Autoproduktion unter Corona-Bedingungen
«Langsamer können wir nicht arbeiten»

Wie funktioniert die Autoproduktion unter Corona-Bedingungen? Wir haben einen exklusiven Rundgang durchs ostdeutsche VW-Werk Zwickau gemacht, wo früher Golf und Passat fabriziert und nun das neue VW-Elektromodell ID.3 gebaut wird.
Publiziert: 24.05.2020 um 04:19 Uhr
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Aktualisiert: 03.07.2020 um 10:12 Uhr
Stefan Grundhoff und Raoul Schwinnen

«Unsere Fertigung läuft gerade im 5,9er-Takt», erklärt Holger Hollmann, verantwortlich für die Montagehalle des neuen Elektro-VW ID.3 im Volkswagen-Werk Zwickau (D). «Langsamer können wir gar nicht arbeiten. Wir wollten die Taktzeit des ID.3 eben von 1,8 auf 1,5 Minuten reduzieren, als die Corona-Krise begann.» Dank Corona lief in Zwickau erst mal gar nichts mehr. Und erst seit kurzem gibt ein Notbetriebsprogramm den Arbeitsrhythmus vor. Das heisst: mehr Abstand, andere Arbeitsprozesse, nur noch zwei Schichten und ein maximal langsamer Takt. Also 5,9 Minuten pro Arbeitsschritt statt sportlicher 90 Sekunden.

Die Corona-Krise trifft die Autoindustrie nicht nur im Verkauf, sondern auch in der Produktion hart. Und im ostdeutschen Werk Zwickau mit den 8000 Beschäftigten herrscht zudem eine besondere Situation: Die ehemalige DDR-Fertigung ist das erste VW-Werk, das von einer reinen Verbrenner- zu einer kompletten Elektrofertigung umgewandelt wird. Seit zwei Jahren wurden und werden Mitarbeiter aller Bereiche auf den Umstieg vorbereitet. Einst hat man in Zwickau Trabis gebaut, zuletzt wichtige Komponenten für die VW-Kernmodelle Passat und Golf.

Zwickau wird VWs E-Baustätte

Jetzt soll Zwickau nicht weniger als ein neues Zeitalter für den Konzern und insbesondere für dessen Basismarke VW einläuten. Dass dies unter den Rahmenbedingungen der anhaltenden Corona-Krise nicht einfach ist, wird nicht zuletzt in der Kantine im Obergeschoss deutlich. Hier darf nur noch ein Bruchteil der normalen Belegschaft ihr Essen zeitgleich fassen. Lockere Gespräche zwischen Kollegen sind schwieriger denn je. Die Tische stehen weit auseinander, zwischen den einzelnen Sitzplätzen gibts mindestens 1,5 Meter Abstand. Noch schwieriger ist für viele, dass man sich nicht mehr gegenübersitzt, sondern nur noch in einer Blickrichtung sitzen darf. Wie soll man da über Familie, Corona oder endlich wieder über Fussball plaudern?

Die Corona-Krise trifft die Autoindustrie nicht nur im Verkauf, sondern auch in der Produktion hart.
Foto: Oliver Killig
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Stundenlange Schicht mit Schutzmaske

Aber auch in der Fertigungshalle 5 ist nichts wie zuvor. Zwar wird einem nicht wie am Eingang der Kantine von einem Mitarbeiter mit Mundschutz, Handschuhen und Hygiene-Schürze das Tablett einzeln ausgegeben, aber die Abstandsregelungen gelten auch hier. Wer sich beispielsweise bei der Montage von Scheinwerfern oder Innenräumen nahe kommt, muss mit einer Schutzmaske arbeiten – während der stundenlangen Schicht alles andere als angenehm. Immerhin erlaubt der langsame Takt eine Verlegung einiger Arbeiten an andere Stationen – so können sich die Arbeiter am Band zumindest etwas besser aus dem Weg gehen.

Automatisierungsgrad bei 90 Prozent

Anders siehts beim Karosseriebau aus. Dort wird kaum noch manuell gearbeitet. Die wenigen Mitarbeiter müssen deshalb auch keine Schutzmasken tragen, da sie den geforderten Abstand untereinander problemlos einhalten können. Trotz der neuen Fertigungsanlagen für den elektrischen VW ID.3 blieb die Mitarbeiterzahl am Standort praktisch gleich. Im Karosseriebau arbeiten allerdings deutlich weniger Leute, da viele Prozesse roboterisiert und der Automatisierungsgrad so von 85 auf 90 Prozent gesteigert werden konnte. «An dieser rund 150 Meter langen Fertigungslinie arbeiteten bis letztes Jahr noch 27 Personen», so Koordinator Markus Becker. «Durch die neuen Maschinen sind es jetzt noch neun. Die eingesparten Personen konnten wir bei anspruchsvollerer Arbeit an anderer Stelle einsetzen.»

