Carlos Tavares zum CO2-Problem der Auto-Branche:
«Einige unserer Konkurrenten werden im Herbst Probleme kriegen»

Carlos Tavares, CEO des französischen Autokonzerns PSA, treibt die Fusion mit Fiat-Chrysler voran. Bei der Einhaltung der schärferen CO2-Grenzwerte sieht er PSA auf Kurs – und erwartet bei anderen massive Rabatte auf verbrauchsgünstige Modelle.
Publiziert: 30.03.2020 um 04:35 Uhr
|
Aktualisiert: 05.01.2021 um 11:07 Uhr
Interview: Joaquim Oliveira, bearbeitet von Raoul Schwinnen

Der Portugiese Carlos Tavares (61), Vorstandsvorsitzender des französischen PSA-Konzerns, gilt als Superstar der Autoindustrie, seit er Citroën, DS, Peugeot und Opel aus heiklen Situationen gerettet und seine PSA-Gruppe zu einem Gewinnmargen-Champion performt hat. Zu Beginn dieses Jahres konzentrierte er sich aufs China-Geschäft und die Fusion mit der Fiat/Chrysler-Group FCA. Doch nun macht die Corona-Pandemie alles noch viel schwieriger.

Herr Tavares, die Corona-Krise begann für die Autoindustrie mit der Absage des Genfer Autosalons vor einem Monat. Wie haben Sie die Situation erlebt?
Carlos Tavares:
Den Genfer Salon abzusagen, war richtig. Wie gefährlich das Coronavirus ist, sehen wir nun ja. Was meiner Meinung nach nicht richtig war, ist die Art und Weise, wie die Finanzrechnung an den Ausstellern hängen blieb. Die Verluste hätten über alle Beteiligten verteilt werden müssen. Aber im Moment ist unser Hauptanliegen die Gesundheit – sie geniesst absolute Priorität.

Das Kleinstwagen-Segment bringt nur wenig Gewinnmarge. Mit der Fusion von PSA und FCA bieten Sie die Hälfte der Top-10-Modelle Europas in diesem Segment an. Werden Sie Modelle streichen?
Wir müssen kreativ sein und Lösungen finden, die jedem Bedarf gerecht werden. Auch wenn wir dabei über den Tellerrand hinaus denken müssen. Das haben wir letzten Monat getan, als wir den Citroën Ami enthüllten. Ein Zweisitzer-Elektroauto für die City, das von jedem für eine monatliche Gebühr von 19,99 Euro gefahren werden kann. Es ist süss, funktional, vollelektrisch, komfortabel, nur 2,40 Meter kurz und erschwinglich. Aufgrund unserer langjährigen Erfahrung in diesem Segment wissen wir, was Kunden von kompakten Stadtautos erwarten. Und unser Know-how ermöglicht es uns, die besten Lösungen für jede Marke sowohl bei PSA als auch FCA zu finden.

PSA-Chef Carlos Tavares (61) gilt als Superstar der Autoindustrie, seit er Citroën, DS, Peugeot und Opel aus heiklen wirtschaftlichen Situationen gerettet hat.
Foto: werk
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Sie weichen aus. Ist das traditionelle Kleinstwagen-Segment gefährdet? Bereits wollen einige Hersteller keine Kleinstwagen mehr bauen.
Die Marktsegmentierung, wie wir sie heute kennen, wird sich ändern. Es wird eine grössere Differenzierung zwischen städtischen und ländlichen Gebieten geben. Der Fahrzeugbesitz wird kurz- bis mittelfristig an Boden verlieren, der Fahrzeugnutzen wichtiger. PSA wird den Markt auf jeden Fall mit neuen Mobilitätsgeräten überraschen.

Haben Sie schon definiert, wie PSA und FCA global künftig bei Markenaufstellung und Vertrieb nebeneinander existieren wollen?
Wir haben eben einen sehr soliden Fusionsplan mit unseren Freunden von FCA ausgearbeitet, der uns geschätzte jährliche Synergien von 3,7 Milliarden Euro ohne Betriebsschliessungen bringen soll. Seit der Unterzeichnung der Vereinbarung vor dreieinhalb Monaten tauchen immer wieder viele neue Ideen auf. Aktuell verwenden wir aber unsere Energie dazu, die letzten zehn von total 24 Anträgen für die Zulassungsakten vorzubereiten. Wir müssen den Prioritäten folgen.

