Ausfahrt im Citroën 2CV Döschwo
Früher war nicht alles besser

Letztes Jahr feierte Citroën das 100. Jubiläum. In diesem Jahr gehen wir mal in der Citroën-Kultkiste schlechthin auf Fahrt. Aber der Döschwo lässt uns leider spüren: Die Erinnerung verklärt vieles. Nur gut war die gute alte Zeit rückblickend nicht.
Publiziert: 23.06.2020 um 04:40 Uhr
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Aktualisiert: 24.07.2023 um 14:36 Uhr
Jürgen Wolff

Manchmal spielt uns unser Gehirn einen Streich: Wir neigen dazu, vor allem die positiven Erinnerungen zu behalten. Irgendwann sind die ersten eigenen Italien-Ferien mit einem alten Döschwo dann eine «Früher war alles besser!»-Zeit voller Glück, in der dieser Citroën 2CV uns heftig schaukelnd, aber klaglos chauffierte.

Alles Negative haben wir im Rückblick ausgeblendet – das spüren wir jetzt.

Lenkrad schleift am Schenkel

Schon das Einsteigen in den Döschwo ist heute eher ein Hineinpressen. Der zwar 3,83 Meter lange, aber nur 1,48 Meter schmale Klassiker zeigt, dass wir nicht jünger geworden sind. Wir staunen, wie eng er ist. Lag es an Schmetterlingen im Bauch, dass wir die Tuchfühlung zur Beifahrerin liebten? Die richtige Sitzposition auf den Segeltuch-bespannten Gartenstühlen – gibt es nicht: Sie lassen sich kaum verstellen. Das riesige, spindeldürre Lenkrad schleift an den Schenkeln.

Der Probefahrt-Döschwo stammt aus den späten 1950er-Jahren.
Foto: zVg
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Damals ohne Wohlstandsbauch

Sind wir in den frühen 1980er-Jahren ernsthaft so in die Sommerferien nach Rimini (I) gefahren? Zu viert? Zwar hatte Citroën 1934 ein Auto gewollt, das «Platz für zwei Bauern in Stiefeln und einen Zentner Kartoffeln oder ein Fässchen Wein» bieten möge. Aber die Bauern hatten wohl die Statur des berühmtesten Döschwo-Lenkers, des «Gendarm von Saint Tropez»-Komikers Louis de Funès (1914–1983). Der war 1,64 Meter klein und hatte keinen Wohlstandsbauch.

Lenken ist hier Kurbeln

Leider regnet es bei unserer Probefahrt, also bleibt das Rolldach jetzt zu. Aber lustig wird die Fahrt bestimmt, oder? Na ja: Beim ersten Abbiegen staunen wir, wie viel Arbeit die servofreie Lenkung macht. Lenken? Kurbeln! Gut, wird man mit dem Zweizylinderchen nie schnell. Schnattern kann die Ente gut, wobei uns das damals leiser vorkam. Und von «Beschleunigung» mag man bei 9 kW (12 PS) unseres 0,4-Liter-Hubraum-Exemplars aus den späten 1950er-Jahren nicht sprechen. Theoretisch liegen ja 80 Sachen drin – aber nach sehr viel Anlauf.

Junglenker würden verzweifeln

Die Revolverschaltung mit dem dicken Knauf hat sich damals offensichtlich tief in die Erinnerung gegraben: Der Umgang mit ihr klappt auf Anhieb erstaunlich gut, daran würden heutige Junglenker wohl verzweifeln. Nur, dass der erste Gang ja nicht synchronisiert ist. Es knirscht. An der Steigung reicht der dritte Gang nicht. Vermutlich drängelten einst am Berg aber keine Sattelzüge von hinten.

Die Federung bleibt ein Hit

Also war früher überhaupt nichts besser? Doch: Diese Federung ist noch heute ein Genuss. Schon verhaltenes Tempo sorgt in Kurven für schweren Seegang der vergnüglichen Sorte: Man lacht unwillkürlich. Die Seitenneigung ist irrwitzig und bremst ungestümen Vorwärtsdrang besser ein als jedes Tempolimit. Und immer wieder wundern wir uns, dass dieses 560-Kilo-Gefährt schlicht nicht umkippt.

Offroad besser als ein SUV

Ein angenehmer Nebeneffekt: Die üppigen Federwege wippen nicht nur jede Bodenwelle aus, der heuer 72-jähriges Jubiläum feiernde Döschwo kann sogar Gelände – die Bodenfreiheit ist besser als heute bei manchem SUV. Als Vorgabe der Entwickler galt, man müsse mit einem Korb voll roher Eier über einen Acker fahren können.

Einzigartiges Lebensgefühl

Genau 5'114'969 Stück der «fahrbaren Geistesverwirrung», wie der französische Schriftsteller Boris Vian (1920–1959) den 2CV verächtlich nannte, wurden 1949 bis 1990 gebaut. Zeitweise betrug die Lieferzeit sechs Jahre. Geblieben ist, dass er ein Lebensgefühl verströmt, zu dem die ungesund qualmende Gauloise im Mundwinkel ebenso gehörte wie das Baguette, die Flasche Rotwein und unsere Schlaghosen. Das zählt. Dafür nimmt man heute gerne Nachteile in Kauf.

Wer heute im Döschwo unterwegs sein will, muss je nach Jahrgang, Ausführung (Seltenheitswert) und Zustand ab 15'000 bis über 30'000 Franken anlegen.

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