Wieder ertrinken Flüchtlinge im Mittelmeer – und die Küstenwache schaut zu
«Sie schützen die Grenzen, nicht die Menschen»

Ende Februar ertrinken vor der Küste Kalabriens 79 Flüchtlinge, weil keine Rettung kam. Am Sonntag kentert erneut ein Schlauchboot. Wieder verschluckt das Meer 30 Menschen. Nicht nur Italien, auch die EU sei schuld am Drama, sagt Migrationsexperte Christopher Hein.
Publiziert: 14.03.2023 um 11:02 Uhr
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Aktualisiert: 14.03.2023 um 12:01 Uhr
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Myrte MüllerAussenreporterin News

Die Bilder sind schwer zu ertragen. Am Strand von Steccato di Cutro, wo im Sommer Touristen ihre Sonnenschirme aufschlagen, werden 79 Leichen angeschwemmt. Jeder dritte Tote ist ein Kind unter zwölf Jahren. Es sind Menschen auf der Flucht, die in der Nacht auf den 26. Februar 2023 nur wenige hundert Meter von der kalabrischen Küste über Stunden vergebens auf Hilfe warteten.

Obwohl die akute Seenot sowohl Frontex als auch der italienischen Küstenwache bereits 24 Stunden vor dem tragischen Unglück bekannt war, erreicht kein Rettungsschiff das mit 180 Menschen hoffnungslos überfüllte Fischerboot. Erst als es auseinanderbricht und Hilfeschreie bis an den Strand zu hören sind, setzt sich die Seerettung in Gang. Warum reagierte die Küstenwache nicht früher? Schuld sei eine Kommunikationspanne zwischen Frontex und den italienischen Behörden, heisst es gegenüber den Medien.

Über 2400 vermisste Flüchtlinge im Mittelmeer

Zwei Wochen später, am Samstag, 11. März, meldet ein Flugzeug der deutschen NGO Sea Watch dem italienischen Koordinationszentrum für Seenotrettung ein überladenes Schlauchboot bei schwerem Wellengang vor der libyschen Küste. Auch die Hilfsorganisation Alarmphone leitet Hilferufe der Schiffbrüchigen nach Rom weiter.

Dieses Foto machten Mitglieder von Sea Watch am 11. März 2023 vom Flugzeug aus. Es zeigt ein gefährlich überfüllte Boot bei hohem Wellengang etwa 180 Meter vor der libyschen Küste. Ein Tag später kenterte das Boot. 30 Menschen ertranken.
Foto: keystone-sda.ch
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Wieder rückt kein Rettungsschiff aus, obwohl die libyschen Behörden die Italiener um Unterstützung bitten. Am Sonntag nähert sich endlich ein Frachter dem überladenen Boot. Dieses kentert. 17 Menschen können noch aus dem Wasser gezogen werden, 30 ertrinken. Das Flüchtlingsboot habe sich nicht in den Such- und Rettungszonen Italiens befunden, so das Argument für die Untätigkeit der Italiener.

Wie gefährlich die Flucht über das Mittelmeer ist, beweisen die Zahlen. Laut der Internationalen Organisation für Migration (IOM) verschwanden im vergangenen Jahr über 2400 Flüchtlinge bei der Überfahrt nach Italien. In diesem Jahr sind es bereits 350 Tote und Vermisste.

Ocean Viking rettet Flüchtlinge im Mittelmeer
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Reportage von der Mission:Ocean Viking rettet Flüchtlinge im Mittelmeer

Die meisten Opfer von Cutro hatten ein Recht auf Asyl

Das Sterben ändert jedoch nichts an der Flüchtlingspolitik der rechtspopulistischen Regierungskoalition unter Giorgia Meloni (46). NGOs wird das Retten erschwert. Ihre Schiffe dürfen nur bedingt in italienischen Häfen anlegen. Italien wolle keine Flüchtlinge aus dem Mittelmeer, so die Premierministerin.

Die Politik der Abschreckung habe keinen Einfluss auf die Fluchtbereitschaft, sagt Migrationsexperte Christopher Hein gegenüber Blick, «die einzige Lösung, wäre die legale Einreise». Die meisten Opfer von Cutro kamen aus Afghanistan, Syrien, der Türkei, aus dem Iran und dem Irak. «90 Prozent von ihnen hatten ein Recht auf politisches Asyl», so Hein.

Strafen für Schlepper drastisch erhöht

«Italien ist mit dieser Politik nicht allein», sagt der ehemalige Vorsitzende des italienischen Flüchtlingsrats, «bei der EU gilt die gleiche Vorgabe, Bootsflüchtlinge möglichst draussen zu lassen. Sie schützen unsere Aussengrenzen, nicht die Menschen.» Das sei auch die politische Vorlage für die italienische Küstenwache. Dabei stünde Italien, was die Flüchtlingszahlen anbelangt, in der EU an vierter Stelle, nach Deutschland, Frankreich und Spanien.

Nach Giorgia Meloni sollten die Menschen gar nicht erst die Flucht übers Meer antreten. Rom erliess deshalb am vergangenen Donnerstag ein Dekret, das die Strafen für Schlepper drastisch erhöht. Zudem, so verspricht Meloni, wolle Italien in den kommenden drei Jahren 500'000 Migranten über den legalen Weg aufnehmen, die in Italien arbeiten könnten, zum Beispiel auf den Feldern. Mehr Hilfe zur Rettung Schiffbrüchiger ist allerdings nicht erwünscht.

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