Exklusivbesuch bei Borgward in China
Auf nach Westen!

Die frühere deutsche Traditionsmarke Borgward gibt dank chinesischer Finanz- und Wirtschaftsmacht ein Comeback und dürfte schon bald den europäischen Markt aufmischen. Ein exklusiver Augenschein in China.
Publiziert: 18.03.2018 um 20:22 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 16:05 Uhr
Borgward-Werk Miyun ist eine nach deutschem Industriestandard 4.0 voll vernetzte Fabrik.
Foto: Jürg A. Stettler
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Jürg A. Stettler

China ist gross, sehr gross! Hier gibts 662 Städte, 102 davon mit über einer Million Einwohnern. Damit liegt mehr als ein Drittel aller Millionen-Metropolen dieser Welt in China. Das verlangt in anderen Dimensionen zu denken – auch was die Mobilität und den Automarkt betrifft. Dieser ist mit 24,72 Millionen verkauften Neuwagen 2017 – davon 600'000 Elektro- und Plug-in-Hybridfahrzeuge (!) – bereits der grösste der Welt. Birgt aber weiterhin noch viel Wachstumspotenzial. Während in Amerika oder der Schweiz 834 bzw. 629 Autos auf 1000 Einwohner kommen, sind es in China erst 120! Ebenso gross wie das Wachstumspotenzial in China ist aber auch der Einfluss auf den weltweiten Automarkt. Fordert China künftig verstärkt Elektromobile, gehts dabei nicht nur um ein paar Tausend, sondern um ein paar Millionen Fahrzeuge. Und so wird China zum Taktgeber und Zukunftstreiber für die ganze Autoindustrie.

China gibt auch bei der Produktion von Autos Vollgas.
Foto: Werk

Ambitiös, aber nicht unrealistisch

Bislang war China für westliche Autohersteller in erster Linie ein lukrativer Absatzmarkt – ohne ernstzunehmende einheimische Konkurrenz. Doch mittlerweile beginnen sich chinesische Marken wie Great Wall, Geely, Chery, BYD & Co. dank unglaublicher Markt- und Finanzmacht in ihrer Heimat zu etablieren und vor allem nach Westen zu orientieren. So auch Borgward. Die noch junge chinesisch-deutsche Marke hat ambitiöse, aber nicht unrealistische Pläne. 2015 war am Genfer Autosalon beim ersten öffentlichen Auftritt zwar nur ein alter Isabella und ein riesiges Borgward-Logo zu entdecken, mehr nicht. Viele belächelten damals die Pläne des deutschen Enkels und Getränkehändlers Christian Borgward, die legendäre aber 1961 Pleite gegangene Marke wiederzubeleben – vor allem mit chinesischen Investoren! Autos aus China mit deutschem Markennamen für China und den Rest der Welt? Doch die Zeiten, als chinesische Autos von Landwind und Brilliance bei Crashtests kläglich versagten, sind definitiv vorbei!

Topmoderne Fabrikanlage

Das neue, topmoderne Borgward-Werk erstreckt sich auf einer Fläche von 1,1 Millionen Quadratmetern.
Foto: Werk

Ein Zeugnis modernen chinesischen Schaffens steht seit 2016 im Norden der Hauptstadt Peking: das neue Borgward-Werk Miyun – eine eindrückliche Anlage! Wer bei Schichtwechsel eine Heerschar an Billigarbeitern erwartet, die durch die Werkstore strömen und sich aufs Fahrrad setzen, der irrt! Das war im letzten Jahrtausend. Auf 1,1 Millionen Quadratmetern (oder der Fläche von rund 30 Fussball-Stadien) steht eine nach deutschem Industriestandard 4.0 voll vernetzte Fabrik mit einer aktuellen Jahreskapazität von 360'000 Fahrzeugen. Modernste ABB- sowie Fagor-Pressen und Kuka-Roboter garantieren, dass alle 60 Sekunden ein neuer Borgward vom Band läuft. Dank 443 Robotern und einem Automatisierungsgrad von 95 Prozent ist diese Borgward-Fabrik weltweit die erste, auf der acht verschiedene Modelle (egal ob mit Benzin-, Hybrid oder Elektroantrieb) auf der selben Produktionslinie gefertigt werden können. Beeindruckend, was hier in kürzester Zeit wortwörtlich aus dem Boden gestampft wurde.

