Interview mit Stellantis-CEO Carlos Tavares
«Die Technik der Zukunft diktiert uns die Politik»

Als Herr über Marken wie Alfa, Chrysler, Citroën, Fiat, Jeep, Opel oder Peugeot spricht Stellantis-CEO Carlos Tavares (65) über Rennsport, E-Fuels, alte Diesel-Pick-ups und das aktuell schwierige politische Umfeld für die Autoindustrie.
Publiziert: 26.05.2024 um 06:49 Uhr
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Aktualisiert: 26.05.2024 um 06:50 Uhr
Interview: Joaquim Oliveira

Sie sind Hobbyrennfahrer, starten wir deshalb mit Fragen zum Rennsport. Nach erfolglosen Jahren in der Formel 1 mit Sauber ist Alfa Romeo von der grössten Motorsportbühne der Welt abgetreten. Wie gehts weiter mit Alfa im Rennsport?
Carlos Tavares: Mit DS und Maserati sind wir in der Formel E und mit Peugeot in der Langstrecken-WM engagiert. Für Alfa ist aktuell noch keine Richtung festgelegt. Es ist aber klar, dass wir angesichts des Erbes und der Marken-DNA in den Motorsport zurückkehren müssen. Aber eine Entscheidung wird kaum vor Ende Jahr getroffen und kommuniziert.

Macht es angesichts des bevorstehenden Verbrennerausstiegs noch Sinn, in die Formel 1 zu investieren?
Die Formel 1 ist ein sehr effizientes Marketinginstrument. Vermutlich das Beste in unserer Branche, was die Medienwirkung angeht. Aber man muss bedenken, dass nicht jeder gleich viel Geld in die Formel 1 steckt. Bevor der Kostendeckel eingeführt wurde, investierten die Teams zwischen 100 und 500 Millionen Euro pro Saison. Mit dem Kostendeckel haben wir eine ausgewogenere Situation, obwohl sie noch immer nicht perfekt ist. Die Investitionen sind weiterhin sehr hoch, und ich halte das in meiner Position für unethisch.

Warum?
Von meinen Projektleitern fordere ich oft, ans Reissbrett zurückzukehren, um bei der Entwicklung einer neuen Komponente nochmals ein paar Cents einzusparen, damit wir gegen die Konkurrenz aus Asien eine Chance haben. Wie könnte ich da den Fabrikarbeitern in die Augen schauen und mich mit einem 200-Millionen-Euro-Engagement in der F1 wohlfühlen?

Im Exklusiv-Interview nimmt Stellantis-CEO Carlos Tavares (65) kein Blatt vor den Mund und spricht Klartext.
Foto: Stephane Sby Balmy
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Sie wollen die Marke Lancia wiederbeleben – gar mit einem Comeback in der Rallye-WM?
Verdient hätte es Lancia. Aber fürs Comeback der Marke müssen wir erst einen gesunden Business-Plan erstellen. Wir brauchen zuerst neue Modelle, und dann folgt der durch deren Verkäufe finanzierte Motorsport als Marketinginstrument. Den neuen Lancia Ypsilon haben wir bereits gezeigt. Und letzten Monat war ich in Turin, um die nächsten Modelle zu testen, die in der zweiten Hälfte dieses Jahrzehnts auf den Markt kommen. Ich kann Ihnen versichern, auch die sind wunderschön.

Der einstige Fiat-Boss Sergio Marchionne (1952–2018) wollte die Marke Lancia sterben lassen …
(Tavares lächelt und fällt ins Wort) … Sie können sich nicht vorstellen, wie viele Leute mich bei der Gründung von Stellantis baten, Lancia zu streichen und Alfa zu verkaufen. In beiden Fällen gab ich die gleiche Antwort: Nein! Bei Alfa Romeo konnten wir die finanzielle Situation bereits wenden – die Marke ist jetzt profitabel und wächst. Und Ähnliches werden wir bei Lancia erleben.

Persönlich Carlos Tavares

Carlos Tavares, geboren 1958, wuchs in Lissabon als Sohn einer Französischlehrerin auf und studierte an der Ecole Centrale Paris, einer der renommiertesten Ingenieurhochschulen Frankreichs. Der Portugiese arbeitete zunächst fünf Jahre bei Nissan in den USA, danach war er 32 Jahre im Topmanagement bei Renault. Ab 2014 war er Vorstandsvorsitzender von PSA, Frankreichs grösstem Autohersteller – und seit der 2021 vollzogenen Fusion mit Fiat Chrysler Automobiles FCA ist er Vorstandsvorsitzender des daraus entstandenen Riesenkonzerns Stellantis mit 14 Marken (Abarth, Alfa Romeo, Chrysler, Citroën, Dodge, DS Automobiles, Fiat, Jeep, Lancia, Maserati, Opel, Peugeot, Ram). Tavares hat drei Kinder, vier Enkelkinder, ist Winzer, Hobbyrennfahrer und sammelt Oldtimer.