Persönlich Carlos Tavares

Carlos Tavares, geboren 1958, wuchs in Lissabon als Sohn einer Französischlehrerin auf und studierte an der Ecole Centrale Paris, einer der renommiertesten Ingenieurhochschulen Frankreichs. Der Portugiese arbeitete zunächst fünf Jahre bei Nissan in den USA, danach war er 32 Jahre im Topmanagement bei Renault. Ab 2014 war er Vorstandsvorsitzender von PSA, Frankreichs grösstem Autohersteller – und seit der 2021 vollzogenen Fusion mit Fiat Chrysler Automobiles FCA ist er Vorstandsvorsitzender des daraus entstandenen Riesenkonzerns Stellantis mit 14 Marken (Abarth, Alfa Romeo, Chrysler, Citroën, Dodge, DS Automobiles, Fiat, Jeep, Lancia, Maserati, Opel, Peugeot, Ram). Tavares hat drei Kinder, vier Enkelkinder, ist Winzer, Hobbyrennfahrer und sammelt Oldtimer.

Carlos Tavares, geboren 1958, wuchs in Lissabon als Sohn einer Französischlehrerin auf und studierte an der Ecole Centrale Paris, einer der renommiertesten Ingenieurhochschulen Frankreichs. Der Portugiese arbeitete zunächst fünf Jahre bei Nissan in den USA, danach war er 32 Jahre im Topmanagement bei Renault. Ab 2014 war er Vorstandsvorsitzender von PSA, Frankreichs grösstem Autohersteller – und seit der 2021 vollzogenen Fusion mit Fiat Chrysler Automobiles FCA ist er Vorstandsvorsitzender des daraus entstandenen Riesenkonzerns Stellantis mit 14 Marken (Abarth, Alfa Romeo, Chrysler, Citroën, Dodge, DS Automobiles, Fiat, Jeep, Lancia, Maserati, Opel, Peugeot, Ram). Tavares hat drei Kinder, vier Enkelkinder, ist Winzer, Hobbyrennfahrer und sammelt Oldtimer.

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Aber glauben Sie, dass Sie den Turnaround mit Fiat in Europa so schnell schaffen wie mit Opel?
Wir haben zwei sehr ausgereifte Unternehmen mit gesunden Finanzergebnissen. Aber wir wissen natürlich, dass es viele Herausforderungen gibt, denen wir uns stellen müssen. Das bedeutet nicht, dass wir in jeder Region und in jedem Markt stark sind. FCA steht in Europa nicht gut da. Dafür muss sich PSA in China, wo wir nicht erfolgreich waren, stark verbessern – obwohl wir die besten Gewinnmargen in der Branche haben. Ich sehe für beide Seiten viele Möglichkeiten, das zu reparieren.

Sind mehr als ein Dutzend Marken für beide Gruppen nicht zu viel? General Motors wurde mit nur noch vier Marken auch profitabler als mit acht …
Wir könnten dem VW-Konzern diese Frage stellen und erhielten vermutlich eine gute Antwort. Als Autoliebhaber freue ich mich sehr, all diese Marken zusammen zu haben. Es sind Marken mit langer Geschichte, Leidenschaft und viel Potenzial. Es liegt an uns, die verschiedenen Märkte in den verschiedenen Regionen abzubilden, um ein lukratives Geschäft zu machen. Ich sehe die Anzahl und Vielfalt der Marken, die wir kombinieren werden, als einen grossen Vorteil für das künftige Unternehmen.

