Zahl der Verkehrstoten steigt wieder
So gefährlich sind E-Bikes wirklich

Noch nie wurden in der Schweiz so viele Velos und E-Bikes verkauft wie im Jahr 2020. Gleichzeitig steigt auch die Zahl Toter und Schwerverletzter. Bund und Experten fordern deshalb eine Helmtragpflicht für E-Bike-Fahrende. Dagegen wehrt sich allerdings die Velo-Lobby.
Publiziert: 06.06.2021 um 06:00 Uhr
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Aktualisiert: 06.06.2021 um 15:06 Uhr
  • Neuer Verkaufsrekord bei Velos und E-Bikes
  • Gleichzeitig steigt die Zahl Toter und Schwerverletzter
  • Experten fordern Helmpflicht für E-Bikes
  • Velo-Lobby fürchtet einen Einbruch der Verkäufe
Andreas Engel

Jahr für Jahr vermelden die Schweizer Velohändler neue Verkaufsrekorde – so auch für 2020. Allerdings hat Corona den Boom für Zweiräder nochmals massiv verstärkt: Mehr als 500'000 Velos wurden im letzten Jahr laut Importeursverband Velo Suisse in der Schweiz verkauft – im Vorjahr waren es noch rund 363'500 Fahrräder.

Einen erheblichen Anteil am Veloboom hatten auch 2020 E-Bikes, deren Verkäufe gegenüber 2019 nochmals um fast 30 Prozent zulegten. Mit über 171'000 Stück machten die Elektro-Velos mehr als ein Drittel aller verkauften Fahrräder in der Schweiz aus – Tendenz weiter steigend.

Immer mehr tote Biker

Doch nicht nur die Anzahl der Velos ist auf unseren Strassen markant gestiegen – sondern auch die Zahl schwerer Unfälle mit Toten und Schwerverletzten unter Velo- und E-Bike-Fahrern. Laut aktuellen Zahlen des Bundesamts für Strassen (Astra) sind im letzten Jahr insgesamt 44 Velofahrer – 29 auf normalen Velos, 15 auf E-Bikes – auf Schweizer Strassen gestorben: Über ein Drittel mehr gegenüber 2019, als 27 Personen ums Leben kamen.

Dies dürfte laut Astra auch das Unfallgeschehen mitbeeinflusst haben.
Foto: Keystone
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Hinsichtlich der Schwerverletzten bestätigt sich insbesondere bei den E-Bikes der Negativtrend: Wurden 2019 noch 355 Personen bei einem E-Bike-Unfall schwer verletzt, waren es im letzten Jahr schon 521 – wiederum ein Anstieg um über ein Drittel. Bei normalen Velos stieg die Zahl Schwerverletzter von 802 Personen im Jahr 2019 auf nunmehr 934.

Corona führt zu mehr Velo-Verkehr

Das Astra liefert auch gleich eine Erklärung der starken Zunahme: «Aufgrund der Corona-Pandemie haben viele Personen vermehrt das Velo genutzt. Die mit einem Velo und E-Bike zurückgelegten Distanzen haben im zweiten und dritten Quartal 2020 deutlich zugenommen. Dies dürfte das Unfallgeschehen mitbeeinflusst haben.»

Im Hinblick auf die Unfallfrequenz hat die Beratungsstelle für Unfallverhütung BfU bereits vor geraumer Zeit darauf hingewiesen, dass Fahrerinnen von E-Bikes mehr als doppelt so häufig in Unfälle mit schweren oder tödlichen Verletzungen involviert sind als Fahrer, die auf rein muskelbetriebenen Velos unterwegs sind.

E-Bike-Fahrern fehlt es oft an Übung

Auch Bettina Zahnd, Leiterin der Unfallforschung bei Versicherer Axa, beobachtet in den letzten Jahren eine starke Zunahme an Unfällen mit E-Bikes. Ihre Erklärung: «E-Bikes sind schwerer und schneller als gewöhnliche Velos. Sie gleichen optisch zwar Fahrrädern, sind aber letztlich halt doch als Motorfahrräder zu betrachten. Entsprechend benötigen die Fahrer auch mehr Übung».

Diese Regeln gelten für E-Bikes

Langsame E-Bikes bis 25 km/h:

  • Lichtpflicht auch am Tag
  • Motor darf nicht stärker als 0,5 kW (0,7 PS) sein (Unterstützung bis 25 km/h)
  • keine Nummer / keine obligatorische Haftpflichtversicherung
  • Anschiebehilfe bis 20 km/h erlaubt
  • keine Helmpflicht
  • Führerausweis M für 14-16 Jährige
  • Durchfahren bei Mofaverbot erlaubt
  • Befahren von Fussgängerflächen mit «Velo gestattet» erlaubt
  • Keine Tachopflicht
  • Befahren von Radwegen obligatorisch

Schnelle E-Bikes bis 45 km/h:

