Nachhaltigkeit gibt Gummi
Auch Autoreifen werden klimaneutral

Nachhaltigkeit heisst das Gebot der Stunde – auch in der Autobranche. Bei Firmen wie Continental, Michelin und Bridgestone zieht sie jetzt bei der klimaneutralen Produktion von Autoreifen ein.
Publiziert: 20.03.2023 um 16:08 Uhr
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Aktualisiert: 20.03.2023 um 16:18 Uhr
Wolfgang Gomoll

Bis vor ein paar Jahren rollte die Reifenwelt noch in geordneten, lange eingefahrenen Bahnen: In erster Linie war es für die Hersteller wichtig, möglichst viel Grip und ein stabiles Laufverhalten am Pneu zu generieren. Mit der Verwendung von Materialien wie Naturkautschuk oder Stahl konnten diese Eigenschaften effizient umgesetzt werden.

Doch nicht nur bei den Autobauern, sondern auch bei den Pneu-Produzenten spielt das Thema Nachhaltigkeit eine immer wichtigere Rolle. Die Maxime lautet: Nicht nur die Fertigung an sich soll CO2-neutral werden, sondern auch das Endprodukt – dies mit dem Einsatz von ökologischen und wiederverwertbaren Komponenten. Hersteller wie Michelin und Continental streben danach, bis 2050 eine positive Klimabilanz aufzuweisen.

Grosse Herausforderungen

Die Kunst beim Einsatz von nachhaltigen Materialien ist es – besonders bei einem so sicherheitsrelevanten Bauteil wie dem Reifen – die entscheidenden Eigenschaften wie Haftung und Rollwiderstand beizubehalten. Das Material muss elastisch und robust bleiben, damit es beim Abbremsen oder starken Beschleunigen nicht auseinanderbröckelt. Auch Öko-Pneus müssen auf trockenen und nassen Strassen genauso wie im Winter auf Schnee und Eis das halten, was ihre weniger nachhaltigen Vorgänger versprochen haben. Kurzum: Umweltschutz darf nicht auf Kosten der Sicherheit gehen.

Neben den grüneren Antrieben sind immer mehr klimaneutrale Herstellungsprozesse in der Automobilindustrie zu finden.
Foto: Thomas Schorn
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Dieser Prozess hin zu nachhaltigen Pneus wird natürlich nicht über Nacht absolviert. Die Transformation wird Schritt für Schritt Einzug halten. Aktuell bestehen beispielsweise die Reifen von Continental bis zu 20 Prozent aus nachwachsenden oder wieder verwertbaren Materialien.

Grüner Gummi

Sollen Reifen nachhaltiger werden, müssen die Hersteller besonders bei einem Produkt ansetzen: Naturkautschuk. Er wird oft in Monokulturen in südlichen Ländern unter dem Einsatz von Pestiziden angebaut. Da ein Autoreifen bis zu 40 Prozent aus Kautschuk besteht, müssen gigantische Mengen davon importiert werden. Die gute Nachricht: Die Pneu-Produzenten sind mit Hochdruck daran, nachhaltige Alternativen zu finden – mit ersten Ergebnissen.

Ein Beispiel ist die finnische Firma Nokian Tyres, die aktuell an synthetischem Kautschuk aus Birkenrindenresten forscht. Genug Rohstoffe wären vorhanden: Birkenrinde ist ein Abfallprodukt der Zellstoff-, Papier- und Sperrholzindustrie. Allein die Forstindustrie in Finnland und Schweden produziert laut dem Hersteller Reselo genug Rohmaterial, um damit 200'000 Tonnen des Birken-Kautschuks herzustellen. Eine andere Variante ist Kautschuk aus Löwenzahn.

Allerdings können diese Alternativen die bisherigen Materialien erst dann ersetzen, wenn sie identische oder zumindest ähnliche Eigenschaften aufweisen. Das Gleiche gilt für Silika: Der feuerfeste Baustoff bindet die Materialien im Gummi besser, was den Abrieb minimiert. Ausserdem hat die Mischung Einfluss auf Grip, Rollwiderstand und Laufleistung eines Pneus. Herkömmlich wird der Stoff aus Quarzsand hergestellt. Energieeffizienter ist aber die Gewinnung aus der Asche von Reishülsen.

Stichwort Recycling

Zur Reifenproduktion der Zukunft werden auch wiedergewonnenes Gummi und rezyklierte PET-Flaschen in Form von sogenanntem HMLS-Polystergarn gehören. Das Material unterstützt die Sicherheit bei hohen Fahrgeschwindigkeiten und bleibt auch unter Belastung und hohen Temperaturen formstabil. Aus Schuhsohlen und Kunstrasen werden bereits Materialien entnommen, die bei runderneuerten Pneus verwendet werden. Und Stahl kann heute bereits mit Wasserstoff aus erneuerbaren Energien statt der klassischen CO2-intensiven Kohle hergestellt werden.

Zur Nachhaltigkeits-Strategie der Reifenproduktion gehören auch Transparenz und die Nachverfolgbarkeit der eingesetzten Materialien. Denn alle Ideen und Konzepte verpuffen, wenn beim Transport CO2 im Überfluss in die Luft geblasen wird. Klar ist, dass die Zukunft der Reifen genauso im Labor wie auf den Teststrecken geformt wird.

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