«Der Folgore ist ein Wahnsinns-Auto»
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Blick testet Elektro-Maserati:«Der Folgore ist ein Wahnsinns-Auto»

Maseratis Weg in die Elektro-Zukunft
Vom Ballermann zum leisen Blitz

Der GranTurismo Folgore wird Maseratis erstes rein elektrisches Modell. Bis 2030 will die bisher für Ballerorgien bekannte Sportwagenmarke den Verbrennern komplett den Stecker ziehen. Der Elektro-GT gibt einen ersten Vorgeschmack auf die leise Zukunft der Italiener.
Publiziert: 01.03.2023 um 10:43 Uhr
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Aktualisiert: 01.03.2023 um 10:53 Uhr
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Andreas EngelRedaktor Auto & Mobilität

Understatement war bislang nicht das Ding von Maserati. Wer an einem sonnigen Wochenende den Schweizer Seepromenaden entlang flaniert, wird – gewollt oder ungewollt – Zeuge des Selbstverständnisses der italienischen Sportwagenmarke. Wenn die V8-Sportboliden von Ampel zu Ampel jagen, verstummen alle Nebengeräusche im Gebrüll der schmetternd-schreienden Hochleistungsverbrenner. Ab April dürfte es allerdings zunehmend ruhiger werden auf unseren Boulevards: Dann startet die komplett neue, zweite Generation des vierplätzigen Sportwagens GranTurismo – für Maserati der Beginn einer neuen Ära.

Zwar bieten die Italiener ihr Sportcoupé auch weiterhin mit einem echten Hochleistungstriebwerk an: Der von Maserati in Modena selbst entwickelte, doppelt aufgeladene V6-Motor treibt schon den 2021 auf den Markt geschossenen Supersportwagen MC20 an. Dort wuchtet das Powerpaket aus seinen drei Litern Hubraum maximal 630 PS an die Hinterräder und beschleunigt die Flunder in 2,9 Sekunden auf Tempo 100 – unter tosenden Baller-Fanfaren, versteht sich.

Auch Maserati kann Lärmschutz

Im neuen GranTurismo wird die Leistung des Nettuno (Neptun) genannten Motors allerdings zugunsten der Langlebigkeit gedrosselt, erreicht in der Topversion Trofeo aber immer noch imposante 550 PS. Doch mindestens so wichtig wie die reine Kraft ist bei der Marke mit dem Dreizack im Logo der Sound, der die Aussenwelt am Verbrennen des Kraftstoffs im Innern der Brennkammern teilhaben lässt. Doch wir können schon mal so viel verraten: Allzu ausufernde Ballerorgien gehören im zukunftsgerichteten GranTurismo der Vergangenheit an – auch Sportwagenbauer müssen sich heutzutage an die behördlich vorgeschriebenen, immer strenger werdenden Lärmschutzauflagen halten.

Ab April wirds ruhiger auf unseren Boulevards. Dann startet die neue, zweite Generation des vierplätzigen Sportwagens GranTurismo – für Maserati ist es der Beginn einer neuen Ära.
Foto: zVg
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Trofeo packt irre zu

Zwar geht auch der neue GT mit einem voluminösen Klangteppich zu Werke. Doch das ganz infernalische Hochtouren-Sägen wie beim Vorgänger ist es nicht mehr. Dazu kommt ein synthetisch aufgesetzter Klang aus den Innenraum-Lautsprechern, der einen V8 imitiert und uns am Anfang der Testfahrt irritiert. Wir haben uns allerdings so schnell ans Zusatzvolumen aus den Boxen gewöhnt, dass wir uns schon bald voll und ganz auf die Fahrqualitäten des GT konzentrieren können.

Und das lohnt sich: Der Trofeo packt nicht nur irre zu (0–100 km/h in 3,5 s, 320 km/h Spitze), sondern lässt sich so präzise und harmonisch durchs römische Hinterland dirigieren, sodass wir zumeist vergessen, dass wir in einem 4,97 Meter langen Edelcruiser sitzen. Der 253'000 Franken teure GranTurismo Trofeo (der günstigere, 490 PS starke Modena folgt später) bietet den perfekten Mix aus komfortabler Limousine und brachialem Sportwagen und macht seinem Namen alle Ehre.

Maserati GranTurismo Trofeo

Antrieb 3.0-V6-Twinturbo-Benziner, 550 PS (404 kW), 650 Nm@3000 U/min, 8-Stufen-Automat, Allrad.
Fahrleistungen 0–100 km/h in 3,5 s, Spitze 320 km/h.
Masse L/B/H 4,97/1,96/1,35 m, Gewicht 1795 kg, Laderaum 310 l.
Verbrauch noch nicht homologiert
Preis ab 253'000 Franken

Antrieb 3.0-V6-Twinturbo-Benziner, 550 PS (404 kW), 650 Nm@3000 U/min, 8-Stufen-Automat, Allrad.
Fahrleistungen 0–100 km/h in 3,5 s, Spitze 320 km/h.
Masse L/B/H 4,97/1,96/1,35 m, Gewicht 1795 kg, Laderaum 310 l.
Verbrauch noch nicht homologiert
Preis ab 253'000 Franken

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Die Blitze kommen

Doch die Antwort, warum der GT eine neue Ära für Maserati einläutet, finden wir auf der Rennstrecke Vallelunga nahe Rom. Hier steht das – noch nicht strassenzugelassene – Modell, dessen Zusatz in den kommenden Jahren nach und nach alle Maseratis im Namen tragen werden: Folgore. Folgore bedeutet auf Italienisch Blitz – und der GranTurismo ist das erste Modell der Italiener, das nur von Elektromotoren angetrieben wird. Wobei «angetrieben» eine ziemliche Untertreibung ist, was wir auf dem 4,1 Kilometer langen Circuit wenig später erleben werden.

