War das die eine Lüge zuviel?
Für Boris Johnson wird es nach Lockdown-Party richtig eng

Die Partys während des Lockdowns sind das eine, seine Lügen das andere. Für den britischen Premierminister Boris Johnson (57) wird die Luft dünn. Am Mittwoch musste er sich vor dem Parlament verantworten.
Publiziert: 12.01.2022 um 14:15 Uhr
Guido Felder

Wars das für den britischen Premierminister Boris Johnson (57)? Nach den Vorwürfen, während des Lockdowns an seinem Sitz an der Downing Street mit Dutzenden Personen Partys gefeiert zu haben, steht seine Zukunft als Regierungschef auf dem Spiel.

Bisher hat er Verfehlungen abgestritten. Wegen der Beweislast – es gibt Fotos – bezichtigt ihn die «Sun» nun der Lüge. Sie tut dies Titelzeile «It's my party and I'll lie low if I want to» (deutsch: «Es ist meine Party und ich lüge, wann ich will») nach einem Song von Lesley Gore. Die «Daily Mail» stellte die Frage, ob nun für Johnson die «Party over» sei.

Aufruf zum Beweise löschen

Gleichzeitig kommen immer mehr Details ans Licht, die Johnson und seine Angestellten zusätzlich belasten. Dem «Independent» zufolge sollen Beschäftigte in der Downing Street vergangenen Monat die Anweisung bekommen haben, möglicherweise belastende Nachrichten von ihren Geräten zu löschen, wie Insider dem Blatt verrieten.

Als ob es keinen Lockdown mit Kontaktbeschränkungen gäbe: Im Mai 2020 traf sich Boris Johnson (vorne rechts) mit seiner Frau Carrie und mehreren Mitarbeitern im Garten der Downing Street 10 zu einem Anlass.
Foto: The Guardian
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Schon wird über Nachfolger diskutiert

Schon seit Tagen wird über eine mögliche Nachfolge von Johnson diskutiert. Zur Debatte stehen vor allem zwei Kabinettsmitglieder: Da ist zum einen der aus Indien stammende Finanzminister Rishi Sunak (41), der angeblich mit Johnson über Kreuz liegt. Sunak, erst kurz vor der Pandemie ins Amt gekommen, wird für sein Krisenmanagement gelobt. Nachteil: Der wohlhabende Ex-Investmentbanker gilt nicht als Mann des Volkes.

Favoritin ist Aussenministerin Liz Truss (46), derzeit grösster Darling der Tory-Basis. Truss, erst im September vom Handelsministerium befördert, weiss sich in Szene zu setzen. In den ersten sechs Wochen im neuen Amt wurden von ihr mehr Fotos auf der Flickr-Seite der Regierung veröffentlicht als von allen anderen Kabinettsmitgliedern zusammen.

Schon seit Tagen wird über eine mögliche Nachfolge von Johnson diskutiert. Zur Debatte stehen vor allem zwei Kabinettsmitglieder: Da ist zum einen der aus Indien stammende Finanzminister Rishi Sunak (41), der angeblich mit Johnson über Kreuz liegt. Sunak, erst kurz vor der Pandemie ins Amt gekommen, wird für sein Krisenmanagement gelobt. Nachteil: Der wohlhabende Ex-Investmentbanker gilt nicht als Mann des Volkes.

Favoritin ist Aussenministerin Liz Truss (46), derzeit grösster Darling der Tory-Basis. Truss, erst im September vom Handelsministerium befördert, weiss sich in Szene zu setzen. In den ersten sechs Wochen im neuen Amt wurden von ihr mehr Fotos auf der Flickr-Seite der Regierung veröffentlicht als von allen anderen Kabinettsmitgliedern zusammen.

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Die BBC berichtete unter Berufung auf ungenannte Quellen, hochrangige Mitarbeiter hätten aktiv verhindern müssen, dass während der Corona-Kontaktbeschränkungen im vergangenen Jahr noch weitere Partys stattfanden.

Einige andere gesellige Runden unter Johnsons Dach, die wohl gegen Lockdown-Massnahmen verstossen haben, sind bereits in den vergangenen Wochen von Medien enthüllt worden. Eine offizielle Untersuchung zu den Ereignissen läuft noch.

Reinen Tisch machen

Die Gegner von der Labour-Partei bezichtigen ihn ebenfalls der Lüge. «Dies passt ins Muster, dass sie die Wahrheit verheimlichen und dann anfangen zu lügen, wenn die Dinge ans Licht kommen», sagte die Labour-Politikerin Emily Thornberry (61) der BBC.

