Erste Mitfahrt in der US-Limousine Lucid Air
So geht Elektro-Luxus auf Amerikanisch

Noch dieses Jahr bringt US-Hersteller Lucid sein erstes E-Auto auf den US-Markt. Mitte 2022 kommt der Lucid Air als Gegner von Mercedes EQS und Tesla Model S dann auch nach Europa. Wir drehten mit Chefdesigner Derek Jenkins eine ausgiebige Runde.
Publiziert: 20.08.2021 um 00:32 Uhr
Stefan Grundhoff

Erstens kommt es anders, und zweitens als man denkt: Bereits 2016 berichteten wir im Blick von der damals neu vorgestellten Elektro-Limousine Lucid Air mit dem Verweis, dass die US-Firma schon 2018 ihren «Tesla-Jäger» auf den Markt bringen will. Jetzt, drei Jahre später, soll es tatsächlich bald so weit sein und die ersten Modelle im Herbst auf den US-Heimatmarkt rollen. In Europa soll der Lucid Air ab Mitte 2022 starten.

Nun stehen wir erstmals selber neben der prächtig gestylten Limousine und steigen gleich mit dem Mann ins Cockpit, der für die Optik des Lucid Air verantwortlich ist: «Bei einem Start-up, wie wir es sind, ist man natürlich immer etwas mehr als nur der Designer», begrüsst uns Derek Jenkins lachend und startet sogleich die Testfahrt. «Ich bin auch eng in die Entwicklung eingebunden.»

Topmodell leistet 1080 PS

Für die Fahrt hat Jenkins eines der Vorserienmodelle in mittlerer Grand-Touring-Ausstattung mitgebracht. So ist der Air sehr gut, aber nicht voll ausgestattet und mit 4x4 bereits rund 800 PS stark. Stärker ist nur die Topversion «Dream Edition» mit gigantischen 1080 PS. Darunter rangiert die Einstiegsversion mit ebenfalls schon 480 PS sowie der Air Touring mit 620 PS. Doch es geht Lucid, beheimatet im nördlichen Kalifornien unweit der Tesla-Produktion in Fremont, nicht nur um Power. «Die Reichweite ist für uns wichtig», erläutert Jenkins: «Darauf haben wir beim Design geachtet und beim Lucid Air einen cW-Wert von 0,21 geschafft.»

Bereits 2018 sollte die Elektro-Limousine Air des kalifornischen Start-ups Lucid auf den Markt kommen.
Foto: werk
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Reichweite von bis zu 750 Kilometern

Beim Lucid Air Grand Touring etwa liegt die maximale Reichweite bei rund 750 Kilometern, und selbst die Basisvarianten sollen mehr als 600 Kilometer schaffen. Mit seiner 900-Volt-Architektur soll es ausserdem gerade mal 20 Minuten dauern, ehe das 113 kWh fassende Akkupaket wieder Strom für mehr als 450 Kilometer nachgeladen hat. Wer sich ausserdem dieses Jahr noch einen Lucid Air reserviert, darf drei Jahre lang kostenlos in ganz Amerika laden. Auch das dürfte ein paar Kunden locken, die Verbrennerwelt zu verlassen.

Ein anderes Argument könnte die Fahrleistungen des über 2,3 Tonnen schweren Air sein. Auf einem freien Stück Landstrasse beschleunigt Jenkins den rund 800 PS starken Lucid Air Grand Touring voll durch. In den bequemen Ledersesseln können wir uns kaum bewegen, so heftig tritt die Elektro-Limousine an. Kaum zu glauben, dass die 1080-PS-Variante noch wilder abgeht – mit ihr soll man in weniger als drei Sekunden auf Tempo 100 spurten. Bei der Spitze sind – zumindest für Europa – derzeit 270 km/h angedacht.

Üppiges Platzangebot

Lucid verzichtet bei seinem Air auf eine Luftfederung und will die Komfortansprüche der Kunden allein mit elektronischen Dämpfern wegfedern. Bei der welligen Strecke entlang der US-Pazifikküste funktioniert das trotz der stattlichen 20-Zöller schon ganz gut. Sowieso steht Komfort bei Lucid ganz oben auf der Traktandenliste: Von aussen so gross wie eine Mercedes E-Klasse, bewegt sich der Air innen auf dem Niveau des gerade gestarteten Luxus-Stromers EQS – so lässt es sich leben.

Das Platzangebot ist gerade im Fond durch den 2,97 Meter langen Radstand üppig. Die klimatisierten Ledersitze sind bequem und bieten auch in der zweiten Reihe Langstreckenkomfort. Wer will, kann sich seine Lieblingsmusik aus 21 Boxen um die Ohren säuseln lassen. Der Kofferraum fasst überschaubare 456 Liter. Gut, dass das vordere Gepäckfach auf zwei Ebenen weitere 202 Liter schluckt.

Praktisch und chic

Zur Bedienung sagt Jenkins während der Fahrt: «Wir brauchen hier kein Head-up-Display – alles ist perfekt im Blick. Doch der Platz ist vorgehalten für andere Modelle wie einen SUV.» Die Instrumente, 34 Zoll gross und leicht um den Fahrer gewölbt, erinnern von der Anordnung her an den Porsche Taycan, sind jedoch aufgeräumter. Besonders die Bedieninsel für Licht und Sicht links in der Tafel löst vieles perfekt. Die meisten Funktionen lassen sich über den Touchscreen in der Mittelkonsole bedienen, der auf Wunsch ins Armaturenbrett hineinfährt und grosse Ablagen darunter freigibt – ebenso chic wie praktisch gelöst. Der Rest der Funktionen läuft per Sprache oder Drehregler am reduzierten Lenkrad.

Preis ab unter 80'000 Dollar

Gespannt sind wir allerdings, ob Lucid mit dem Air den Spagat hinkriegt, den sich die Amis vornehmen: Das Basismodell mit Hinterradantrieb kostet in den USA nicht mal 80'000 Dollar. Die Topversion hingegen kratzt bereits an der 180'000-Dollar-Marke. Ob die Kunden das mitmachen, muss sich zeigen. Denn zunächst gibt es nur eine Karosserievariante in vier Ausstattungsvarianten. Wie teuer die elektrische Luxus-Limousine in der alten Welt wird, kann Jenkins noch nicht sagen. Aber: «Wir freuen uns schon, nach Europa zu kommen!» Eine Kampfansage?


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