Modellauto-Salon
Klein Genf in Brugg

Seit 65 Jahren besucht Kurt Kraushaar aus Brugg AG täglich seinen ganz persönlichen Autosalon en miniature. Die Modellsammlung dieses Enthusiasten ist nicht nur riesig, sondern steckt auch voller Geschichten und Anekdoten.
Publiziert: 19.03.2019 um 11:41 Uhr
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Aktualisiert: 26.02.2021 um 09:11 Uhr
Der 77-jährige Kurt Kraushaar sammelt seit 65 Jahren Modellautos.
Foto: Philippe Rossier
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Foto: Thomas Meier. Zürich, 01.06.21. Portraits der Blick Redaktion Zürich. Blick, Blick TV, Portraits, Mitarbeiterportraits, Blickgruppe. Timothy Pfannkuchen
Timothy PfannkuchenRedaktor Auto & Mobilität

Das Reich des Kurt Kraushaar beginnt, wo sich in anderen Einfamilienhäusern Tiefkühltruhe und Waschmaschine gute Nacht sagen. Kraushaar, 77 Jahre alt, kräftiger Händedruck, führt uns die Treppe hinab. Willkommen in «Klein Genf» im aargauischen Brugg! Drei Zimmer voller – nein, nicht einfach nur Automodelle, sondern voll von allem, was irgendwie mit Auto zu tun hat. Unsere Augen irrlichtern umher. Eine Traction-Avant-Gedenkecke mit Ensemble aus Citroën-11CV-Modell, echtem Kühlergrill und Tacho. Die alte Kurbelwelle als Kerzenständer, ein Automodell als Türklinke, das VW-Käfer-Bordwerkzeug-Set im Massstab 1:12, LKW- und Baumaschinenmodelle en masse, Heckflossen-Heckleuchten, ein Miniaturlaster mit der Zinkpest, die Zinkdruckguss zerbröselt (Kraushaar: «Aus Italien, passt irgendwie»), Kühlerfiguren, Morris-Reklame, Modelle.

Gesammelte Erinnerungen

Wahnsinn! Dieser Mann sammelt nicht einfach Modelle, er sammelt Geschichten und Geschichte. Kraushaar hortet nicht Miniaturen, sondern Erinnerungen. Egal, was hier unser Interesse weckt: Sofort sprudelt es aus ihm heraus, als sei alles gestern gewesen und nicht schon, wie oft, vor Jahrzehnten. Erzählt vom Brief, den er als Bub an VW nach Wolfsburg schrieb, ob ihm Nachkriegslenker Heinrich Nordhoff einen kleinen Käfer signieren könne. Leicht pikiert antwortete VW: Nordhoff sei «Generaldirektor und kein Filmschauspieler». Ein Modell gabs trotzdem. Kraushaar sagt: «Gehen wir nach oben.»

Zwei Zimmer im Obergeschoss. Glasregale ohne Ende, darin Modellautos. Hunderte, Tausende. Wenige im Mass-stab 1:12, unzählige in 1:43 und 1:18. Kraushaar-Storys gehen so: In Basel erwarb er das grüne 1:43-Modell des 1957er-Chrysler. «Auf dem Heimweg hatte ich das Gefühl, dass Pink besser gewesen wäre», so der einstige Gartenzentrumsleiter und Blumenhändler. Daheim fand er den Originalprospekt. Darin ist das Auto pink. Aha – zurück nach Basel!

Modelle erschreiben

Oder der 1950er-Oldsmobile. So einen fuhr der Chef des Vaters, der 15-jährige Kurt drehte als Belohnung fürs Autowaschen Runden im Firmenhof. Bis er übermütig auf Strolchenfahrt ging. «Dabei habe ich meinen Lehrer gesehen und ihn gegrüsst, wie es sich gehört – nicht ohne Folgen. Aber heute darf ich wieder Kindskopf sein!» Kraushaar erwirbt nicht einfach nur Modelle. Vor allem erschreibt er sie sich. Fragt mal hier, hakt mal dort nach, sendet dem späteren Bundesrat Johann Schneider-Ammann den Ammann-Originalprospekt, der im dortigen Firmenarchiv fehlt, und erhält im Gegenzug Miniaturbaumaschinen. Kann sich den Alfa 8C als Edelmodell nicht leisten, hat aber ein rostiges 8C-Armaturenbrett im Keller. Schreibts und erhält vom Modellhersteller ein Armaturenbrettchen in 1:18. Andere sammeln Modelle einzelner Hersteller, Automarken, Themen wie Feuerwehr oder haben alle Farbvarianten eines Modells – aber nicht die Anekdoten. So akribisch Kraushaar Buch führt («Der grüne Riley von Dinky Toys hat 1960 mal 1.75 Franken gekostet»), so locker führt er Regie. «Ich kaufe aus dem Bauch heraus. Mich interessieren Geschichten.» Ein Spinner? Eher einer, der seine Leidenschaft lebt und sich zu sagen traut, er gehe «zu meinen Freunden». Der «Scheunenfunde» nicht auf bemoost trimmt, sondern sie jahrelang in den Regen stellt. «Echtmoos!», sagt er und strahlt. Schalk hinter der Brille, kleiner Kurt im Pensionär.

Unbezahlbare Freude

Jedes Modell ist Stoff für lange Winterabende und jeder Antwortbrief ein Tapferkeitsorden für einen Unentwegten. «Einen Belächelten», wie Kraushaar mit Augenzwinkern sagt. Früher schien der junge Mann mit den Autöli verrückt. Kraushaar hats 65 Jahre lang nicht geschert: «Als ich zwölf war, kostete ein Glace 25 Rappen, aber für 1.25 Franken gabs ja wieder ein Dinky Toys.» Wertanlage? «Nein, da hatte ich nie Illusionen», sagt Kraushaar. «Die Freude, nach langer Suche etwas Bestimmtes zu finden, ist eh unbezahlbar.»

Ein Belächelter? Heute lacht niemand mehr über diese faszinierende Mammutsammlung. Was sagt Kraushaars Gattin Rosmarie? «Meine Frau ist sehr grosszügig!», betont Kraushaar. «Erledige ich etwas für sie, dauerts eine Woche. Gehts um Modelle, mache ich’s sofort. Ich versuche, nicht zum Sklaven meiner Leidenschaft zu werden, um mir die Toleranz zu erhalten. Und habe zum Beispiel mein Gesuch auf Überlassung der Waschküche wieder zurückgezogen.»

Er lacht. Wie wärs mit einer Ausstellung? Früher gabs das, etwa in der Migros, bei Möbel Pfister, im Zürcher Dolder Grand oder zum 100. Genfer Salon, als 15 Geschäfte in der Brugger Altstadt den Mini-Autosalon in ihren Schaufenstern zeigten. «Aber heute ist der Aufwand zu gross. Mein Traum wäre, dass man mir Platz schenkt.» Ein Museum für – ja, wie viele Modelle? Wir schätzen 2000. Mindestens! Andere prahlen mit Zahlen. Kraushaar, der auch zwei 1:1-Mercedes-Oldies (darunter Papas Heckflosse) hat, kokettiert damit und webts in eine weitere Geschichte ein. «Wie viele, ist unwichtig. Wichtig sind Erinnerungen.» Er überlegt und sagt: «Es sind 163 Auto- und 242 Modellmarken. Müsste ich bei allen Winterpneus aufziehen, wäre ich ruiniert.»

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