Vizeparteichefin Angela Rayner (41) forderte Johnson auf, sich dem Parlament zu stellen und «reinen Tisch» zu machen. Angehörige von Corona-Opfern zeigten sich empört. Selbst in den eigenen Reihen, bei den Tories, schwindet der Rückhalt.

Immer wieder gelogen

Die Aussagen über die Partys an der Downing Street wären nicht die ersten Lügen von Johnson. Immer wieder machte er mit Falschaussagen von sich reden. Einige Beispiele:

Artikel erfunden: Dank Beziehungen steigt Johnson 1987 bei der Londoner Traditionszeitung «The Times» ein. Schon bald wird er entlassen. Bereits in seiner ersten Titelstory über einen verschollenen Palast an der Themse erfindet er ein Zitat. Auch beim konservativen «The Daily Telegraph» erfindet er Geschichten. Etwa darüber, dass die EU Kondomgrössen standardisieren und eine «Bananenpolizei», welche die Form der Früchte kontrollieren soll, einführen wolle.

Versprechen gebrochen: Als Chefredaktor des konservativen «Spectator» verspricht er dem Herausgeber Conrad Black (77) 2001, seine politische Karriere nicht weiterzuverfolgen. Trotzdem wird er Abgeordneter im Parlament. «Unsagbar doppelzüngig», sagt der Eigentümer.

Affären abgestritten: Als Johnson 2004 einen Posten im Kulturministerium erhalten soll, macht ihm eine aussereheliche Affäre mit der «Spectator»-Kolumnistin Petronella Wyatt (53) einen Strich durch die Rechnung. Er leugnet die Affäre als «Schwachsinn», die Mutter der Frau widerspricht aber und bestätigt zwei Abtreibungen. Auch später, als Londoner Bürgermeister, streitet der verheiratete Johnson eine Affäre mit Jennifer Arcuri (36) ab.

Koks-Konsum vergessen: Bei der Wahl zum Londoner Bürgermeister wird er 2007 mit früheren Aussagen konfrontiert, in denen er den Kokain-Konsum zu Uni-Zeiten gestanden hatte. Kurz vor der Wahl streitet er alles ab. Auch als Bürgermeister biegt er sich die Zahlen nach seinem Gusto zurecht. Er behauptet zum Beispiel, dass während seiner Amtszeit die Zahl der Polizisten gestiegen und die Jugendkriminalität gesunken sei. Es war gerade umgekehrt.

Zahlen gefälscht: Im Vorfeld der Brexit-Abstimmung behauptet er 2016, dass Grossbritannien der EU wöchentlich 350 Millionen Pfund überweise. Die Statistikbehörde korrigiert und spricht von Irreführung, selbst die Brexit-Befürworter distanzieren sich von der Aussage. Die Behauptung bringt Johnson beinahe vor Gericht.

Finanzierung bestritten: Als seine neue Frau Carrie (33) die Wohnung an der Downing Street 10 für 135'000 Franken renovieren und die Wände neu tapezieren lässt, lässt er sich die Arbeiten von einem Parteispender finanzieren. Als das 2020 ans Tageslicht kommt, spielt er den Ahnungslosen.

«Ich hätte ihn entlassen»

Kurz vor dem Vollzug des Brexits hatte Blick mit der Brexit-Gegnerin und damals grössten Gegenspielerin Johnsons, der Politaktivistin Gina Miller (56), ein Interview geführt. Miller antwortete Ende 2019 auf die Frage, was sie von Johnson als Premierminister halte: «Wenn er in meiner Firma arbeiten würde, hätte ich ihn in der ersten Woche entlassen. Man kann an einer so verantwortungsvollen Stelle keine Person brauchen, der es an Ehrlichkeit und Integrität mangelt und die nicht bereit ist, hart zu arbeiten.»

Nach den jüngsten Vorwürfen und offensichtlichen Lügen wird die Luft für Johnson knapp. Am Mittwoch musste er dem Parlament Red und Antwort stehen. Der Premier räumte ein, dass er an der Zusammenkunft am 20. Mai 2020 teilgenommen hat.

Er sei in den Garten seines Amtssitzes gekommen, um sich bei Mitarbeitern zu bedanken und habe geglaubt, es habe sich um ein Arbeitstreffen gehandelt. Nach etwa 25 Minuten sei er zurück in sein Büro gegangen. Im Rückblick hätte er anders handeln müssen, räumte Johnson ein.

Labour-Chef Keir Starmer (59) warf Johnson vor, mit dieser Erklärung die Bevölkerung zu beleidigen. Er forderte den Premier zum Rücktritt auf.


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