10 S-Klassen in 66 Jahren
«Das beste Auto der Welt»

Vor 66 Jahren machte sich die Mercedes S-Klasse auf, zur Luxuslimousine schlechthin zu werden. BLICK blickt auf zehn Generationen S-Klasse zurück, auf Erfindungen und Anekdoten – und einen wortwörtlich riesigen Image-Fail.
Publiziert: 19.09.2020 um 03:30 Uhr
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Aktualisiert: 19.03.2021 um 15:36 Uhr
Timothy Pfannkuchen

1954: Zapfen-Streich

Foto: Daimler/zVg

Man kann streiten, welche die erste S-Klasse war. Sogar Mercedes nennt oft, aber eben nicht immer jene von 1965. Wir sagen: Der 1954er «Ponton» als längere «Sonderklasse» (daher das S) wars. Zwar gabs diese Sechszylinder auch als 220 ohne das S oder als vergessenes Budgetmodell 219, aber begehrt waren 220 S und 220 SE mit bis zu 115 PS. Alle hatten Keilzapfen-Türschlösser: Als noch niemand Gurten trug, hielten sie beim Crash die Türen zu und die Passagiere drinnen.

1959: Flossen-Schlag

Foto: Daimler/zVg

Die «Heckflosse», intern Baureihe W 111/112, war zwar nur etwas länger und trug andere Lampen als die sonst baugleichen Mittelklasse-Limos (weshalb man heute oft «Grosse Flosse» zu ihr sagt) – aber hatte Erfindergeist in den bis zu 170 PS (im luftgefederten 300 SE). Beim Design, weil sich die konservativen Schwaben Style getrauten mit ihren verschämt als «Peilstegen» deklarierten Heckflösschen. Und weil hier die lebensrettende Sicherheitszelle mit Knautschzonen Weltpremiere feierte.

1965: Die Rote Sau

Foto: Daimler/zVg

Nun bekam der S eine völlig eigene Karosserie und optional acht statt «nur» sechs Zylinder. Eleganz macht den 108er (W 108/109) heute zu einem gefragten Oldie. Und als 300 SEL 6.3 (Bild) war er ein 250-PS-V8-Überflieger. Zum Vergleich: Die Basis 250 S hatte 130 nicht vollgasfeste PS, was dem Herrn Bankdirektor locker reichte. Später wurde der 6.3 als «Rote Sau» zum AMG-Rennwagen 6.8. Und zwecks Überholprestige wurden die Halogen-Doppelscheinwerfer des 6.3 als Ersatzteil so begehrt, dass man sie bald als Option bekam und heute fast alle 108er sie tragen.

1972: Die Kanzler-Karre

Foto: zVg

«Helmut Schmidt in Blech» nannte eine Fachzeitung den wie der damalige deutsche Bundeskanzler breit grinsenden W 116. Aber wie auch Schmidt (1918–2015) konnte sich der 116er dank Kompetenz Arroganz erlauben: In dieser ersten S-Klasse, die Mercedes selbst offiziell so nannte, debütierten das elektronische Antiblockiersystem (ABS) und der PW-Turbodiesel. Als 450 SEL 6.9 mit 286 PS in der Presse als «Das beste Auto der Welt» bejubelt, rettete der 116er FC-Bayern-Torwart Sepp Maier (76) beim Crash und dem Nato-General Frederick Kroesen (1923–2020) beim Panzerfaust-Anschlag das Leben.

1979: Mehr als heisse Luft

Foto: zVg

Das S-Klasse-Design ist immer abwechselnd zeitgeistig oder so klassisch wie die Baureihe W 126. Diese Stil-Ikone ist noch heute elegant mit ihren seitlichen, nach ihrem Chefdesigner Bruno Sacco (86) benannten «Sacco-Brettern». Viel wichtiger: Nachdem der Airbag von GM gefloppt war, startete bei Benz 1981 der Siegeszug des Luftsacks. Und sogar ein Siegeszug gegen Rassismus: Als Anti-Apartheid-Kämpfer Nelson Mandela (1918–2013) nach 27 Jahren Haft in Freiheit kam, bauten ihm südafrikanische Benz-Arbeiter aus von Mercedes gratis gestellten Ersatzteilen nach Feierabend einen roten 126er zusammen, den Mandela bis 1998 fuhr.