  • Lichtpflicht auch am Tag
  • Motor darf nicht stärker als 1 kW (1,35 PS) sein (Unterstützung bis 45 km/h)
  • gelbe Nummer erforderlich / obligatorische Haftpflichtversicherung
  • Anschiebehilfe bis 30 km/h erlaubt
  • Helmpflicht
  • Führerausweis M (ab 14 Jahre)
  • Durchfahren bei Mofaverbot mit abgestelltem Motor erlaubt
  • Befahren von Fussgängerflächen mit «Velo gestattet» mit abgestelltem Motor erlaubt
  • Tachopflicht – muss auch bei Bestandsfahrzeugen nachgerüstet werden (seit 1. April 2024)
  • Befahren von Radwegen obligatorisch
Keystone

Langsame E-Bikes bis 25 km/h:

  • Lichtpflicht auch am Tag
  • Motor darf nicht stärker als 0,5 kW (0,7 PS) sein (Unterstützung bis 25 km/h)
  • keine Nummer / keine obligatorische Haftpflichtversicherung
  • Anschiebehilfe bis 20 km/h erlaubt
  • keine Helmpflicht
  • Führerausweis M für 14-16 Jährige
  • Durchfahren bei Mofaverbot erlaubt
  • Befahren von Fussgängerflächen mit «Velo gestattet» erlaubt
  • Keine Tachopflicht
  • Befahren von Radwegen obligatorisch

Schnelle E-Bikes bis 45 km/h:

  • Lichtpflicht auch am Tag
  • Motor darf nicht stärker als 1 kW (1,35 PS) sein (Unterstützung bis 45 km/h)
  • gelbe Nummer erforderlich / obligatorische Haftpflichtversicherung
  • Anschiebehilfe bis 30 km/h erlaubt
  • Helmpflicht
  • Führerausweis M (ab 14 Jahre)
  • Durchfahren bei Mofaverbot mit abgestelltem Motor erlaubt
  • Befahren von Fussgängerflächen mit «Velo gestattet» mit abgestelltem Motor erlaubt
  • Tachopflicht – muss auch bei Bestandsfahrzeugen nachgerüstet werden (seit 1. April 2024)
  • Befahren von Radwegen obligatorisch
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Dass die steigende Anzahl E-Bike-Unfälle an fehlender Fahrpraxis der Besitzer festzumachen sein könnte, bestätigen sowohl die Axa als auch das Astra: Die meisten Unfälle mit Elektro-Velos seien Schleuder- oder Selbstunfälle gewesen – Stürze ohne Einwirkung von weiteren Verkehrsteilnehmenden also.

Velo ist nicht gleich Velo

Kommt es zu einer Kollision mit einem anderen Fahrzeug, seien E-Bikes häufiger Opfer als Verursacher. Der Grund: Auch die anderen Verkehrsteilnehmer könnten die Geschwindigkeit der E-Bikes nicht richtig abschätzen. «Auch Autofahrer müssen sich daran gewöhnen, dass Fahrrad nicht gleich Fahrrad ist», sagt Bettina Zahnd. E-Bike-Fahrer sollten entsprechend sensibilisiert werden – besonders im Hinblick auf die zunehmende Verbreitung von Shared-E-Bikes in Schweizer Städten.

Ausserdem fordert Zahnd eine Tachopflicht für schnelle E-Bikes bis 45 km/h, da sich die Fahrerinnen oft selbst nicht bewusst wären, wie schnell sie unterwegs sind. Die wichtigste Massnahme wäre aus Sicht der Expertin aber eine obligatorische Helmtragpflicht für alle E-Bike-Fahrer – nicht nur bei schnellen Modellen, sondern auch bei denjenigen bis 25 km/h.

Velo-Lobby wehrt sich gegen Helmpflicht

Gegen ein Obligatorium, wie es im Übrigen auch vom Bund vorgesehen ist, wehrt sich Velo Suisse vehement. In einem Communiqué vom September 2020 warnt der Importeursverband davor, dass eine Helmpflicht zu einem Einbruch der E-Bike-Verkäufe führen könnte – ähnlich, wie dies Anfang der 1990er-Jahre bei Mofas der Fall war. «Mit einer Helmpflicht wird nicht nur abschreckend signalisiert: Velofahren ist gefährlich! Die Regierung nimmt damit ganz bewusst in Kauf, dass der Boom in Richtung leichte, platzsparende und umweltfreundliche E-Bikes beendet wird.»

Velo Suisse wirft dem Bund gar Alarmismus vor: «Es drängt sich der Verdacht auf, dass das Astra versucht, mit alarmierenden Unfallzahlen, die effektiv aber wenig besagen, den Boden für eine Helmpflicht für langsame E-Bikes bis 25 km/h und weitere Sicherheitsmassnahmen zu ebnen.» Mit der derzeit laufenden Revision des Strassenverkehrsgesetzes wird auch die von der Axa geforderte Tachopflicht für schnelle E-Bikes sowie ein Lichtobligatorium für alle E-Bikes in Aussicht gestellt. Auch dies ist Velo Suisse ein Dorn im Auge.

Infrastruktur ist entscheidend

Nur in einem sind sich Bund, Versicherer und Velo Suisse einig: Um die Sicherheit aller Verkehrsteilnehmenden zu erhöhen, muss die Infrastruktur für Zweiräder dringend verbessert werden. Die Vernehmlassung für ein neues Velowegegesetz wurde letzten September abgeschlossen. Noch dieses Frühjahr will der Bundesrat dem Parlament nun eine Gesetzesbotschaft unterbreiten.

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