Weidel, Orban und Le Pen gratulieren
Niederländischer Rechtspopulist Geert Wilders ist Wahlsieger

Machtwechsel mit Rechtsrutsch in den Niederlanden: Die Partei des Rechtspopulisten Geert Wilders geht laut einer Hochrechnung als klarer Wahlsieger aus der Parlamentswahl hervor. Ob der Sieger ohne Mehrheit auch die Regierung bilden kann, bleibt zunächst offen.
Publiziert: 22.11.2023 um 21:12 Uhr
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Aktualisiert: 23.11.2023 um 08:40 Uhr
Der niederländische Rechtspopulist Geert Wilders gewinnt die vorgezogenen Wahlen. Offen bleibt, ob er es auch schafft, die Regierung zu bilden.
Foto: IMAGO/ANP

Der Rechtspopulist Geert Wilders (60) ist gemäss einer ersten Hochrechnung der grosse Wahlsieger der Parlamentswahl in den Niederlanden. Laut der neusten Hochrechnung, die die Nachrichtenagentur ANP am Donnerstagmorgen veröffentlichte, dürften Wilders und seine Partei für die Freiheit (PVV) auf 37 der 150 Sitze in der Zweiten Kammer des Parlaments kommen. Das wären mehr als doppelt so viele Mandate wie bei der vorigen Wahl 2021. Diese Hochrechnung beruht auf fast 94 Prozent der ausgezählten Stimmen.

Das Bündnis von Sozialdemokraten und Grünen kommt der Hochrechnung zufolge auf 25 Sitze, acht mehr als 2021. Die rechtsliberale Regierungspartei VVD des scheidenden Ministerpräsidenten Mark Rutte verlor demnach zehn Mandate und kommt nun auf 24. Die neue Zentrum-Partei NSC darf auf Anhieb mit 20 Sitzen rechnen.

Der Rechtsaussen Wilders kündigte an, dass er nun auch regieren wolle. Doch für eine Mehrheit braucht er mindestens zwei Parteien – und es ist fraglich, ob er tatsächlich Partner für eine Koalition finden kann.

Über den eigenen Schatten springen

«Der Wähler hat nun gesprochen», sagte Wilders am Mittwochabend im Fernsehen. «Ich glaube, dass wir jetzt alle über unseren Schatten springen müssen.» Auf keinen Fall dürfe der Wählerwille übergangen werden. «Die Niederlande haben gesprochen und das muss – was mich betrifft – auch umgesetzt werden.»

Wilders war darum bemüht, Ängste vor einem zu radikalen Vorgehen seiner Partei für die Freiheit (PVV) zu zerstreuen. Die von ihm angestrebte Zwangsschliessung von Moscheen sei aktuell kein Thema, versicherte er. Priorität habe jetzt, den «Asyl-Tsunami» zu begrenzen.

AfD-Chefin Alice Weidel (44) gratulierte Wilders beim Kurznachrichtendienst X, vormals Twitter: «Herzlichen Glückwunsch zu diesem grossen Erfolg. Ganz Europa will die politische Wende! #Wilders #AfD». Ebenso erhielt Wilders nach Berichten niederländischer Medien Glückwünsche vom ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban (60) und von der französischen Rechtsnationalistin Marine Le Pen (55).

Salonfähiger Wilders?

Wilders' PVV kommt nach einer Hochrechnung des niederländischen Fernsehens auf 37 der 150 Sitze im Parlament. Die Zustimmung zur PVV war in den vergangenen Wochen in den Umfragen immer weiter gestiegen. Als Mitverantwortliche dafür wird vielfach die Spitzenkandidatin der Rechtsliberalen, Dilan Yesilgöz (46), gesehen. Sie hatte zu Beginn des Wahlkampfes gesagt, dass sie Wilders als Koalitionspartner nicht von vornherein ausschliesse. Der scheidende Ministerpräsident Mark Rutte (56), ebenfalls ein Rechtsliberaler, hatte eine Zusammenarbeit mit Wilders dagegen immer abgelehnt. 

Die Partei von Yesilgöz und Rutte, die rechtsliberale Volkspartei für Freiheit und Demokratie (VVD), kommt der Hochrechnung zufolge auf 24 Sitze, ein Minus von zehn Mandaten. Das von Ex-EU-Kommissar Frans Timmermans (62) angeführte Bündnis aus Grünen und Sozialdemokraten schafft demnach 25 Sitze, ein Plus von acht. Die erst vor wenigen Wochen gegründete Partei des ehemaligen Christdemokraten Pieter Omtzigt (49), der Neue Soziale Vertrag (NSC), kann nach der Hochrechnung mit 20 Sitzen rechnen.

Ob Wilders tatsächlich die nächste Regierung bilden kann, ist völlig offen. Omtzigt hatte eine Zusammenarbeit mit ihm im Wahlkampf ausgeschlossen, da dieser verfassungsfeindliche Positionen vertrete. Am Wahlabend schien er diese Position etwas aufzuweichen, indem er Wilders' Formulierung übernahm, dass jetzt alle Parteien «über ihren Schatten springen» müssten. Yesilgöz hatte eine Zusammenarbeit mit Wilders nicht ausgeschlossen, kurz vor der Wahl aber gesagt, sie wolle nicht unter einem Ministerpräsidenten Wilders in eine Regierung eintreten. Am Wahlabend schien auch sie diese Position aber wieder etwas abzuschwächen und betonte, jetzt sei erst einmal Wilders am Zug: «Wir werden das in der Fraktion gut abwägen. Dann schauen wir, wohin das führt», sagte sie.

Umstrittene Person

Die vorgezogene Parlamentswahl war notwendig geworden, nachdem im Sommer Ruttes Mitte-Rechts-Koalition nach nur 18 Monaten im Amt geplatzt war. Anlass dafür war ein Streit über Migrationspolitik. Rutte, der am längsten amtierende Ministerpräsident der niederländischen Geschichte, hatte daraufhin seinen Abschied aus der nationalen Politik angekündigt, er will jetzt Nato-Generalsekretär werden. Bis zum Antreten einer neuen Regierung bleibt er allerdings noch im Amt.

In den Niederlanden hat sich der Rechtspopulismus schon vor mehr als 20 Jahren als fester Bestandteil der politischen Landschaft etabliert. Der erste erfolgreiche Rechtspopulist Pim Fortuyn war 2002 wenige Tage vor der Parlamentswahl von einem militanten Tierschutzaktivisten ermordet worden. Sein Erbe trat Wilders an, der noch viel radikalere Forderungen erhob, etwa die nach einem Verbot des Korans. Der Politologe und Wilders-Biograf Meindert Fennema (1946–2023) warnte 2017 in einem Interview der Deutschen Presse-Agentur: «Er ist jemand, der auf demokratischem Weg den Rechtsstaat abschaffen will.»

Umfragen haben mehrfach ergeben, dass Wilders-Wähler ihre Zukunft tendenziell pessimistisch einschätzen und Angst vor Veränderungen haben. Sie wohnen häufig in stagnierenden Industriegebieten oder auf dem Land, wo die Jungen wegziehen. Zu Wilders Parolen gehört deshalb nicht nur «Der Islam gehört nicht zu den Niederlanden», sondern auch «Mehr Personal in der Pflege» und «Niedrigere Mieten und Steuern». Diese Mischung aus rechten Parolen und klassisch linken Forderungen betrachten Politologen als sein Erfolgsrezept. Eine weitere Besonderheit: Wilders' Partei hat nur ein einziges Mitglied – ihn selbst. So will er verhindern, dass ihn andere überstimmen und selbst das Zepter übernehmen könnten. (SDA)

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