Merkel redet CDU ins Gewissen
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Eine Herzensangelegenheit:Merkel redet CDU ins Gewissen

Wo Merkel 2019 überall aufräumen muss
Das sind die Baustellen der Kanzlerin

Angela Merkel hat im nächsten Jahr viele Baustellen. Sie muss nicht nur in ihrer Regierung aufräumen, sondern auch die Europawahl in Angriff nehmen.
Publiziert: 25.12.2018 um 13:30 Uhr
In der EU knirscht es und in den USA hat Deutschland seit Trumps Präsidentschaft keinen verlässlichen Partner mehr. Deswegen muss die Kanzlerin auch international weiterhin Führungsstärke zeigen.
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Fabienne Kinzelmann

Zusammenhalt, darauf schwor Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU, 64) die Deutschen in ihrer Neujahrsansprache 2018 ein. Im neuen Jahr wollte sie soziale Probleme angehen und Ungleichheiten in der Gesellschaft reduzieren.

Doch erst im Frühjahr hatte Deutschland nach zähen Koalitionsverhandlungen überhaupt wieder eine handlungsfähige Regierung, den Sommer überschattete der Asylstreit zwischen Angela Merkel und CSU-Chef Horst Seehofer (69).

Im Herbst dann die schicksalsträchtige Bayernwahl und die Wahl in Hessen. In beiden Landtagen büssten die Unionsparteien kräftig ein, in Bayern verlor die CSU ihre absolute Mehrheit. Eine Zäsur.

Die Kanzlerin zog die Konsequenzen: Beim CDU-Parteitag am 7. Dezember in Hamburg machte sie freiwillig Platz an der Parteispitze. Das gab der Partei neuen Schwung. Das nächste Jahr wird für die Kanzlerin dennoch kein leichtes werden. 

BLICK analysiert, was Angela Merkel 2019 erwartet:

1. Die Erneuerung der CDU

Seit der Wahl von Merkel-Favoritin Annegret Kramp-Karrenbauer («AKK», 56) zur Parteichefin ging es für die CDU in den Umfragen wieder leicht nach oben. Laut den neusten Umfragen liegen die Christdemokraten bei 29 Prozent – das ist aber immer noch eine Differenz von vier Punkten im Vergleich zur Bundestagswahl 2017 (33 %).

Die Kanzlerin, die nun zum ersten Mal während ihrer Amtszeit nicht gleichzeitig auch Parteichefin ist, muss sich künftig eng mit AKK absprechen – die wiederum versucht, sich sanft von Merkel zu distanzieren. AKK möchte gerne Friedrich Merz (63) einbinden, um den Wirtschaftsflügel in der CDU ruhigzustellen. Doch die Kanzlerin hat bereits klargestellt, dass sie ihren Ex-Erzrivalen nicht zum Minister machen wird. Gleichzeitig aber kracht und knirscht es in ihrem Kabinett: Wirtschaftsminister Peter Altmaier (60) führt sein Ressort chaotisch, Ursula von der Leyen (60) arbeitet zwar effizient – ist in der CDU aber offenbar unbeliebt wie nie.

Dass ausgerechnet zwei ihrer Vertrauten als Minister nicht glänzen, ist für Merkel schwierig. Und die Frage ist noch immer, ob sie ihre Amtszeit – gewählt ist sie bis 2021 – zu Ende machen oder das Steuer vorher an AKK übergeben wird. Das könnte allerdings nicht nur in der Partei, sondern auch im Land und in der EU eine tiefe Krise auslösen, prophezeite der Soziologe Oliver Nachtwey Anfang Dezember in der «New York Times».

2. Ein Schicksalsjahr für die EU

Im nächsten Jahr wird es ganz besonders um Europa gehen. Im Mai ist die Europawahl. Kurz davor – spätestens am 29. März – will mit Grossbritannien erstmals ein Land aus der EU austreten. Italien baut neue Schulden auf und Merkels engster Verbündeter in der EU, Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron (41), kämpft mit innenpolitischen Spannungen. Die Gelbwesten-Proteste werden zwar kleiner, doch die sozialen Ungleichheiten in Frankreich sind längst nicht behoben.

