Die neue Corvette C8 Stingray im Test
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Motor sitzt nicht mehr vorne:Die neue Corvette C8 Stingray im Test

Die achte Corvette im Test
Bad Boy reloaded

Neues Konzept, alter Geist: Auch mit Mittelmotor erhält sich die Corvette C8 Stingray den Charme des legendären US-Sportlers. Das hat nicht nur Vorteile, sorgt aber auf jedem Meter für Emotionen. Ein Erlebnisbericht.
Publiziert: 24.10.2021 um 04:26 Uhr
Andreas Engel

Und sie tut es schon wieder! Fast schon zärtlich streichele ich das Gaspedal der brandneuen Corvette C8 – und das Einzige, was dem amerikanischen Sportlertraum in Rot in den Sinn kommt, ist wildes Tänzeln der Hinterachse! So hatte ich mir das nicht vorgestellt: Vor meinem geistigen Auge wähnte ich mich vor der Testfahrt auf einer weitläufigen Küstenstrasse in Kalifornien, das abnehmbare Targadach im prallen Heck verstaut, das Wummern des weiterhin turbofrei atmenden 6,2-Liter-V8-Smallblocks in den Ohren, die Haare im Wind flatternd. Und jetzt das: hessisches Sauwetter auf engen, rutschigen Strässchen und beim klitzekleinsten Gasstoss die Angst, dass 482 Pferde die komplett unterkühlten 20-Zoll-Walzen auf der Antriebsachse in Richtung Wälder und Wiesen bugsieren.

Der V8 sitzt neu im Nacken

Dabei haben die Chevy-Verantwortlichen sie vor dem Ritt so gelobt, die achte Auflage der amerikanischen Sportwagen-Ikone schlechthin. Sie sei so präzise wie noch nie zu fahren, schliesslich wurde das Antriebslayout, das «die Vette» seit bald 70 Jahren speziell machte, bei der C8 komplett über den Haufen geworfen: Neu sitzt der mächtige V8-Sauger nicht mehr vorne unter der bis anhin gigantischen Haube, sondern rückt hinter den Fahrer. Das Mittelmotorkonzept, Standard bei vielen europäischen Sportwagen, hat einen entscheidenden Vorteil gegenüber den sieben Vorgängern: die deutlich bessere Gewichtsverteilung. Somit drücken nun 60 Prozent der schlanken 1655 Kilo auf die Hinterachse.

Neuer Versuch: Die Strassen rund um die Main-Metropole Frankfurt sind endlich abgetrocknet. Wieder drücke ich den Startknopf, wieder grollt das Monster in meinem Nacken dumpf, aber bestimmt. Zuerst muss es jetzt der «Reise»-Modus richten, bei dem die Traktionszügel straffer anliegen. Tiefenentspannt cruisen wir dahin, die Corvette und ich. Jetzt spüre ich ihn, den American way of drive. Das optionale Magnetic-Ride-Fahrwerk bügelt jede Bodenwelle weg – ein perfekter Gran Turismo! Weiter über Sport auf den Z-Modus: Getriebe, Lenkung, Dämpfer, Auspuffsound, Gaspedalkennlinie – alles steht jetzt auf Attacke.

Endlich donnert die neue Chevrolet Corvette in achter Auflage auch über europäische Strassen.
Foto: zVg
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Wahnsinn, wie die schiebt!

Aus dem Stand bollert die Corvette nach vorne, als gäbs kein Morgen. Bloss 3,5 Sekunden vergehen bis Tempo 100, und die Corvette rennt immer weiter – theoretisch bis zum Topspeed von 296 km/h. Wahnsinn, diese Wucht von bis zu 637 Newtonmeter Drehmoment, die über ein riesiges Drehzahlband anschieben. Der Doppelkupplungsautomat reizt den Begrenzer aus, hämmert den nächsten Gang rein. Richtungsbefehlen über das hexagonale Alcantara-Lenkrad folgt die kurze Front unverzüglich. Die beste Corvette aller Zeiten? Wahrscheinlich. Aber um das Limit der Maschine auszuloten, müsste es schon eine Rennstrecke sein. Hessische Strassengräben erscheinen mir als schlechte Alternative.

Cockpit voll digital

Lieber nehme ich das Innenleben unter die Lupe. Nach akrobatischem Einstieg gleiten wir in die perfekt ausgeformten Sportsitze. Der Blick schweift über reichlich informative Digitalinstrumente – ein Head-up-Display projiziert nur die wichtigsten Parameter ins Blickfeld. Das Infotainment kann jetzt auch Google und die US-Produktion auch europäischen Qualitätsstandard: Alcantara, Leder, Karbon – das ist schon alles fein gemacht. Der klobige Mitteltunnel, der die ohnehin steife Corvette noch stabiler macht, schränkt das Platzgefühl aber deutlich ein. Und wer sich die Mittelleiste mit geschätzt 40 Knöpfen ausgedacht hat?

Nicht günstig. Aber preiswert

Sie ist und bleibt halt unverkennbar, die Corvette. Denn so sehr sie sich den Europäern bei Design, Konzept und Qualität annähert, so sehr ist sie im Geiste immer noch der amerikanische Bad Boy, der sich nicht um Konventionen schert. Der die Grenzen der Physik schneller aufzeigt als ein auf Vollkommenheit getrimmter Porsche 911. Emotion statt Perfektion, könnte man sagen.

Im Gegensatz zu den knapp 60'000 Dollar für die US-Einstiegsversion klingen mindestens 113'690 Franken für die Coupé-Version (Cabrio neu mit Hardtop ab 120'760 Fr.) bei uns erst mal nicht nach Schnäppchen. Doch erstens bestellt kein Ami die Corvette in nackter Basisausführung. Zweitens sind in Europa sowohl das Z51-Performance-Paket u.a. mit einstellbarem Fahrwerk, Brembo-Bremsen, elektronischem Sperr-Diff oder Aerodynamikpaket an Bord als auch das 2LT-Paket mit allerhand Komfortfeatures Serie. Kein schlechter Deal, dieser Bad Boy!

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