Tagebuch: Ein Wochenende im VW Käfer
Flieg, Maikäfer, flieg!

Tollkühne Jungfahrer in alten Autos: Wie man als Rookie mit Stil und Anstand eine Oldtimer-Rallye im VW Käfer Cabrio hinter sich bringt.
Publiziert: 16.05.2018 um 14:46 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 16:05 Uhr
Young Raiders Challenge 2018
Foto: Aris van Essel
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Aris van Essel

Vorfreude ist am schönsten. Die Rallye beginnt schon vor dem Anlassen des Motors. Sonst schickt die Raid-Organisation eher gesetzte Oldtimer-Eigner in schon historischen Klassikern quer durch Europa. Doch an der Young Raiders Challenge über zwei Tage und 480 Kilometer gilt: Fahrer nicht älter als 35 Jahre, Autos nicht jünger als Baujahr 1998. Unser geliehenes VW Käfer Cabrio ist von 1973.

Einige Tage vor Abfahrt bekommen wir Teilnehmerliste, Startnummer und Reglement zugeschickt; ausserdem ein Programm. Aber kein Wort zur Route – Vorbereitung ist nicht.

Prolog

6:54 – Früh am Samstag – muss das sein? – machen wir uns auf den Weg zum Start bei der Amag Autowelt in Dübendorf ZH. Die Vorfreude steigt.

7:38 – Wir sind gut 30 Minuten zu früh. Um später keine Strafpunkte zu kassieren, fahren wir erst einmal zur Tankstelle. Glück gehabt – hinter uns wächst die Schlange der anderen Teilnehmer.

7:46 – Auto ist aufgetankt; die Besatzung versucht, sich mit einem «Käfeli» in fahrbereiten Zustand zu bringen.

8:00 – Pünktlich fahren wir zur Eingangskontrolle, die Ankunftszeit wird registriert und wir reihen uns für die technische Kontrolle ein. Läuft.

8:20 – Unser 45-jähriger Käfer wird «technisch einwandfrei» gestempelt. Da hatte ich bei der MFK schon deutlich länger.

10:00 – Fahrer-Briefing, danach werden die Roadbooks für den ersten Tag verteilt. Statt Karten zeigen Pfeile wie Vogelfüsse an, wo es an Kreuzungen oder Kreiseln lang geht. Quasi ein GPS auf Papier – echt old school! Auf jeder Etappe gilt es, bestimmte Durchschnittsgeschwindigkeiten einzuhalten. Je mehr man abweicht, desto mehr Strafpunkte hagelt es – einen pro Zehntelsekunde Abweichung.

10:05 – Wir versuchen, uns mit dem Roadbook anzufreunden. Ägyptische Hieroglyphen wären einfacher zu verstehen. Gut, steckt das Smartphone im Hosensack – zur Not gibt es ja immer noch Google Maps. Die Aufreihung für den Start beginnt.

10:21 – Vor uns hat sich ein Plymouth Roadrunner aus dem Jahr 1972 eingereiht. Schon im Stand geht das Rasseln unseres Boxermotors komplett in seinem V8-Bollern unter. Läuft unser Käfer überhaupt noch?

Endlich am Start. Wir sind bereit für die erste Etappe der Young Raiders Challenge.
Foto: Aris van Essel

1. Etappe

10:30 – Endlich gehts los! Wir bekommen die Startzeit gesagt und stehen vor Aufregung trotzdem 30 Sekunden zu früh am Start. Gibt das schon Abzug? Jetzt nur nicht abwürgen und schön am Gas bleiben – mit einem Satz springt der Käfer nach vorn. Vor dem Startsignal. Fängt ja super an.

10:31 – Gleich nach dem Start die erste Schlauchprüfung: Zwei druckluftgefüllte Schläuche am Boden markieren Start und Ziel. Innerhalb von 10 Sekunden gilt es, die beiden Schläuche zu überqueren. Wie lange wir brauchten? Keine Ahnung, die Zeiten werden erst morgen bekanntgegeben.

11:28 – Wir sind auf Kurs, der Käfer fliegt, Euphorie herrscht. Bis zur Schlauchprüfung in der Nähe von Fischingen TG. Vor uns stauen sich die Autos. Das wars dann wohl mit dem Einhalten der Durchschnittsgeschwindigkeit.

12:34 – Kurz vor Atzmännig SG eine weitere Prüfung auf einem leeren Platz, die sogenannte «blinde Kuh». Dem Fahrer werden die Augen verbunden, und er muss eine gewisse Distanz im Schritttempo zurücklegen. Ein Herzklopfen-Moment, auch wenn der Beifahrer einsagen darf. Liebe Kinder – bitte nicht nachmachen.

13:29 – Ankunft Wangen SZ. Endlich gibt es was zu Essen.

2. Etappe

14:40 – Frisch gestärkt in die zweite Etappe Richtung TCS Verkehrssicherheitszentrum Emmen LU.

16:19 – Überland fährt eine aktuelle Corvette Z06 voraus – mit Tempo 60! Überholen mit dem Käfer? Wenns nicht unbedingt sein muss, lass ich das lieber sein.

17:36 – Ein anderer Teilnehmer steht auf einem abgelegenen Parkplatz. Gestrandet? Nö, alles in Ordnung; nur eine kurze Pause. Dafür springt unser Käfer jetzt nicht mehr an. Zum Glück kommt zufällig der TCS vorbei und hilft. Sogar ganz einfach: «Beim Anlassen des Motors einfach eine Zeit aufs Gas stehen, und er springt wieder an.» Die Älteren werden sich erinnern – so wurde früher jedes Auto gestartet. Hätte man uns ja auch mal sagen können...