1991: Mehr als nur breit

Foto: Daimler/zVg

Der W 140 startete ins Image-Aus: Die als «Panzer» verhöhnte S-Klasse gabs nun sogar mit V12, aber sie war so in die Breite gegangen, dass sie nicht auf Autozüge passte, hinten peinliche ausfahrbare Peilstäbe zum Parkieren brauchte und Käufer in der Einzelgarage mangels Platz zum Aussteigen gefangen hielt. Doch verkaufte sie sich gut, weil sie technisch top war: Hier kam das Elektronische Stabilitätsprogramm (ESP) zur Welt! Ironie der Autogeschichte: Was 1991 fett war, ist heute schon bei Kompaktwagen fast das Normalmass: Die S-Klasse war damals 1,89 Meter breit.

1998: Ohne Schlüssel

Foto: Daimler/zVg

Auto per Anfassen des Türgriffs öffnen? Heute normal. Erfunden hat es der W 220 als «Keyless-Go». Auf der Autobahn dem Radar-Tempomaten Geschwindigkeit, Abstand, Bremsen und Gasgeben überlassen? Ebenfalls heute normal. Nach vielen Versuchen anderer Hersteller etablierte diese S-Klasse (zeitgleich mit Jaguar) das Gefahrenwerden. Auch spritsparende Zylinderabschaltung und fernschliessender Kofferraum waren schon drin.

2005: Ohne Konkurrenz

Foto: Daimler/zVg

Die frühen 2000er-Jahre waren bei Mercedes innovativ nicht die stärksten – auch nicht in der Baureihe W 221: Wie fünf Jahre zuvor bei Cadillac war das Nachtsicht-Gerät ein Unnützchen. Aber das erste beim Notbremsen rasant blinkende Bremslicht setzte sich durch, im Gegensatz zur ersten Vierzylinder-Variante eines S. Aber wie heute, so damals: Kein Konkurrent kommt an den Absatz der Luxuslimo schlechthin dran. Der BMW 7er liegt stets dahinter, und der Audi A8 fährt deutlich hinterher.

2013: Es werde LED-Licht

Foto: Daimler/zVg

Eine Kamera «liest» die Piste, stellt die Federung ein. Effekt: Auf Temposchwellen federn nur die Räder ein, die Karosse bleibt unbewegt. Das gefiel Kunden – und darum Mercedes: Experten schätzen, dass die S-Klasse einst ein Drittel, heute ein Fünftel der Stern-Einnahmen bestreitet. Trotz damals noch teurer LED-Invasion: Der W 222 – eigentlich W/V 222, die Langversionen tragen intern ein V – war das erste Auto, an dem nur Leuchtdioden (LED) statt Glühbirnen strahlten. Fortschritt macht die S-Klasse-Kunden so loyal: Vier von fünf kaufen wieder einen S. Und apropos Langversionen: Weltweit greifen 90 Prozent der Kunden zur längeren S-Klasse.

2020: Es werde Pixel-Licht

Foto: Daimler/zVg

Ab Dezember soll der W 223 wieder zeigen, wer in der Luxusliga die Innovations-Hosen anhat (alle Details hier). Premiere feiert etwa Pixel-Licht: 2,6 Millionen Lichtpunkte projizieren sogar Warn-Symbole auf die Strasse. Voll elektrisch wird erst 2021 der EQS, aber ein Plug-in-Hybrid (Bild) mit 100 Kilometer E-Reichweite kommt. In China (grösster S-Markt noch vor den USA) sind S-Klasse-Käufer im Schnitt erst 40 Jahre alt – und erwerben zu 15 Prozent den S als ihr allererstes Auto! Gebaut wird der S aber nur in Sindelfingen (D) in der neuen Mega-Fabrik.

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