40 Jahre Audi-Allrad: Die Idee stammt aus Skandinavien
«Wer gewinnen will, muss Quattro fahren!»

Der permanente Allradantrieb Quattro revolutionierte Anfang der 80er-Jahre den Rallyesport und machte Audi zur angesehenen Sportmarke. Seine Geburtshelfer: Ex-VW-Boss Ferdinand Piëch und der kleine VW Iltis.
Publiziert: 01.11.2020 um 17:05 Uhr
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Aktualisiert: 09.08.2021 um 21:51 Uhr
Raoul Schwinnen

Der hohe Norden Finnlands ist Jörg Bensingers zweite Heimat. Oft weilt der Chef der Audi-Fahrwerksentwicklung in den 70er-Jahren mit seinen Technikern in der Kälte am Polarkreis, um auf Schnee und Eis neu entwickelte Fahrzeugkomponenten auf ihre Wintertauglichkeit zu testen. Als Bensinger wieder mal von einem solchen Trip zurück in Ingolstadt ist, blufft er bei ein paar Bier vor seinen Kollegen: Wie er mit einem leistungsschwachen VW Iltis dank Allradantrieb alle anderen Testfahrer in ihren stärkeren Audi-Fahrzeugen auf Schnee alt aussehen liess. «So was müsste man als starken Sportwagen haben», sinniert er zusammen mit Walter Treser, dem damaligen Leiter der Audi-Vorentwicklung, an der Bar. Denn bis dahin gabs Vierradantrieb nur bei LKW und Geländewagen – von Exoten wie der britischen Marke Jensen mal abgesehen.

Die Bieridee lässt die beiden nicht los, und sie werden bei ihrem Vorgesetzten Ferdinand Piëch (dem späteren VW-Konzern-Patriarchen) vorstellig. Piëch erkennt sofort das Potenzial und gibt im Februar 1977 grünes Licht für das Projekt «Allrad». Aus einem alten zweitürigen Audi 80 entsteht ein erster Prototyp mit vier angetriebenen Rädern. Kurz darauf ein zweiter, nun bereits auf Basis des neuen Audi 80. Erst der dritte, ebenfalls von Hand aufgebaute Prototyp erhält die neue, 1978 von Audi-Chefdesigner Hartmut Warkuss geschaffene Coupé-Karosserie. Der junge deutsche Rallyepilot Harald Demuth jagt den 200-PS-Turbo-Allradler wochenlang durch die Kiesgruben rund um Ingolstadt. Der Auftrag von Audi: Nicht weniger als eine neue Auto-Ära zu begründen.

Mikkola erntet die Lorbeeren

1980 wird ein weiterer Prototyp aufgebaut, nun mit der Vision, dank 4x4 den Rallyesport zu revolutionieren. Das Projekt heisst nicht mehr technokratisch Allrad, sondern werbewirksamer Quattro. Inzwischen fährt bei geheimen Tests Audi-Rallyewerksfahrer Hannu Mikkola den Prototypen – und ist begeistert. Zur Freude seines Teamchefs Piëch verkündet der Finne: «Wer gewinnen will, muss Quattro fahren.» Mikkola soll recht behalten. 1981 gewinnt Michèle Mouton im Quattro als erste und bisher einzige Frau einen Rallye-WM-Lauf. Audi gewinnt in den folgenden Jahren zweimal die Marken-Weltmeisterschaft – und Mikkola 1983 im Quattro seinen einzigen Weltmeistertitel.

Der kleine Geländewagen VW Iltis (links) stand am Ursprung der Idee für Audis später erfolgreichen Quattro-Allradantrieb.
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Demuth macht die Tests

Zum 40. Quattro-Geburtstag kam Harald Demuth (70) jetzt auf Einladung von Audi in die Schweiz, um aus dem Nähkästchen zu plaudern. Demuth spulte nicht nur Tausende Testkilometer in den allerersten Quattro-Prototypen ab, er sass auch für die gefährlichen Werbestunts am Steuer. Noch heute legendär, wie der Quattro einen Schanzentisch hochfährt – was Audi neben einem grossen Marketingeffekt auch einen Eintrag im Guinnessbuch der Rekorde bescherte. «Wir haben erst auf einer steilen Skipiste geübt, danach auf einer Schanze in Finnland gedreht», erinnert sich Demuth. «Es gab zwei Sicherungen, ein Seil plus eine Gabel, die sich bei einem Zwischenfall ins Eis krallen sollte. Je einmal versagte eine der Sicherungen, aber zum Glück nie beide zusammen», sagt Demuth heute schmunzelnd.

Röhrl ziert sich anfänglich

Schon ganz zu Beginn umwirbt Audi den deutschen Rallye-Champion Walter Röhrl. «Doch dieser zierte sich lange», erinnert sich Demuth. «Er befürchtete technische Probleme bei der noch jungen Quattro-Technik.» Und als «der Lange», wie der 1,96 m grosse Schlaks von seinen Fans genannt wurde, 1981 wieder eine Offerte ausschlägt, verärgert er den damaligen Audi-Teamchef Ferdinand Piëch. Dennoch sagt Piëch 1984: «Der Röhrl kommt ins Haus. Es ist billiger, mit ihm als gegen ihn zu fahren.» Röhrl gewinnt mit dem Quattro zwar auf Anhieb die Rallye Monte Carlo 1984, wird aber nie Weltmeister mit Audi. Harald Demuth erinnert sich: «Zu Beginn machte Walter das ‹Links-Bremsen›, also das Lenken mit dem Bremspedal, etwas Mühe. Doch schon bei der Monte hatte er den Quattro im Griff und schwärmte über die unglaubliche Traktion des Autos. Seither ist Vierradfahren das Grösste für ihn.»

Piëch regiert mit eiserner Hand

Auch an den im August 2019 verstorbenen Audi-Teamchef Ferdinand Piëch kann sich Demuth gut erinnern. «Vom kurzen Audi Quattro Sport gab es für die Strasse nur zwei schwarze Exemplare. Beide besass Piëch. Damit keiner merken sollte, wenn er an einem der beiden Autos mal wieder eine Delle reingefahren hatte.» Piëch war oft sehr schnell unterwegs. «Einmal», so Demuth, sei Piëch am frühen Morgen mit seinem schwarzen Quattro nach Ingolstadt gerast und unmittelbar vor der Werkseinfahrt mit Motorschaden liegen geblieben. «Mit hochrotem Kopf ist Piëch ausgestiegen und hat zerknirscht nur ein Wort gesagt: ‹Nachbessern!›»

Das Resultat ist hinlänglich bekannt. Den Erfolgen im Rallyesport in den 80er-Jahren folgten die Verkaufserfolge auf der Strasse. Selbst heute, 40 Jahre nach seiner Erfindung, ist der Quattro-Antrieb kein bisschen verstaubt. Und auch Audis neue Elektromodelle wie E-Tron S oder E-Tron S Sportback setzten auf Allradantrieb.

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