Gleichzeitig gefährden osteuropäische Länder durch Abschottung und antidemokatische Vorstösse die europäische Idee: Die nationalkonservative Regierung in Polen will das Verfassungsgericht entmachten und hat sich darum mit Brüssel überworfen, in Rumänien fördert eine postkommunistische Regierung durch rückwärts gewandte Reformen korrupte Politiker, und in Ungarn hat Ministerpräsident Viktor Orban die Medienfreiheit und die Unabhängigkeit von Gerichten massiv eingeschränkt.

Angela Merkel muss es darum 2019 schaffen, eine nachhaltige Vision von Europa zu entwickeln, und eine Strategie vorlegen, die die Wähler auch bei den Wahlen im Mai überzeugt. 

3. Sie muss (immer noch) den Zusammenhalt stärken

Ein tiefer Riss zieht sich durch Deutschland – und Merkel hat es trotz der Vorsätze in der Neujahrsansprache nicht geschafft, ihn zu flicken. Ende September kam es zu gewalttätigen, rechten Ausschreitungen in Chemnitz, die Flüchtlingsdebatte spaltet noch immer die Nation. Die AfD hat ihr erstes Jahr im Bundestag hinter sich. Eine Klage gegen Merkels Flüchtlingspolitik haben die Rechtspopulisten allerdings verloren.

Immerhin: Der Mindestlohn steigt um 42 Cent, auch Familien haben durch mehr Kindergeld und die Senkung der Einkommenssteuer netto mehr in der Tasche. Die soziale Ungleichheit ist damit aber noch nicht beseitigt.

Der Stadt-Land-Graben hat sich beispielsweise nicht verbessert. Neu-Parteichefin AKK fordert: Es braucht 5G an jeder Milchkanne! Denn Fakt ist: In Sachen Digitalisierung hängt Deutschland hinterher. Da hat die Kanzlerin noch viel vor sich, bevor sie beruhigt abtreten kann.

4. International darf sie nicht nachlassen

Die USA rütteln am Atomabkommen mit Russland, der Ukraine-Konflikt ist wieder aufgeflammt, und der Klimawandel muss jetzt gestoppt werden – bevor es zu spät ist. In der EU knirscht es an vielen Ecken (siehe Punkt 2), und in den USA hat Deutschland seit Trumps Präsidentschaft keinen verlässlichen Partner mehr. Deswegen muss die Kanzlerin auch international weiterhin Führungsstärke zeigen.

Durch das Normandie-Format, bei dem Deutschland und Frankreich mit der Ukraine und Russland am Tisch sitzen, müsste Angela Merkel im Ukraine-Konflikt noch mal alle Vermittlungskräfte aufbieten. Sollte sie tatsächlich im Herbst bereits als Kanzlerin zurücktreten, würde sie den festgefahrenen Konflikt sonst ohne Fortschritt an ihren Nachfolger weiterreichen. Wichtig wird für sie aber der Kampf für internationale Solidarität und Zusammenarbeit.

Das umstrittene Migrationsabkommen und der Flüchtlingspakt wurden zwar von der internationalen Staatengemeinschaft gebilligt, und auch in Sachen Klimaschutz wurde nach dem Weltklimagipfel ein Durchbruch erzielt – jetzt geht es aber darum, die Abkommen auch in die Praxis umzusetzen. Das bedeutet, nicht zuletzt im eigenen Land möglicherweise unbeliebte Reformen anzugehen. Ein Blick nach Frankreich zeigt, vor welche Herausforderungen das Staatschefs stellen kann: Die gewalttätigen Gelbwesten-Proteste, die Emmanuel Macron seit Wochen auf Trab halten, entzündeten sich an Demonstrationen gegen eine Ökosteuer auf Diesel und Benzin.

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