingt». Ob er gelingt, dürfte die vermutete Gegenoffensive der Ukrainer mit neuen westlichen Waffen im Frühling zeigen.

4

Der Wagner-Chef stiftet Unruhe in Moskau

Jewgeni Prigoschin (61), Chef der mörderischen Söldner-Truppe Wagner, hat bei der Schlacht um Bachmut mit seiner Truppe die Führung übernommen. Gleichzeitig wettert er gegen den Kreml. Er beklagte sich wiederholt über fehlende Unterstützung (seinen Kämpfern fehlt es an Munition) und fehlende Wertschätzung aus Moskau (kein hoher Regierungsvertreter will Prigoschins Gesandte empfangen). Zuletzt drohte Prigoschin aus seinem Versteck nahe Bachmut sogar damit, seine gesamten Truppen abzuziehen und damit «den Kollaps der russischen Kampflinie» zu provozieren. Je länger die Schlacht um Bachmut dauert und je verzweifelter die Situation seiner Söldner wird, umso grösser wird der Disput unter der russischen Führung.

Den Blutzoll, den die Ukraine für die Verteidigung von Bachmut entrichten muss, ist gewaltig. Selenskis Worte, die er bei seinem Front-Besuch kurz vor Weihnachten an die Kämpfer in Bachmut richtete, hallen bis heute nach: «Ihr verteidigt hier nicht nur Bachmut, ihr verteidigt die ganze Ukraine.»

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