Namenschaos bei Elektromodellen
Was der VW Golf mit Nutella zu tun hat

Mit der Elektromobilität entstehen in der Autobranche viele neue Modellnamen. Bedeutet dies das Ende bekannter und legendärer Bezeichnungen wie Ford Mustang, Toyota Corolla oder VW Golf? Marketing-Professorin Johanna Gollnhofer von der Uni St. Gallen kennt die Antwort.
Publiziert: 01.01.2023 um 11:08 Uhr
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Martin A. BartholdiRedaktor Auto & Mobilität

Der Golf! Seit bald einem halben Jahrhundert ist der Kompaktwagen auf dem Markt – und fast so lange jedem ein Begriff. Es braucht deshalb auch keine weitere Präzisierung, dass der Golf ein VW ist. Das weiss jeder. Bei S-Klasse, Corolla, 3er oder Mustang verhält es sich ähnlich. Unser Hirn stellt sofort die Verknüpfung zu den Marken Mercedes, Toyota, BMW oder Ford her.

Derart legendäre Modellnamen prägen einen Autohersteller. Aus Marketing-Sicht sind sie sogar eine eigene Marke, weiss Marketing-Professorin Johanna Gollnhofer (35) von der Universität St. Gallen (HSG): «Im Kopf der Konsumenten ist der Golf eine eigene Marke, die für etwas steht.» So gilt der kompakte Bestseller als erschwinglich, zuverlässig und als Familienfreund. «Im besten Fall für die Marke bauen wir eine enge, freundschaftliche Beziehung auf», erklärt Gollnhofer. Und macht ein Beispiel. «Es gibt Leute, die nehmen ihr Nutella-Glas mit in den Urlaub und posten dann Bilder von sich und Nutella am Pool.»

Mit Vollgas in die Namenssackgasse

Autos sind schon per se treue Begleiter wie auch das Nutella-Glas. Viele Autohersteller haben um ihr bekanntes Modell eine Reihe logischer Namen aufgebaut. Bei VW sind zusätzlich zum Golf auch der Polo, der Passat, der Sharan und früher der Scirocco nach Winden benannt. Mercedes hat A-, C- oder E-Klasse, BMW 1er, 5er oder 7er. Mit der aufkommenden Elektromobilität und der damit verbundenen Stromer-Modelloffensive entstand aber plötzlich ein Begriffschaos. Gerade Mercedes und Audi stecken aktuell in einer Namenssackgasse.

Der VW Golf ist eine für sich stehende starke Marke.
Foto: Andreas Engel
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Die elektrischen Mercedes EQ funktionierten vom ersten Stromer EQC über den Van EQV und die Kompakt-SUVs EQA und EQB noch problemlos. Doch dann kamen die Limousine EQS sowie EQE – und von diesen werden auch sogenannte Crossover-Derivate angeboten. Die Lösung mit dem Zusatz SUV ist vielleicht nicht so elegant wie mancher Mercedes-Innenraum, aber immerhin einfach und verständlich. Audis erster Elektro-SUV E-Tron funktionierte bei der Lancierung 2018 auch noch problemlos. Selbst mit der GT genannten Limousine dazu noch. Doch mit den weiteren Elektro-SUVs, dem Q4 E-Tron und dem bald startenden Q6 E-Tron, wurde es unlogisch und in der Folge unübersichtlich. Audi manövriert sich mit einer Umbenennung aus dieser Sackgasse. So wandelt sich jetzt mit dem Facelift der E-Tron neu zum Q8 E-Tron. Somit stimmt die logische Audi-Nomenklatur wieder.

Doch derart unübersichtliche Bezeichnungsirrungen können den Kunden überfordern. Marketing-Expertin Gollnhofer. «Die Autoindustrie spielt viel mit verschiedenen Zahlen und Namen. Das kann bei Konsumenten schnell zu Verwirrung führen.» Oftmals versuchen Kundinnen und Kunden, diese dann mit Google zu klären. «Als Resultat», so Gollnhofer, «erhalten sie oft eine noch grössere Auswahl von noch mehr Herstellern und ihren Marken. Im schlimmsten Fall wechseln Sie zu einem Konkurrenten oder schieben den Kauf auf.» Trotzdem findet Johanna Gollnhofer den Ansatz gut, Elektromodelle mit einem eigenen Label zu versehen, um so eine neue Marke zu schaffen. Mit einem neuen Namen lässt sich eine Innovation herausstreichen: «Philipp Morris hat mit Marlboro eine starke Marke. Aber für die E-Zigarette schuf das Unternehmen mit Iqos eine neue Marke. Damit ist die Innovation unabhängig und hat auch ein besseres Image als das klassische Rauchen.»

Neuer Name, neues Image

Ähnliche Überlegungen spielten sicher auch in der Volkswagen-Konzernzentrale in Wolfsburg (D) eine Rolle, als für die VW-Elektromodelle die ID-Familie gegründet wurde. Nach dem Diesel-Skandal brauchte VW dringend eine neue Marke mit weisser Weste – ähnlich der «sauberen» E-Zigarette Iqos. Doch jetzt zeichnet sich eine Vermischung der Verbrenner- und Elektrowelt ab. Die VW-Erfolgsmodelle Golf und Tiguan sollen elektrische Nachfolger erhalten und dürften ähnlich dem ID. Buzz als ID. Golf und ID. Tiguan in die Stromer-Familie aufgenommen werden.

Marketingtechnisch macht es Sinn, diese etablierten Namen zu erhalten. «Eine starke Marke hat das Potenzial, Generationen zu überleben, man stampft sie meistens nicht ein», erklärt die Uni-Marketing-Professorin. Die ID-Familie könnte durch den Namen Golf gepusht werden. Doch Gollnhofer vermutet eine andere Strategie: «Der Golf ist im Kopf der Konsumenten als Verbrenner verankert. Der Link zu ID kann darauf zielen, die Marke Golf ins Elektro-Zeitalter zu führen.» Seit seiner Einführung 1974 hat sich der Bestseller immer wieder verändert. Und wenn er sich weiter verändert, wird er vielleicht ein weiteres halbes Jahrhundert ein Begriff bleiben.

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