Europa verliert Anschluss bei Kleinststromern
Chinesen drücken Kleinwagenpreise

Mercedes verabschiedet sich vom Kleinwagen-Segment, weil es dort nur noch wenig Geld zu verdienen gibt. Chinas Autobauer nutzen dagegen ihren günstigeren Produktionsstandort und wollen auch in Europa mit elektrischen Kleinwagen Fuss fassen.
Publiziert: 11.06.2023 um 08:33 Uhr
Wolfgang Gomoll und Raoul Schwinnen

Bisher galt in der Autobranche: Viel Geld verdient man mit Premiumfahrzeugen und grossen Autos. Konsequenterweise wirft Mercedes deshalb die A-Klasse aus dem Programm und will künftig nur noch als Luxusmarke Geld verdienen. Diese neue Strategie scheint sich auszuzahlen. Im ersten Quartal dieses Jahres hat Mercedes-Benz umgerechnet rund 36,5 Milliarden Franken erwirtschaftet – ein sattes Plus von acht Prozent gegenüber dem Vorjahr.

Doch in Deutschland stösst Mercedes-Boss Ola Källenius (53) mit seinem neu verordneten Luxuskurs auf grosse Kritik. «Ich halte diese Strategie für einen Fehler. Das wird zu Akzeptanzproblemen führen, wenn man nur noch für Reiche und Superreiche Autos baut», rüffelt der grüne baden-württembergische Verkehrsminister Winfried Hermann (70) im Interview mit der «Heilbronner Stimme» den Mercedes-CEO. Die Zahlen sprechen eine klare Sprache. Zwischen 2019 und 2022 stieg der Durchschnittspreis eines Mercedes von umgerechnet 51'000 auf rund 73'000 Franken. Geld, das nicht jeder in der Tasche hat.

Europäische E-Kleinwagen ab 25'000 Euro

Doch gerade in unseren immer dichter besiedelten Ballungsgebieten sind für einen weiterhin funktionierenden Individualverkehr kleine, bezahlbare Elektroautos wichtiger als riesige Nobelschlitten – die Betonung liegt auf bezahlbar! VW peilt mit dem in zwei Jahren startenden ID.2 einen Einstiegspreis von unter 25'000 Euro an. Dies gilt als ambitioniert. Der Kostentreiber ist die Batterie. Dazu kommt, dass VW ein Wertigkeitsversprechen einlösen muss. In der Führungsetage des Wolfsburger Konzerns spürt man noch immer die verbale Haue auf das billig wirkende Hartplastik-Interieur des ID.3, das letztendlich dem Spar-Rotstift geschuldet war. Neben VW wird bei uns bis 2025 wohl nur noch Renault mit dem elektrischen R5 im Retrostil einen weiteren Kleinwagen-Stromer im ähnlichen Preissegment wie der ID.2 auf den Markt bringen.

In der Autobranche gilt: Viel Geld verdient man mit Premiumfahrzeugen. Deshalb setzt Mercedes-CEO Ola Källenius (Bild) mit seiner Strategie nur noch auf grosse Autos ...
Foto: Mercedes-Benz AG – Communications & Marketing
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Das ändert also nichts daran, dass heute kleine Billig-Neuwagen wie etwa der Hyundai i10 ab 13'990 Franken praktisch nur die Hälfte der von VW oder Renault angepeilten Verkaufspreise für ihre neuen Stromer-Zwerge kosten. Selbst den aktuell günstigsten Stromer in der Schweiz – den Dacia Spring – gibts erst ab 19'990 Franken. Diese happige Preisdifferenz zwischen den aktuellen Billigstbenzinern und aktuellen oder künftigen Billigststromern hat man natürlich auch in China ausgemacht. Kein Wunder, macht man sich dort mit entsprechenden Angeboten zum Sprung auf unseren Kontinent bereit. «Elektrische Kleinwagen unterhalb des MG4 Electric passen auch in Europa gut zu unserer Marke», meldet Jan Oehmicke, Europa-Vizechef des chinesischen Herstellers MG Motors, entsprechende Ambitionen an.

Chinas Kleinststromer deutlich günstiger

Ob eine chinesische Attacke mit Kleinststromern auf Europa gelingt, hängt natürlich stark vom Preis und der Anmutung beziehungsweise der Qualität der Fahrzeuge ab. Auch im Reich der Mitte gelten die Gesetze der Betriebswirtschaft. Vor ein paar Wochen auf der Shanghai Motor Show wurden elektrische Kleinwagen gezeigt, die sich auf den ersten Blick nicht hinter einem Dacia Spring zu verstecken brauchen. Doch wie siehts mit deren Preisen aus? Autos wie der BYD Seagull (kostet umgerechnet rund 10'400 Franken), der Wuling Bin Guo EV (vom Joint Venture SAIC-GM, ab ca. 8000 Franken) oder der schon länger erhältliche Ora R1 (rund 8900 Franken) sind eine echte Kampfansage. Und so bleibt es auch, wenn man die noch fälligen Importkosten und Steuern draufschlägt.

Im Kleinwagenmarkt brechen also für die europäischen Hersteller schwere Zeiten an. Zumal die chinesischen Autobauer schon von Haus aus gewohnt sind, mit harten Preisbandagen zu kämpfen. «In der Volksrepublik ist der Bedarf bei der Einstiegsmobilität seit jeher grösser als im Westen. Da mag kein grosser Hersteller auf das volumenstarke Segment verzichten», erklärt Peter Fintl von der Unternehmensberatung Capgemini. Die harten Bedingungen zu Hause machen BYD, SAIC & Co. fit für den Wettbewerb in Europa. «Die Player dort haben gelernt, schlank zu entwickeln und kosteneffizient zu produzieren. Natürlich helfen günstige Lohnkosten dabei. Aber ohne optimierte Fertigungsprozesse und kosteneffiziente Technologien und Materialien bleibt man auf Dauer nicht wettbewerbsfähig. Chinas Autobauer besitzen mittlerweile substanzielle Expertise im Bereich der Skalierung über alle Segmente hinweg», weiss Fintl.

Günstigere neue Akkutechnik

Auch bei den Batterien rüsten sich die asiatischen Autobauer für den Preiskampf. Der chinesische Batteriehersteller CATL hat Akkus, die auf Natrium-Ionen-Zellen basieren, zur Serienreife entwickelt und beliefert bereits den Hersteller Chery. Diese Akkus bieten nach Fintls Einschätzung ein grosses Potenzial. Nicht nur, um die Batteriekosten vom heutigen Niveau von durchschnittlich 150 Dollar pro Kilowattstunde um rund 40 Prozent zu senken, sondern auch, um die Abhängigkeit von kritischen Rohstoffen dramatisch zu reduzieren. Allerdings werden natürlich auch die westlichen Autobauer von diesen Entwicklungen profitieren, sodass weiterhin nicht nur Rahmenbedingen wie zum Beispiel die Lohnkosten entscheiden.

Doch selbst wenn die Löhne in China steigen sollten, ist dieser betriebswirtschaftliche Faktor nach wie vor deutlich tiefer als etwa in Deutschland. Deshalb will VW seinen ID.2 und alle Schwestermodelle auch in Spanien bauen, um preislich wenigstens einigermassen konkurrenzfähig zu sein. Der Kampf um die Marktanteile im Kleinstwagensegment dürfte demnach unerbittlich werden – und profitieren werden wohl nicht zuletzt wir Konsumentinnen und Konsumenten. Denn die Kampfpreise künftiger Kleinststromer mit rund 300 Kilometer Reichweite könnten so auch in Europa bald bei 20'000 Franken und darunter starten.

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