Einigen Herstellern drohen Millionenbussen wegen des strengeren Emissionslimits von 95 g/km CO2. Wie siehts bei PSA aus?
Wir sind auf dem richtigen Weg. Im Januar und Februar lagen wir in Europa bei unter 93 g/km. Wir prüfen monatlich, damit es weniger schwierig ist, bei Bedarf zu korrigieren. Einige unserer Konkurrenten werden im Herbst Probleme kriegen, wenn sie feststellen, dass sie über dem Grenzwert liegen. Und es ist wahrscheinlich, dass sie dann erhebliche Rabatte auf ihre Modelle mit geringen oder keinen Emissionen gewähren müssen.

Coronavirus: 810’000 Autos weniger

Derzeit stehen in Europa wegen der Corona-Pandemie fast 100 Auto-Produktionsstätten und diverse Zuliefererbetriebe still (es stand im SonntagsBlick). Das bedeutet, dass im März und April europaweit statt rund 15 Millionen Fahrzeuge nur etwa 14,2 Millionen Autos gebaut werden. Alleine in Deutschland werden es in dieser Periode 250’000 Autos weniger sein. Aber auch in Spanien (–140’000), Frankreich (–90’000), England
(–54’600), Tschechien (–51’000) und Italien (–41’300) dürften gemäss den Berechnungen des internationalen Marktbeobachters Berylls für die deutsche Zeitschrift «Auto, Motor und Sport» deutlich weniger Neuwagen vom Band rollen.

Betrachtet man die einzelnen Autohersteller und ihre Produktionswerke in Europa, so muss der VW-Konzern alleine mit seinen vier grössten Marken ein Minus von 214’000 Fahrzeugen (Audi: 28’000, Seat: 39’000, Skoda: 41’000, VW: 106’000) verkraften. Dahinter folgen PSA (Citroën, DS, Opel, Peugeot, Vauxhall) mit minus 137’000 Fahrzeugen, BMW (–98’000), Renault/Nissan/Mitsubishi (–97’000), Daimler (–69’000), FCA (Alfa, Chrysler, Fiat, Jeep u.a., –55’000) und Ford (–54’000).

Sollte in Deutschland ab Juni die Autoproduktion wieder auf vollen Touren laufen, dürften die Umsatzverluste durch die Produktionsausfälle gemäss Professor Stefan Bratzel, Chef des Center of Automotive Management in Bergisch-Gladbach bei Köln (D), alleine in Deutschland bis zu 20 Prozent, also rund 80 Milliarden Euro, betragen.

Inzwischen steht auch die Honda-Fabrik im britischen Swindon still.

Derzeit stehen in Europa wegen der Corona-Pandemie fast 100 Auto-Produktionsstätten und diverse Zuliefererbetriebe still (es stand im SonntagsBlick). Das bedeutet, dass im März und April europaweit statt rund 15 Millionen Fahrzeuge nur etwa 14,2 Millionen Autos gebaut werden. Alleine in Deutschland werden es in dieser Periode 250’000 Autos weniger sein. Aber auch in Spanien (–140’000), Frankreich (–90’000), England
(–54’600), Tschechien (–51’000) und Italien (–41’300) dürften gemäss den Berechnungen des internationalen Marktbeobachters Berylls für die deutsche Zeitschrift «Auto, Motor und Sport» deutlich weniger Neuwagen vom Band rollen.

Betrachtet man die einzelnen Autohersteller und ihre Produktionswerke in Europa, so muss der VW-Konzern alleine mit seinen vier grössten Marken ein Minus von 214’000 Fahrzeugen (Audi: 28’000, Seat: 39’000, Skoda: 41’000, VW: 106’000) verkraften. Dahinter folgen PSA (Citroën, DS, Opel, Peugeot, Vauxhall) mit minus 137’000 Fahrzeugen, BMW (–98’000), Renault/Nissan/Mitsubishi (–97’000), Daimler (–69’000), FCA (Alfa, Chrysler, Fiat, Jeep u.a., –55’000) und Ford (–54’000).

Sollte in Deutschland ab Juni die Autoproduktion wieder auf vollen Touren laufen, dürften die Umsatzverluste durch die Produktionsausfälle gemäss Professor Stefan Bratzel, Chef des Center of Automotive Management in Bergisch-Gladbach bei Köln (D), alleine in Deutschland bis zu 20 Prozent, also rund 80 Milliarden Euro, betragen.

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