Anfangs vor allem SUV

Der Borgward BX7 TS mit Benzinmotor soll noch diesen Sommer in Europa starten.
Foto: Jürg A. Stettler

Strategisch clever: Borgward setzt fürs Comeback voll aufs Boomsegment SUV. Denn inzwischen sind auch in China 41,8 Prozent aller verkauften Neuwagen SUV. Auf zwei skalierbaren Plattformen lanciert Borgward mit dem 4,72 Meter langen BX7, dem kompakteren BX5 (4,49 m), dem ab Sommer in Europa erhältlichen BX7 TS (224 PS-Benziner) sowie dem SUV-Coupé BX6 vorerst nur SUV-Modelle. Und mit dem ab nächsten Monat in China erhältlichen BXi7 haben sie zudem einen rein elektrischen SUV mit 270 PS und 308 Kilometern Reichweite im Angebot.

Schweizer gibt Takt an

Der Schweizer Tom Anliker treibt als Senior Vice President Global Marketing, Sales and Services das Comeback von Borgward voran.
Foto: Werk

Beim Borgward-Comeback an vorderster Front mit dabei ist als Senior Vice President Global Marketing, Sales and Services, der Schweizer Tom Anliker (55). Er verrät: «Mit unserer B-G-W-Strategie setzten wir uns ein Leitmotiv, das rasches Expandieren erlaubt. B steht dabei für Borgward – die Marke und ihre Geschichte, die wir in die Moderne transferieren. G steht für German Engineering. Wir wollen unseren Kunden ausgereifte und zahlbare Premiummodelle bieten, die auf deutscher Ingenieurskunst, deutschem Design und deutscher R&D basieren.» Und das W steht für Worldwide – «also unsere globale Marktstrategie » erklärt Anliker, «von China aus wenden wir uns nach Westen – über Russland, Südamerika, dem Nahen und Mittleren Osten bis zu unserem europäischen Heimmarkt mit Deutschland.»

Schweizer Verkaufsstart noch offen

Neben SUVs liegt der Fokus Borgwards auch auf der Elektromobilität und der Vernetzung. «Dabei kommt uns zugute, dass wir keine herkömmlichen Vertriebsnetze aufrecht erhalten müssen. Wir können Vertrieb und Service den jeweiligen Marktanforderungen anpassen, favorisieren aber den Online-Vertrieb», erklärt Anliker. Wann der erste Borgward BX7 in die Schweiz rollt, ist noch offen. Dass er es tun wird, ist freilich sicher, wenn man berücksichtigt, mit welcher Konsequenz in China am Comeback der Marke gearbeitet wird!

Borgward BXi7 Concept
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Exklusiv unterwegs im chinesischen Elektro-SUV:Die neue Tesla-Konkurrenz
Neue Allianzen mit China

Neu nehmen chinesische Autohersteller den Westen nicht nur als Absatzmarkt ins Visier. Immer mehr Marken suchen aktiv nach Partnerschaften, die über Produktions-Joint-Ventures hinausgehen. Fürs grösste Aufsehen sorgte dabei Geely-Eigentümer Li Shufu, der sich fast zehn Prozent der Aktien an Daimler sicherte (SoBli berichtete). Am Genfer Autosalon gab nun BMW-Boss Harald Krüger bekannt, dass man eine Absichtserklärung mit dem chinesischen Great Wall-Konzern unterzeichnet habe, um etwa die Elektrifizierung und den Absatz von Mini in China zu fördern. Und auch Audi plant in China mit FAW zwei neue Gesellschaften für Vertrieb sowie Mobilitätsdienstleistungen und digitale Services. Chinesische Marken sind somit zu attraktiven Partner für die etablierten westlichen Autobauer geworden.

Neu nehmen chinesische Autohersteller den Westen nicht nur als Absatzmarkt ins Visier. Immer mehr Marken suchen aktiv nach Partnerschaften, die über Produktions-Joint-Ventures hinausgehen. Fürs grösste Aufsehen sorgte dabei Geely-Eigentümer Li Shufu, der sich fast zehn Prozent der Aktien an Daimler sicherte (SoBli berichtete). Am Genfer Autosalon gab nun BMW-Boss Harald Krüger bekannt, dass man eine Absichtserklärung mit dem chinesischen Great Wall-Konzern unterzeichnet habe, um etwa die Elektrifizierung und den Absatz von Mini in China zu fördern. Und auch Audi plant in China mit FAW zwei neue Gesellschaften für Vertrieb sowie Mobilitätsdienstleistungen und digitale Services. Chinesische Marken sind somit zu attraktiven Partner für die etablierten westlichen Autobauer geworden.

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