Westen soll Putins Günstlinge mit Ende von Sanktionen ködern
Früherer russischer Oligarch Tinkow verurteilt Moskauer Elite als «Feiglinge»

Schon zu Beginn der Ukraine-Invasion outete er sich als scharfer Kritiker des «verrückten Kriegs»: Der vom Kreml enteignete Ex-Oligarch Oleg Tinkow lebt heute in der Schweiz. London hob Sanktionen gegen ihn auf. Das, so der ausgebürgerte Russe, könne Putin-Treue ködern.
Publiziert: 22.07.2023 um 04:45 Uhr
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Aktualisiert: 25.07.2023 um 12:49 Uhr

Ende 2022 hatte er seinen russischen Pass aufgegeben, mittlerweile lebt er in der Schweiz: Der frühere Banken-Oligarch Oleg Tinkow (55) ist hierzulande nicht nur als ehemaliger Radsportmäzen bekannt. Tinkow ist auch ein erklärter Putin-Hasser – und nimmt kein Blatt vor den Mund, was er von der russischen Elite hält, die zur Ukraine-Invasion schweigt.

Der Selfmade-Milliardär galt schon immer als Aussenseiter in der vom Kreml dominierten russischen Geschäftswelt. Jetzt verurteilt Tinkow die Putin-Günstlinge als «Feiglinge». Er fordert die Kreml-Profiteure dazu auf, sich dem Krieg zu widersetzen. Der Westen soll sie dazu verlocken – mit der Aussicht auf die Aufhebung von Sanktionen.

Tinkow ist der erste russische Milliardär, gegen den vom Westen erhobene Sanktionen aufgehoben wurden. Tinkow hatte diese Woche einen Sieg vor einem britischen Gericht errungen. Dieser Sieg, sagt er im Gespräch mit der «Financial Times», werde auch die Moskauer Elite ermutigen, sich gegen die Invasion von Kriegspräsident Wladimir Putin (70) in der Ukraine auszusprechen.

Der in der Schweiz wohnhafte, vom Kreml für seine Anti-Kriegs-Haltung enteignete Ex-Oligarch Oleg Tinkow.
Foto: zVg
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Westen soll Zeichen setzen

Die Sanktionen gegen ihn seien ein Fehler gewesen, «den sie jetzt behoben haben», so Tinkow. Aber das sei auch «gut» für den Westen: «Sie können anderen russischen Geschäftsleuten – die dank der Sanktionen um Putin versammelt sind – zeigen, dass man ein Zeichen setzen und Russland für die zivilisierte Welt verlassen kann.»

Noch sieht sich Tinkow als allein unter seinesgleichen. Von Beginn an hatte er Putins «verrückten Krieg» angeprangert und beklagt, dass Russland im «Faschismus» versinke. Aus Protest gab er seine russische Staatsbürgerschaft auf.

Wegen seiner Anti-Kriegs-Äusserungen brachen mehrere andere russische Milliardäre die Freundschaft mit ihm. «Viele von ihnen haben aufgehört, mit mir zu sprechen, weil sie Angst haben», so Tinkow. «Mit anderen habe ich aufgehört zu reden, weil sie feige sind.»

Wohnsitz Schweiz

Jetzt hofft er, Russlands Oligarchen dazu zu bewegen, sich gegen Putin zu wenden. «Sie müssen sich einen Stuhl aussuchen und sich darauf setzen. Zwischen zwei Stühlen zu sitzen, wie sie es in den letzten 30 Jahren getan haben, als Freunde von Putin, funktioniert nicht mehr.»

Auch andere Russen würden Sanktionen anfechten und aber weiterhin Geschäfte mit Russland tätigen. «Ich weiss nicht, wie sie das machen können», rätselt Tinkow.

Tinkow hat Russland offenbar seit einer Leukämie-Diagnose im Jahr 2019 nicht mehr besucht. Er lebt in der Schweiz und verlor im vergangenen Jahr seine Anteile an seiner Bank Tinkoff. Der Kreml zwang ihn wegen seiner scharfen Kritik am Krieg zu einem «Notverkauf». Es ist unklar, ob Tinkow die Schweizer Staatsbürgerschaft besitzt.

Grösster Vermögenstransfer seit Ende der Sowjetunion

Die bevorzugte Strategie der meisten anderen russischen Tycoons bleibt, auf Frieden zu hoffen und dabei direkte Kritik an Putin zu vermeiden. Die Angst ist real, aufgrund von ein paar kritischer Worten das gesamte Vermögen zu verlieren.

Gegenüber der «Financial Times» wollen mehrere Oligarchen erklärt haben, sie wären bereit, sich direkter gegen Putin und den Krieg auszusprechen, wenn der Westen ihnen einen klaren Weg zur Aufhebung der Sanktionen aufzeige.

Doch eineinhalb Jahre nach Beginn des Kriegs ist der Kreml zu einer Belohnungsstrategie für treue russische Geschäftsleute übergegangen. Die Loyalität von Oligarchen wird mit Versprechen erkauft, durch die Übernahme westlicher Firmen in Russland noch reicher zu werden. Derzeit findet im Land der grösste Vermögenstransfer seit dem Ende der Sowjetunion und dem Beginn des Kapitalismus in den 1990er Jahren statt.

Russisches Roulette

Doch auch heute linientreue Oligarchen kann der Kreml jederzeit enteignen. Tinkow: «Meine sibirische Intuition sagt mir, dass auch ihr Vermögen verstaatlicht werden wird. Es ist nur eine Frage der Zeit.» Er glaube «nicht, dass Russland unter Putin eine langfristige Zukunft hat, denn diese Vermögenswerte werden ständig hin und her geschoben. Es gibt kein Gesetz, keine Gerichte. Heute gewinnt man, morgen verliert man – es ist russisches Roulette.»

Doch auch für ihn, von Sanktionen befreit im Westen, sei das Leben nicht einfach. Die Sanktionen hätten ihm das Leben schwerer gemacht hätten als den Geschäftsleuten, die in Russland geblieben seien, von denen viele immer noch nach Europa reisen. «Die Tinkoff-Geschäftsleitung und andere sind alle in St. Tropez im Urlaub. Und ich habe umsonst gelitten.»

«Weiss nicht, ob Putin mich umbringt»

«Anstatt ein Held für England und Europa zu sein, habe ich mich in Gefahr begeben, und das tue ich immer noch», schliesst Tinkow das am Freitag geführte Interview. «Ich weiss nicht, ob Putin mich dafür umbringen will oder nicht.»

Putins Regimefreunde «sitzen in St. Tropez, leiten die Bank und reisen durch die Welt. Das ist nicht fair.» (kes)

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