Täglich 1500 Fahrzeuge geplant

Die Erwartungen ans Werk Zwickau, das einen Produktionsverbund mit den Standorten Chemnitz und Dresden als Volkswagen Sachsen bildet, sind höher denn je. Produzierte man 2017 total 303’000 Fahrzeuge, will man diese Zahl nach der kompletten Transformation in die Elektrofertigung bis 2022 übertreffen. Ab 2021 sollen die beiden Fertigungslinien täglich 1500 Fahrzeuge produzieren, in erster Linie die zwei VW E-Modelle ID.3 und ID.4.

Zwickau wird zur E-Produktionsstätte

Zwickau spielte im weltweiten Produktionsverbund der über 100 Werke des VW-Konzerns bislang eher eine Nebenrolle. Doch 2018 rückte das Werk plötzlich in den Fokus interner wie externer Beobachter. Grund: Liefen bis vor einem Jahr dort noch VW Passat und Golf von den Bändern, wurde im vergangenen Sommer die erste der beiden Fertigungslinien aufwendig umgebaut. Und seit Ende des Jahres wird in Halle 5 der elektrische VW-Hoffnungsträger ID.3 produziert, der weltweit ab August ausgeliefert werden soll (1st Edition ab 54’000 Fr.) .

Dabei soll es aber nicht bleiben. Neben Rohkarossen für die Luxusmodelle Lamborghini Urus und Bentley Bentayga (die werden in einem anderen Bereich des Werks gefertigt) läuft noch in diesem Jahr in Halle 6 die zweite Fertigungslinie für Verbrenner aus. Der dort für Europa produzierte VW Golf Variant macht dann Platz für weitere Fahrzeuge des modularen Elektrobaukastens (MEB). Will heissen: Neben den VW ID.3 und ID.4 könnten bald auch weitere MEB-Modelle von Seat, Skoda oder Audi in Zwickau vom Band laufen.

Zwickau spielte im weltweiten Produktionsverbund der über 100 Werke des VW-Konzerns bislang eher eine Nebenrolle. Doch 2018 rückte das Werk plötzlich in den Fokus interner wie externer Beobachter. Grund: Liefen bis vor einem Jahr dort noch VW Passat und Golf von den Bändern, wurde im vergangenen Sommer die erste der beiden Fertigungslinien aufwendig umgebaut. Und seit Ende des Jahres wird in Halle 5 der elektrische VW-Hoffnungsträger ID.3 produziert, der weltweit ab August ausgeliefert werden soll (1st Edition ab 54’000 Fr.) .

Dabei soll es aber nicht bleiben. Neben Rohkarossen für die Luxusmodelle Lamborghini Urus und Bentley Bentayga (die werden in einem anderen Bereich des Werks gefertigt) läuft noch in diesem Jahr in Halle 6 die zweite Fertigungslinie für Verbrenner aus. Der dort für Europa produzierte VW Golf Variant macht dann Platz für weitere Fahrzeuge des modularen Elektrobaukastens (MEB). Will heissen: Neben den VW ID.3 und ID.4 könnten bald auch weitere MEB-Modelle von Seat, Skoda oder Audi in Zwickau vom Band laufen.

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Es kommt zu Lieferverzögerungen

Doch erst muss die Corona-Krise bewältigt werden. Denn die rund 70 Fahrzeuge, die derzeit pro Schicht im Notmodus vom Band tröpfeln, reichen nicht, um die rund 37’000 Vorbestellungen rechtzeitig zu liefern. Normalerweise müsste allein die erste Produktionslinie in Halle 5 knapp 280 Fahrzeuge pro Schicht bringen. Doch keiner weiss, wie lange noch im Notmodus gearbeitet werden muss. So setzen aktuell zwei Arbeiter das Cockpit manuell in den VW ID.3 ein, statt ein vollautomatisierter Roboterarm. «Den hätten Experten einer Firma aus Spanien montieren sollen. Doch die durften wegen Corona bislang nicht anreisen», sagt Holger Hollmann. «Ich hoffe, dass sie nächste Woche kommen können, damit es weitergeht.»

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