In der zweiten Etappe bremst uns ein technisches Problem aus. Der Käfer springt nicht mehr an. Doch der TCS weiss Hilfe.
Foto: Aris van Essel

17:50 – Im TCS Verkehrssicherheitszentrum müssen wir auf nassem Belag einen Slalom absolvieren, ohne die Verkehrshütchen abzuräumen. Etwas Show muss sein: Einige Teilnehmer können es sich dabei nicht verkneifen, mit ihren Old- und Youngtimern zu driften. Freiwillig oder auch nicht.

Beim Slalom auf nassem Belag driften einige Teilnehmer um die Verkehrshütchen.
Foto: Aris van Essel

18:28 – Wir und die Verkehrshütchen haben es überstanden – jetzt weiter zum Etappenziel Verkehrshaus Luzern.

18:48 – Tankstopp – wie, jetzt schon? Das erste Mal, dass ich Bleizusatz in den Tank schütte. Würde meinem eigenen Auto wohl eher schlecht bekommen.

18:52 – Einfahrt ins Verkehrshaus. Durch die Eingangshalle rollen wir zu unserem Parkplatz gleich unter dem Flügel eines historischen DC-3-Flugzeugs.

Beim Verkehrshaus Luzern fand unser fliegender Käfer ein passendes Plätzchen.
Foto: Aris van Essel

19:01 – Nach den Teilnehmern der Young Raiders Challenge treffen über zwanzig 70-Jährige «Brezel»-Käfer beim Verkehrshaus ein, welche das Jubiläum von VW in der Schweiz feiern.

20:12 – Nachtessen wird serviert und bei guten Gesprächen über alte Käfer und vergangene Tage kehrt eine entspannte Stimmung ein. Bis...

20:54 – Es fängt an zu regnen! Die Teams stürmen aus dem Restaurant, um die Verdecke ihrer Autos zu schliessen. Sportlichste Aktion des Tages. Zählt leider nicht für die Rallye-Wertung.

21:08 – Ein Oldtimer-Bus aus den 1950ern kutschiert uns zum Hotel.

22:20 – Aprés-Fahren an der After Drive Party. Tipps für den nächsten Tag werden ausgetauscht. Und die Anekdoten über Aussetzer beim Navigieren sorgen für Schmunzler. Jetzt lachen wir auch drüber.

3. Etappe

7:30 – Nach dem Frühstück machen sich die Teams auf den Weg vom Hotel zum Verkehrshaus.

8:02 – Liebevolles Abtrocknen der Autos. Soll ja hübsch an den Start rollen, unser Käfer.

8:20 – Die Wertungen des ersten Tages hängen aus. Die Finger laufen die Ranglisten herunter, bis man sich gefunden hat. Mancher scheint enttäuscht, aber die meisten finden: «Wir sind ja gar nicht mal so schlecht!» Wir sagen mal nichts zu unserem Platz. Es zählt sowieso vor allem der Spass.

8:50 – Von Luzern führt uns das Roadbook nach Langnau im Emmenthal BE und von da auf den Glaubenbergpass.

10:10 – Die Herausforderung in dieser Etappe: die «Find your Way»-Prüfung. Die Streckenführung muss mit einer Karte und einer transparenten Folie mit aufgezeichneter Route gefunden werden. Zum Glück rückt das Teilnehmerfeld näher zusammen und wir können den anderen einfach hinterher fahren.

11:56 – Wie im Geschwindigkeitsrausch stürmen wir ohne Anlauf die Berge empor – mit Tempo 40. Ob sich die anderen in der Kolonne hinter uns auch so freuen? Aber wir sind ja Gentlemen: Nach Möglichkeit fahren wir rechts an den Strassenrand und lassen sie passieren. Sie bedanken sich mit Hupen, Lächeln und Winken.

12:42 – Wer meint, dass es sich bergab einfacher fährt, täuscht sich: Unser Käfer hat vorne Scheiben- aber hinten nur Trommelbremsen, und so muss die Motorbremse herhalten. Der arme Boxermotor rasselt und röchelt. Wahrscheinlich nahe am roten Bereich. Aber wir haben ja keinen Drehzahlmesser.

Die Einwohner freuen sich in jedem Dorf über die schönen Oldtimer.
Foto: Aris van Essel

4. Etappe

13:31 – Vom Glaubenbergpass führt die Rallye in Richtung Toffen BE.

14:25 – Schlauchprüfung mit gesteigertem Schwierigkeitsgrad: In der Steigung anhalten und rückwärts die Steigung hoch fahren, bis der Schlauch überquert ist. Wo ist der eigentlich? Man sieht nichts in den winzigen Rückspiegeln.

15:30 – In den Dörfern sind die Oldtimer die Sonntagsattraktion. Wer hupt, wird mit heftigem Winken belohnt.

17:00 – Zuerst bremst uns ein Bahnübergang aus, danach landen wir auf einem Bauernhof, bei dem es keinen anderen Weg gibt als zurück. Wir haben uns verfahren – also zurück zum letzten Posten, den wir passiert haben. Nach einigem Suchen finden wir dann doch noch die richtige Abzweigung. Wir sind wieder auf Kurs, aber schauen bange auf die Uhr.

Siegerehrung für unsere Teilnehmerkollegen. Für uns galt das olympische Motto: «Dabei sein ist alles.»
Foto: Aris van Essel

17:30 – Zieleinlauf. Platz 64 von 75 Teams. Egal, was für ein Abenteuer! Die Erinnerung ist mindestens so schön wie die Vorfreude.

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