Das war Wolfgang Schäubles bewegte Polit-Karriere
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Bundeskanzler war er nie:Das war Wolfgang Schäubles bewegte Polit-Karriere

Wolfgang Schäuble (†81) war der hartnäckigste Politiker Deutschlands
Nicht einmal zwei Schüsse konnten ihn stoppen

Kaum ein anderer deutscher Politiker zeigte für die Schweiz so viel Verständnis wie Wolfgang Schäuble. Nun ist der CDU-Mann, der nach einem Attentat im Rollstuhl sass, friedlich eingeschlafen. Er prägte die europäische Politik über ein halbes Jahrhundert.
Publiziert: 27.12.2023 um 13:27 Uhr
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Aktualisiert: 27.12.2023 um 18:26 Uhr
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Guido FelderAusland-Redaktor

Einer der grössten Politiker Europas ist für immer abgetreten. Am Dienstagabend ist der frühere deutsche Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble im Alter von 81 Jahren im Kreise seiner Familie in Offenburg friedlich eingeschlafen. Der CDU-Vertreter war ein Politiker, dem es immer um die Sache ging: ob bei der deutschen Wiedervereinigung, dem Finanzstreit mit der Schweiz oder der Euro-Krise mit Griechenland.

Schäuble wirkte 51 Jahre ununterbrochen im Deutschen Bundestag. Das ist Rekord. Keiner kannte die deutsche Politik so gut wie er, kaum ein Politiker verfolgte derart hartnäckig seinen Weg. Selbst als ihn 1990 ein geistig verwirrter Mann bei einer Wahlkampfveranstaltung im baden-württembergischen Oppenau mit Schüssen in Kiefer und Rückenmark lebensgefährlich verletzte, warf ihn das nicht aus der Bahn. Nur sechs Wochen später nahm er seine politische Arbeit wieder auf – querschnittgelähmt im Rollstuhl.

Der verhinderte Kanzler

In seiner Politzeit amtete Schäuble in mehreren Ministerposten und von 2017 bis 2021 in der Funktion des Bundestagspräsidenten als moralische Instanz des Parlaments. Nur das Kanzleramt blieb ihm verwehrt, weil er zu loyal mit dem damaligen Regierungschef Helmut Kohl (1930–2017) umging: Mit Kohl bereitete Schäuble die deutsche Wiedervereinigung vor, mit Kohl geriet er aber auch in die Parteispendenaffäre.

Der deutsche Politiker Wolfgang Schäuble ist am Stefanstag gestorben.
Foto: AFP
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Während der Ära Kohl hatte Schäuble vom Waffenlobbyisten Karlheinz Schreiber eine Parteispende von 100'000 D-Mark entgegengenommen. Dies kostete ihn nicht nur den Parteivorsitz, sondern auch die spätere Kanzlerschaft. Wer profitierte? Seine Generalsekretärin Angela Merkel (69), die Schäuble dann 2005 zum Innenminister und vier Jahre später zum Finanzminister ernannte.

Der heutige CDU-Chef Friedrich Merz (68) ist überzeugt: «Er wäre zweifelsohne ein guter deutscher Bundeskanzler gewesen.»

Verständnis für die Schweiz

Anders als für andere führende deutsche Politiker zeigte der in Freiburg im Breisgau geborene evangelisch-konservative Schäuble Verständnis für den Sonderweg der Schweiz. Während etwa SPD-Finanzminister Peer Steinbrück (76) mit der Kavallerie drohte, setzte sich Schäuble in Brüssel dafür ein, dass mit Bern respektvoll umgegangen und der Handel ausgebaut wurde.

Der Bundesrat lernte Schäuble allerdings als harten Verhandler kennen, als es um das Steuerabkommen zwischen den beiden Ländern ging. Der Vertrag gilt als Meilenstein im Finanzstreit. Er regelt die Besteuerung von deutschen Steuerpflichtigen in der Schweiz und brachte mehr Transparenz.

Schweiz-Versteher Schäuble sparte auch nicht mit sachlicher Kritik am südlichen Nachbarland. In einem Blick-Interview im Mai 2023 sagte er: «Wenn ein so brutaler Angriffskrieg gegen die Ukraine stattfindet, dann finde ich, dass die Schweizer Verpflichtung zur immerwährenden Neutralität neu diskutiert und entschieden werden sollte.»

Harter Verhandler

Als Finanzminister war Schäuble im Element. Als ehemaliger Sparkassen-Praktikant, nach einem Studium der Rechts- und Wirtschaftswissenschaften und als Wirtschaftsprüfer und Finanzbeamter wusste er, was es für einen ausgeglichenen Haushalt braucht. Er bekämpfte die Euro-Krise mit Engagement, aber auch mit derartiger Autorität, dass er in Griechenland zum Feindbild wurde und sich mit dessen Finanzminister Yanis Varoufakis (62) verkrachte.

Schäuble war 54 Jahre lang mit Ingeborg Schäuble (80) verheiratet, mit der er vier Kinder und vier Enkelkinder hatte. Während all seiner Jahre an der Öffentlichkeit hat er es verstanden, Arbeit und Privatleben zu trennen und seine Familie im Hintergrund zu halten. In den Schlagzeilen war Ingeborg aber, als sie im Sommer mit dem Velo gestürzt war und sich schwer verletzte.

Ehrendoktor in Freiburg

Seine Kolleginnen und Kollegen würdigen Schäuble, der laut «Bild» über Jahre an Krebs gelitten haben soll, als «scharfen Denker, leidenschaftlichen Politiker und streitbaren Demokraten» (SPD-Kanzler Olaf Scholz), «engsten Freund und Ratgeber» (CDU-Chef Friedrich Merz), «grossen Staatsmann» (CDU-Vize Jens Spahn) und «Ausnahmemensch» (CDU-Finanzchefin Julia Klöckner).

Schäuble war weit über die Partei- und Staatsgrenzen hinaus anerkannt und geschätzt. Zahlreiche Preise und Auszeichnungen krönen sein Engagement, darunter die Ehrendoktorwürde der Schweizer Universität Freiburg sowie die Ehrenbürgerschaften von Berlin und Offenburg. Er war für viele Politikerinnen und Politiker ein Vorbild. Und für die Schweiz ein Freund.

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