Carlos Tavares, geboren 1958, wuchs in Lissabon als Sohn einer Französischlehrerin auf und studierte an der Ecole Centrale Paris, einer der renommiertesten Ingenieurhochschulen Frankreichs. Der Portugiese arbeitete zunächst fünf Jahre bei Nissan in den USA, danach war er 32 Jahre im Topmanagement bei Renault. Ab 2014 war er Vorstandsvorsitzender von PSA, Frankreichs grösstem Autohersteller – und seit der 2021 vollzogenen Fusion mit Fiat Chrysler Automobiles FCA ist er Vorstandsvorsitzender des daraus entstandenen Riesenkonzerns Stellantis mit 14 Marken (Abarth, Alfa Romeo, Chrysler, Citroën, Dodge, DS Automobiles, Fiat, Jeep, Lancia, Maserati, Opel, Peugeot, Ram). Tavares hat drei Kinder, vier Enkelkinder, ist Winzer, Hobbyrennfahrer und sammelt Oldtimer.

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Themawechsel: Retten E-Fuels den Verbrennungsmotor?
Für die 1,3 Milliarden Verbrenner, die weltweit im Umlauf sind, müssten E-Fuels null Emissionen erreichen. Und das zu einem Preis, den sich die Leute leisten können. Beides ist im Moment nicht der Fall. Punkto Emissionsreduktion stehen wir aktuell bei 70 bis 80 Prozent. Sind diese beiden Probleme gelöst, können E-Kraftstoffe eine gute Lösung sein. Wir unterstützen jedenfalls die Entwicklung und schauen, dass die Motoren all unserer Marken für E-Kraftstoffe geeignet sind.

Was ist Ihrer Meinung nach die richtige Antriebsstrategie?
Darüber muss ich mir keine Gedanken machen. Die Technologie wird uns von der Politik diktiert. Sie hat mit dem Verbrennerverbot ab 2035 die «wissenschaftliche Entscheidung» getroffen – und alles, was wir tun können, ist, mit ihr zu leben. Nur stösst die Politik jetzt damit gegen die Wand der Realität. Die einzigen Autohersteller, die aktuell damit umgehen können, sind die Chinesen.

Wo ist das Problem?
Weil Elektroautos heute für die meisten Menschen nicht erschwinglich sind, muss die Autoindustrie Technologien entwickeln, die sicher, sauber und erschwinglich sind. Und zwar in verschiedene Richtungen. 1,3 Milliarden Autos verkehren auf unserem Planeten – und wir diskutieren über den Tag, an dem wir 20 oder 30 Millionen Elektroautos zu einem hohen Preis auf einem jährlichen Weltmarkt von 85 Millionen PWs verkaufen werden. Das ist doch nur ein Tropfen auf einen heissen Stein. Und «wir» sind ja «die Reichen» dieser Welt. Aber glauben Sie ernsthaft, dass die EU die Nutzung von Verbrennerfahrzeugen in Marokko verbieten wird? Oder in Angola, Venezuela oder in Indien?

Was ist die Lösung?
Tja, auf diese Frage habe ich auch keine Antwort. Aber ich kann Ihnen ein weiteres Beispiel nennen, wie sehr die politischen Entscheidungen der EU mit der Realität kollidieren. Im Nebenjob bin ich Winzer und produziere Portwein. Meine Leute in den Weinbergen nutzen 40 Jahre alte Pick-ups mit Dieselmotoren. Stellantis wird demnächst einen leichten Elektro-Pick-up für rund 70'000 Euro auf den Markt bringen. Aber ich kann doch von meinen Mitarbeitenden im Douro-Tal nicht verlangen, dass sie jetzt ihren 40-jährigen Diesel-Pick-up verschrotten und stattdessen den neuen, mindestens 35-mal teureren Elektro-Pick-up kaufen.

Was läuft in China besser als bei uns?
Der Unterschied liegt weniger bei der Technik als bei den Kosten. In Europa werden junge Leute ausgezeichnet ausgebildet. Vielleicht nutzen wir die Intelligenz der neuen Generationen zu wenig. Wesentlicher erscheinen mir aber die unterschiedlichen Kostenstrukturen. Unsere Regierungen haben beschlossen, ein System zu schaffen, das es uns unmöglich macht, gegenüber dem Rest der Welt wettbewerbsfähig zu sein. Die Chinesen haben im Vergleich zu Europa einen Kostenvorteil von 30 Prozent. Sie können Elektroautos fast zum Preis von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren verkaufen und immer noch einen angemessenen Gewinn erzielen. Wir nicht. So einfach ist das.

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