Tempo-Assistent ab Sommer in neuen Auto-Modellen Pflicht
Die EU will unsere Autos einbremsen

Ein neues Assistenzsystem soll Autofahrer bald europaweit zum Einhalten der Tempolimiten zwingen – und damit auch uns. Dass das System kommt und Unfallzahlen reduzieren kann, ist sicher. Wie stark es eingreift, ist aber noch nicht abschliessend geklärt.
Publiziert: 28.04.2021 um 19:30 Uhr
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Aktualisiert: 10.01.2022 um 13:47 Uhr
Andreas Engel

Der Aufschrei der Autobranche war riesig: Anfang der 1970er-Jahre beschloss die EWG – Vorgängerin der EU – eine Gurten-Einbaupflicht in allen Neuwagen. Die Autobauer tobten: Vom Gurt als Sicherheitsrisiko und Freiheitsentzug war gar die Rede. Alles Jammern half nichts: Bis Mitte der 1980er-Jahre wurde Anschnallen europaweit Pflicht – und hat seither Hunderttausende Menschenleben gerettet (Hier gehts zum Ratgeber: So stellen Sie Sitz, Gurte und Spiegel richtig ein).

Was damals die Gurten waren, könnte bald das ISA-System werden: ISA steht für Intelligent Speed Assistance, zu deutsch «Intelligenter Geschwindigkeits-Assistent», und soll ab Sommer 2022 in allen neu startenden Modellen und ab 2024 dann in jedem Neuwagen Pflicht werden. Dass ISA kommt, steht fest: Die Details hat die EU-Kommission bereits letztes Frühjahr festgelegt – dem Inkrafttreten der Verordnung am 6. Juli 2022 und damit einer ISA-Pflicht steht nichts mehr im Wege. Auch bei in der Schweiz verkauften Neuwagen gilt die neue EU-Regelung.

Autoindustrie wehrt sich

ISA arbeitet über Verkehrszeichen-Erkennung mit Kameras im Auto sowie Daten der Navigation. Stellt das System eine Überschreitung des Tempolimits fest, macht es den Lenker auf das Fehlverhalten aufmerksam. Allerdings steckt der Teufel wie so oft im Detail: Wie einst bei der Gurtpflicht wehrt sich die Industrie samt mächtiger Lobby mit Leibeskräften gegen ein stark einschneidendes ISA-System.

Nach wie vor ist überhöhte Geschwindigkeit europaweit die Hauptursache für Verkehrsunfälle – auch in der Schweiz.
Foto: Uwe - stock.adobe.com
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Konkret wollen insbesondere Deutschland, Frankreich und Italien – die führenden europäischen Autobauer-Nationen – möglichst wenig am Status Quo ändern: So solle schon ein Warnlämpchen als vollwertiger Geschwindigkeitsassistent reichen, das bei Bedarf einfach per Knopfdruck abgestellt werden könnte. «Es droht eine dramatische Aufweichung der neuen Sicherheitsstandards», hält der Europäische Verkehrssicherheitsrat ETSC – Verfechter eines möglichst strengen, sicherheitstechnisch effektiveren ISA – im Brief an die EU-Verkehrsministerien laut «Zeit» entgegen.

Motorleistung wird gedrosselt

Um die Sicherheit wirklich zu verbessern und Raserunfällen vorzubeugen, fordert der ETSC Systeme, die mit einem ansteigenden Widerstand des Gaspedals oder gar Drosselung der Motorleistung arbeiten – eine Art Zwangstempomat also. Laut Studien schneidet die letzte, auf den ersten Blick sehr einschneidende Massnahme bei Probanden am besten ab, weil sie die Überschreitung des Tempolimits intuitiv vermittle und so am wenigsten Stress auslöse. Kurzfristig solle das System durch einen kräftigen Tritt aufs Gaspedal übersteuert werden können – etwa, um sicher überholen zu können. Optische und erst recht akustische Warnungen fielen in Tests durch.

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Null Verkehrstoten bis 2050

Doch wozu überhaupt ISA, wo die Zahl der Verkehrstoten und -verletzten doch auf unseren Strassen immer geringer wird – auch dank immer sicherer Autos? Nach wie vor ist übersetzte Geschwindigkeit europaweit Haupt-Unfallursache. Auch in der Schweiz: Laut Beratungsstelle für Unfallverhütung (BfU) verursacht Rasen täglich zwei schwere Personenschäden. In Deutschland sind Raser jedes Jahr für rund 1000 Tote und 100'000 Verletzte verantwortlich. Das ETSC warnt, dass bei einem stark eingeschränkten ISA das EU-Ziel gefährdet sei, die Zahl Verkehrstoter und -verletzter bis 2030 zu halbieren. Für 2050 hat die EU das Ziel gesteckt: null Verkehrstote. Ohne Einsatz von Systemen wie ISA ist das kaum zu erreichen.

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