Zu viele Gäste, zu wenig Personal – Hotelier Franco Masanti (74) aus Italien klagt
«Die Schweizer schnappen uns mit Kleinbussen die Arbeitskräfte weg»

Nach zwei Jahren Pandemie boomt der Tourismus. Auch in Italien. Dennoch ist die Branche in der Krise. Grund: Es fehlen Kellner, Küchenhilfen, Bartender. Landesweit können nur sechs von zehn Arbeitsplätzen besetzt werden.
Publiziert: 24.06.2022 um 20:38 Uhr
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Aktualisiert: 24.06.2022 um 20:43 Uhr
Myrte Müller

Paolo Bernasconi (45) ist im Stress. Gläser polieren. Einschenken. Auf die Terrasse tragen. Bestellungen aufnehmen. Da bleibt kaum Zeit für ein Schwätzchen. Schon mit den ersten Sommertemperaturen füllt sich die «Ittico Fish Bar» direkt am Ufer des Lago Maggiore. «Ohne Reservierung geht schon jetzt gar nichts mehr. Wir sind mittags und abends immer ausgebucht», sagt der Wirt des hippen Strandlokals in Pallanza (I). Doch so richtig freuen kann sich Paolo Bernasconi über den tollen Saisonstart nicht. Denn ihm fehlen die Kellner. Seine verzweifelte Suche nach Personal blieb bislang erfolglos. «Wir schaffen den Gästeandrang nicht, müssen nun Tische wegnehmen», sagt der Besitzer des kleinen Fischrestaurants.

Man fände kaum jemanden für den Service, für die Küche, für den Saal, klagt auch Hotelier Valerio Cattaneo (56). «Dabei haben wir noch Glück. Wir haben jahrelange, treue Mitarbeiter, die jede Saison wieder kommen. Das liegt auch daran, dass wir besser zahlen als andere Häuser in der Region», so der Besitzer des Hotels Ghiffa im gleichnamigen Ort. Doch gegen die Konkurrenz in der Schweiz könne man nicht anklotzen. «Die Gehälter im Tessin sind doppelt so hoch wie bei uns.» Das liege auch an den viel zu hohen Sozialabgaben, die der italienische Staat vom Arbeitgeber fordert. «Mehr Lohn ist einfach nicht drin», so Valerio Cattaneo. Ausländer hätten zudem Mühe, Arbeitsbewilligungen zu erhalten. «Gott sei Dank habe ich über einen privaten Kontakt eine Ukrainerin gefunden, die aus ihrer Heimat geflüchtet ist und einen Job suchte. Sie spricht sogar ein wenig Italienisch.»

Familienbetriebe sind am besten dran

Zerknirscht beobachtet Hotelbesitzer Franco Masanti (74) das Kommen und Gehen seiner Landsleute. Sein Hotel Andossi steht im Wintersportort Madesimo im Bündner Grenzgebiet. Jetzt beginnt die Wandersaison. Der Betrieb wird auf Vordermann gebracht. Doch es herrscht Personalnot.

Die Arbeit sei seit Ende der Lockdowns um 30 bis 35 Prozent gestiegen. Nur Mechaniker und andere Arbeitskräfte gäbe es kaum welche, sagt Bootsverleiher Fabio Galli aus Pallanza (I).
Foto: Myrte Müller
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«Die Fachkräfte aus meiner Gegend arbeiten alle in der Schweiz», sagt der ehemalige Gemeindepräsident, «die Schweizer Hotels holen sie morgens mit Kleinbussen aus dem Chiavenna-Tal, fahren sie in die Hotels nach Sankt Moritz und bringen sie am Abend zurück». Die heimischen Hoteliers schauen derweilen in die Röhre. «Ich habe gerade zwei 18-jährige Stifte einstellen können. Mehr nicht. Die Hauptarbeit machen meine Söhne, meine Frau und ich», sagt Franco Masanti. Es würden in der Gegend nur noch die Familienbetriebe funktionieren. «So manches Hotel hat nun auf B&B umgestellt.»

Nur sechs von zehn Arbeitsplätzen besetzt

Man könne die Italiener ja verstehen, die in der Schweiz arbeiten, sagt Fabio Galli (59), «ich würde es ja auch tun». Doch es sei nicht nur die Konkurrenz jenseits der Grenze schuld am Missstand. Fabio Galli hat eine Werft in Pallanza. «Ich verkaufe, warte und vermiete Boote», sagt der Italiener, «nach den Lockdowns begann der Boom. Die Menschen zog es auf den See». Seitdem habe die Arbeit um 30 bis 35 Prozent zugenommen. Nun suche er händeringend Mechaniker, eine Bürokraft und Hilfe für die Hallen.

«Es sind keine Fachkräfte zu haben. Früher hatte ich eine Auswahl von fünf, sechs Personen. Jetzt muss ich nehmen, was ich kriegen kann. Meist sind die Leute nicht vom Fach. Ich muss sie erst anlernen», sagt der Bootsverleiher. Auch in der «Marina di Pallanza» helfen Ehefrau und Neffe mit. «Vor der Pandemie begann der Staat, ein sogenanntes Grundeinkommen an sozial Schwächere zu zahlen», erklärt Fabio Galli weiter, «damit blieben viele junge Leute zu Hause. Sie wollen allenfalls ein paar Stunden schwarz arbeiten. Das geht bei mir natürlich nicht. Sie lernen keine richtigen Berufe mehr». Die echten Profis seien mittlerweile älter und nicht mehr so belastungsfähig.

Es trifft in der Tourismusbranche nicht nur das Grenzgebiet zur Schweiz, sondern das gesamte Land. Gemäss dem Verband «Assoturismo Confesercenti» drohen Verluste in Höhe von 6,5 Milliarden Euro. «Die strengen Lockdowns und die schleppende Auszahlung des Kurzarbeitergeldes haben viele in andere Branchen getrieben», sagt Präsident Vittorio Messina (56). Und Amtskollegin Marina Lalli von «Federturismo-Confindustria» schätzt unterdessen: «Nur sechs von zehn Arbeitsplätzen werden heute besetzt.» Genauer werden die Gewerkschaften «Unioncamere» und «Anpal». Zwischen Mai und Juli würden in Hotellerie, Gastronomie und touristischen Einrichtungen 387'720 Arbeitskräfte gesucht.

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