Winterreifen testen mitten im Sommer
Die coolste Teststrecke der Welt

Im Norden Schwedens befindet sich die coolste Teststrecke der Welt. Nicht nur, weil die Strecke auch Spass bietet, sondern weil sie das ganze Jahr über schneebedeckt ist – auch im Sommer.
Publiziert: 09.07.2022 um 04:19 Uhr
Martin A. Bartholdi

Piteå ist ein Ferienort am Bottnischen Meerbusen, dem nördlichsten Ausläufer der Ostsee an Schwedens Küste. Touristinnen und Touristen reisen meist aus Nord-Norwegen und Schweden an, um Sonne und Meer zu geniessen. Pünktlich zum Mittsommer-Fest trübt keine Wolke den Himmel – bei 28 Grad Celsius.

Trotzdem ziehe ich eine dicke Winterjacke mit wärmendem Futter und dickem Kunstpelz an der Kapuze an. Und ich bin schon nach den ersten knirschenden Schritten in Richtung Auto froh darum. Denn das Auto steht nicht draussen in der Sonne, sondern in einer Halle der schwedischen Firma Arctic Falls. Darin ist es rund minus acht Grad kalt und der Boden komplett mit Schnee bedeckt!

Gross wie zwei Fussballfelder

Seit 2016 hat Arctic Falls diese Teststrecke in Piteå in Betrieb. Es begann mit einer 400 Meter langen Geraden für Beschleunigungs- und Bremstest. Davon sind 290 Meter bedeckt mit Schnee, zehn Meter Asphalt und 100 Meter Eis. Zwei Jahre später wurde die Anlage um eine Halle mit 10'000 Quadratmeter ergänzt, in der verschiedene Layouts für Teststrecken möglich sind. Insgesamt bietet die Anlage auf 16'000 Quadratmeter das ganze Jahr über Testfahrten auf Schnee und Eis an. 16'000 Quadratmeter, das ist grösser als zwei Fussballfelder.

Mitten in dieser schwedischen Frühlings- und Sommerlandschaft herrscht auch bei 28 Grad noch tiefster Winter.
Foto: Marcel Köppe by www.marcelkoeppe.se
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Die Temperatur lässt sich zwischen minus drei und minus zwölf Grad einstellen und macht die Anlage zur coolsten Ganzjahres-Teststrecke der Welt. Dank der Schneekanonen lässt sich die Piste mit feuchter oder trockener weisser Pracht garnieren. Sogar Steigungen und diverse Untergründe gibt es, und obendrein Kältekammern, um Fahrzeuge und Ausrüstung auf bis zu minus 30 Grad zu kühlen. Auch die Pneus. Deshalb mietet sich Pirelli etwa alle zwei Monate in Piteå für rund eine Woche ein, sagt Pirelli-Entwicklungsmanager Paolo Brivio.

Drinnen konstantes Wetter

Die Testhalle ist sogar besser als «echter» Winter. «Hier können wir konstante Bedingungen schaffen, die sich nicht je nach Wetterlage verändern», erklärt Brivio. «In der Halle können wir die Testergebnisse besser vergleichen und wiederholen.» Im Freien können schon am Nachmittag andere Bedingungen herrschen, weil Schnee fällt oder Sonne scheint. Das passiert in der Halle nicht.

Dass die Testhalle nicht von den Jahreszeiten abhängig ist, ist heute wichtig – denn nicht nur in der Schweiz wird der Winter immer kürzer. Auch in Schweden sind die offenen Schnee- und Eis-Pisten jedes Jahr ein paar Tage später bereit und müssen ein paar Tage früher schliessen. Damit wird die Halle sehr wichtig.

Fahren wie auf Echtschnee

In der Halle kann ich mitten im Sommer die neuen Scorpion-Winterreifen für SUVs testen (hier gehts zum TCS-Winterreifentest), die diesen Winter seitens Pirelli in den Handel kommen. Die Rillen auf dem Reifen hätten aneinander eine Länge von etwa 51 Metern: Das ist zwanzig Prozent mehr als beim Vorgänger. Wenig überraschend, halten die neuen Scorpion-Pneus sehr gut auf Schnee. Umso erstaunter bin ich, wie authentisch der Kunstschnee in der Halle sich befährt. Alles fühlt sich beim Fahren an, wie wir es auf Schnee erwarten.

Der abgesteckte Kurs soll eine Innerorts-Strecke simulieren und bietet eher enge und langsame Kurven. Wenn ich diese nicht schneller als 50 km/h fahre, bieten die Reifen guten Grip und machen genau, was ich will. Wenn ich mich verschätze, greift das ESP ein. Bin ich zu schnell, rutscht das Auto wie immer auf Schnee aber irgendwann einfach nur noch. Also vom Gas, bis das Auto langsam genug ist, um Grip aufzubauen. Eben ganz wie im Winter gewohnt.

Die Branche steht Schlange

Die Anlage steht nicht nur Reifenherstellern, sondern der ganzen Autoindustrie zur Verfügung – und die steht Schlange, denn alle nutzen diese Ganzesjahres-Winterstrecke gerne. Vor der Halle stehen schon mehrere neue Modelle, um sich nach Pirelli auf Schnee auszutoben – während nur weniger Meter entfernt die Schwedinnen und die Norweger den heissen Sommer am Meer geniessen.

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