Mit Hacks und Geheimdienst
Wie die Ukraine den ersten Cyber-Krieg gewinnen will

Slava Banik ist einer der wichtigsten Männer im ukrainischen Ministerium für digitale Transformation. Er will, dass das Leben in Russland «richtig unangenehm» wird. Uns erklärt er, wie ukrainische Hacker arbeiten – und wie der «zivile Geheimdienst» funktioniert.
Publiziert: 21.01.2023 um 19:17 Uhr
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Aktualisiert: 21.01.2023 um 20:55 Uhr
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Samuel SchumacherAusland-Reporter

Ihre Angriffe treffen Russland weit hinter der Frontlinie, ihre Attacken zielen direkt auf das Volk in Putins Reich: Mehr als 300'000 Freiwillige kämpfen mit ihren Computern in der IT Army of Ukraine. Doch ihre Schlacht schlagen sie meistens abseits der Hauptkampfbühnen.

Doch gekämpft wird im Ukraine-Krieg nicht nur in Bachmut und um Cherson, sondern eben auch im digitalen Raum. «Das ist der erste Cyberkrieg in der Geschichte dieses Planeten», sagt Slava Banik (32), Chef-Entwickler beim ukrainischen Ministerium für digitale Transformation. Kaum einer kennt die Hacker-Szene im Kriegsland besser als er.

In einer Cafeteria in Davos GR erzählt er uns von seiner Mission: «Das Leben in Russland soll richtig unangenehm werden. Das russische Volk soll den Krieg spüren und nicht meinen, dass es ungeschoren davonkommt», erörtert der junge Mann im blauen Hoodie.

Slava Banik und sein Team haben die IT Army of Ukraine ins Leben gerufen.
Foto: Samuel Schumacher
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«Das Leben in Russland soll richtig unangenehm werden. Das russische Volk soll den Krieg spüren, dass es nicht ungeschoren davonkommt.»
Slava Banik
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2019 kam der einstige Digital-Marketing-Unternehmer zum neu geschaffenen Ministerium für digitale Transformation. Dessen Ziel: Die Bürokratie in der Ukraine abschaffen und sämtliche staatlichen Pflichten und Dienstleistungen mit ein paar wenigen Klicks zugänglich machen – vom Einreichen der Steuererklärung über Eheschliessungen oder Firmengründungen.

Die halbe Welt hackt mit

Doch dann kam der Krieg und stellte alles auf den Kopf. «In kaum einem Land gibt es so viele IT-Spezialisten wie in der Ukraine», so Banik. Es ging nicht lange, bis sich tausende von ihnen zur inoffiziellen IT-Armee der Ukraine zusammenschlossen. Heute zählt die digitale Truppe Hunderttausende anonyme Freiwillige. Sie kämpfen aus ihren kalten Stuben und Raketenbunkern rund um die Uhr gegen Wladimir Putin (70) und dessen Schergen. Ähnliche Gruppierungen gibt es natürlich auch auf der russischen Seite. Doch deren Angriffe sind bislang weniger heftig, als Kiew zu Beginn des Krieges noch befürchtet hatte.

Als besonders effizient haben sich für die ukrainische IT-Armee sogenannte «Distributed Denial-of-Service»-Attacken (DDoS) gezeigt. Dabei fluten Computer-User mit massenhaften Zugriffsanfragen eine bestimmte Website, bis das System überlastet ist und zusammenbricht. Mitwirken tun dabei nicht nur Ukrainerinnen und Ukrainer. Der englischsprachige Telegram-Account der IT-Armee, über den sich all jene organisieren, die kein Ukrainisch sprechen, hat beinahe gleich viele Follower wie der Originalaccount.

Sogar Putins Website haben sie geknackt

Ins Visier genommen haben die Digitalsoldaten einerseits russische Firmen und Institutionen: Diese Woche etwa legten sie einen Teil der Russischen Regionalen Entwicklungsbank lahm und verhinderten, dass deren Kunden mit ihren Bankkarten bezahlen konnten. Drei Tage nach Kriegsausbruch gelang es ihnen sogar, kurzzeitig Putins offizielle Website zu hacken. «Alles ist unter Attacke.» Wenn Banik lächelt, blitzt seine silberne Zahnspange im grellen Cafeteria-Licht auf. Und Grund zum Lächeln gibt es für ihn allemal.

Erst kürzlich ist es den Hackern der IT-Armee gelungen, das russische Youtube «Rutube» zum Absturz zu bringen. Immer wieder greifen sie erfolgreich Newsportale und Fernsehsender an und verbreiten darüber pro-ukrainische Meldungen. «Viel zu viele Russinnen und Russen unterstützen diesen Krieg. Also sollen sie ihn auch zu spüren bekommen», sagt Banik. Das Kalkül dahinter: Wenn das Volk vor Wut kocht, kann sich Putin nicht halten. Dann gibt es Chancen auf Frieden.

So funktioniert der «zivile Geheimdienst»

Doch die Hackerangriffe sind nur die eine Seite der digitalen Kriegsführung, mit der die Ukraine – bislang mehrheitlich abseits der medialen Bühnen – Russland zum Aufgeben bringen will. Die andere Seite: Der womöglich erste «zivile Geheimdienst» der Menschheitsgeschichte, wie ihn Banik nennt. Über die App «eBopor» (digitaler Feind) kann jede und jeder in der Ukraine verdächtige Sichtungen melden: Wenn er irgendwo russische Stellungen sieht, einen Putin-Kampfjet sichtet oder sonst etwas Merkwürdiges beobachtet.

«Das ist der Jackpot.» 450'000 Meldungen seien seit Beginn des Krieges schon reingekommen – anonym und blitzschnell. «Jede Meldung wird von einem Spezialistenteam geprüft und dann direkt an die Armee weitergeleitet», erklärt der Chef-Hacker. «Ein solches Tool hätte wohl schon früher manchen Krieg entscheiden können.»

Und was, wenn der Krieg vorbei ist? Werden sich die Kämpferinnen und Kämpfer der IT-Armee an eine mögliche Friedensvereinbarung halten? «Das schauen wir dann», sagt Banik. «Erst müssen wir gewinnen, sonst waren dann all unsere hübschen digitalen Tools für nichts.»


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