Doch erst zur Theorie: Drei E-Motoren, einer an der Vorderachse, je einer pro hinterem Rad, leisten zusammen bis zu 1200 PS und 1350 Nm Drehmoment. Beschränkt wird die Leistung aktuell noch von der T-förmig im Unterboden eingebauten Batterie, die dauerhaft 761 PS (560 kW) – im Overboost bis zu 829 PS (610 kW) – erlaubt. Wenn in den kommenden Jahren noch leistungsstärkere Akkus auf den Markt kommen, kann dann auch die volle Power der E-Maschinen abgerufen werden. Maserati hat bei seinem Zukunftsmodell eben schon weiter in die Zukunft geplant.

Ganz vorne in der Elektro-Liga

Allerdings verhält sich der Folgore auch mit beschränkter Leistung wie ein Blitz: Er zieht so zackig los, dass bereits nach 2,7 Sekunden die 100-km/h-Schallmauer durchbrochen ist! Doch danach ist nicht Schluss: Nach 8,8 Sekunden soll er bereits 200 km/h knacken und erst bei 325 km/h seinen Höhepunkt erreichen. Damit fährt der Folgore ganz vorne in der Elektro-Sportliga mit. Doch fast noch mehr erstaunt sein feines Handling. Dank der blitzschnellen Kraftverteilung zwischen den hinteren Rädern, Torque Vectoring genannt, pfeilt der GT so spursicher durch Kurven, dass ihn auch zu wildes Lenken oder übermütige Tritte aufs Elektro-Pedal kaum aus der Ruhe bringen (hier gehts zum ausführlichen Fahrbericht).

Maserati GranTurismo Folgore

Antrieb 3 E-Motoren mit je 408 PS (300 kW), Systemleistung 761 PS (560 kW), 1350 Nm@1 U/min, 1-Stufen-Automat, Allrad, Batterie 83 kWh (netto).
Fahrleistungen 0–100 km/h in 2,7 s, Spitze 325 km/h, Reichweite 450 km.
Masse L/B/H 4,96/1,96/1,35 m, Gewicht 2260 kg, Laderaum 270 l.
Verbrauch noch nicht homologiert
Preis ab 202'000 Franken

Antrieb 3 E-Motoren mit je 408 PS (300 kW), Systemleistung 761 PS (560 kW), 1350 Nm@1 U/min, 1-Stufen-Automat, Allrad, Batterie 83 kWh (netto).
Fahrleistungen 0–100 km/h in 2,7 s, Spitze 325 km/h, Reichweite 450 km.
Masse L/B/H 4,96/1,96/1,35 m, Gewicht 2260 kg, Laderaum 270 l.
Verbrauch noch nicht homologiert
Preis ab 202'000 Franken

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Natürlich: Es ist schon etwas komisch, wenn dieser knapp 2,3 Tonnen schwere Maserati quasi geräuschlos durchs Rund jagt. Wobei, ganz geräuschlos doch nicht: Untermalt wird die Elektro-Orgie nämlich vom synthetisch erzeugten Gegrummel aus den im schön verarbeiteten Innenraum verteilten Lautsprechern, das an einen V8-Motor erinnern soll und deutlich stimmiger wirkt als das übertrieben spacige Gedudel mancher Konkurrenten. Apropos Konkurrenz: Als elektrischer Zweitürer mit Supersportwagen-Allüren steht der GranTurismo Folgore aktuell ziemlich allein auf weiter Flur – vom millionenteuren Hypercar Rimac Nevera mal abgesehen.

Dank Strom auf der Überholspur

So kann man fast schon von Ironie des Schicksals sprechen, dass Maserati mit dem Elektro-GT auf einmal ganz vorne im strombetriebenen Sportwagen-Quartett mitfährt. Wenn der ab 202'000 Franken kostende Folgore in der zweiten Jahreshälfte 2023 zu den hiesigen Händlern gleitet, wird es nicht nur bei Maseratis Nachbarn Lamborghini und Ferrari noch Jahre dauern, bis konkurrenzfähige Stromer in den Startlöchern stehen. Maserati wird so still und heimlich zum Technologieführer, und das nicht nur in Italien – wer hätte das vor wenigen Jahren gedacht?

CEO Davide Grasso hat die Segel längst Richtung Elektro-Zukunft gesetzt: Geht alles nach Plan, gibts bis 2025 jedes Modell im Portfolio mit E-Antrieb – schneller als bei jeder anderen Marke in Europa. Ab 2030 soll dann komplett Schluss sein mit Verbrennungsmotoren. «Vielleicht sogar noch früher», sagt Grasso. Für eingefleischte Maserati-Fans muss das hart klingen, aber der Weg ist längst eingeschlagen: Es hat sich ausgeballert in Modena.

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