Frischer Mercedes Marco Polo im Schottland-Test
Campst du noch oder glampst du schon?

Wer nicht bloss Campen, sondern Glampen will, ist mit der überarbeiteten V-Klasse als Version Marco Polo bestens beraten. Der kompakte Mercedes-Camper bietet grosse Annehmlichkeiten auf kleinem Platz – doch Luxus hat wie immer seinen Preis.
Publiziert: 17.08.2024 um 09:01 Uhr
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Aktualisiert: 17.08.2024 um 13:40 Uhr
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Andreas EngelRedaktor Auto & Mobilität

Raus aus dem Alltags-Mief, rein ins Abenteuer! Viele Camping-Fans dürften schon auf die bevorstehenden Sommerferien hinfiebern. Doch wohl nur wenige haben Schottland als Traum-Destination auf dem Radar. Rund 1500 Kilometer ist die Schweiz von der schottischen Hauptstadt Edinburgh entfernt; und Temperaturen von mehr als 20 Grad sind selbst im Hochsommer kaum zu erwarten.

Umso erstaunlicher, dass das erste dokumentierte Camping-Mobil aus dem Vereinten Königreich stammt: 1884 entwarf der gebürtige Schotte Dr. William Gordon Stables einen vollausgestatteten, sechs Meter langen und 3,50 Meter breiten Wohnwagen. Ein Jahr später reiste er in seiner «Landjacht» von England aus in seine Heimat. Der von Pferden gezogene Anhänger war innen gar mit Mahagoni-Holz ausgestattet – Glamping im 19. Jahrhundert!

40 Jahre Marco Polo

Mit Glamping – einer Wortschöpfung aus «Glamourös» und «Camping» – hatte Mercedes' erstes Marco-Polo-Modell aus dem Jahre 1984 noch nicht viel gemein. Der erste kompakte Camper der Schwaben baute auf dem Transporter T1 auf – Fans erinnern sich heute noch an die Stummelhaube und den weissen Westfalia-Aufbau. Seit 2015 baut die nunmehr vierte Auflage des Marco Polo auf dem Edel-Van V-Klasse auf – und wird zur neuen Saison mit einer gründlichen Überarbeitung zum glamourösesten Kompakt-Camper aller Zeiten!

Der erste Marco Polo auf Basis des Transporters T1 ist vielen Fans heute noch wegen seiner Stummelhaube und des weissen Westfalia-Aufbaus in Erinnerung.
Foto: zVg
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Am Flughafen von Edinburgh übernehmen wir «unseren» Marco Polo, der uns die nächsten zwei Tage als Eigenheim auf Rädern zur Verfügung steht. Schon optisch gibts deutliche Anpassungen zum Vorgänger: Vorne ziert ein neuer, nachts optional beleuchteter Kühlergrill die Front – auf Wunsch umrahmt von modernen LED-Matrixscheinwerfern. Im Cockpit blicken wir auf Mercedes' bekanntes Doppeldisplay mit je 12,3 Zoll für Instrumente und Infotainment. Am mittigen Hauptbildschirm werden nicht nur das exzellente Navi, sondern auch die spezifischen Campervan-Features bedient. Dazu gleich mehr.

Diesel mit Durchzug

Denn zunächst muss der Marco Polo sein fahrerisches Talent unter Beweis stellen. Was schon nach wenigen Kilometern auffällt: Trotz der üppigen Aussenmasse kommen wir im schottischen Linksverkehr nie ins Schwitzen. Wir schwimmen dank jeder Menge Assistenten gelassen auf der Autobahn M9 mit, haben von hinten anrauschende Fahrzeuge im digitalen Rückspiegel im Blick und staunen später auf den enger werdenden Landstrassen Richtung Highlands sogar über ein gewisses Mass an Fahrspass.

Der Zweiliter-Vierzylinder-Diesel leistet als Allrad-Topmodell 300d 237 PS (174 kW) und – fast noch wichtiger – satte 500 Nm Drehmoment. Kombiniert mit der exzellent schaltenden Neungang-Automatik werden so selbst Überholmanöver im rund drei Tonnen schweren Campervan nicht zum Sicherheitsrisiko. Das neue, optionale Luftfeder-Fahrwerk bügelt dabei auch gröbere Unebenheiten sauber aus und gefällt mit einem hohen Mass an Komfort, ohne unangenehm nachzuschaukeln.

Nie mehr schräg campen

Nach rund dreieinhalbstündiger Fahrt treffen wir am Abend im Nachtlager in Monachyle Mhor ein. Bevor wir uns ein wohlverdientes Bier aus dem 40 Liter fassenden Kühlschrank gönnen, der bei Bedarf auch als Tiefkühler (bis -18 Grad) taugt, richten wir den V-Klasse-Camper für die Nacht ein. Die diversen Spezial-Funktionen wie das Öffnen des elektrisch ausfahrbaren Aufstelldachs lassen sich dabei nicht nur über den mittigen Touchscreen, sondern auch ganz bequem via Smartphone-App steuern. Besonders pfiffig: Ist die Luftfederung an Bord, stellt sich der Marco Polo dank Niveau-Nivellierung automatisch in die Waagerechte und kann so Unebenheiten von bis zu 12 Zentimetern ausgleichen. Die bekannten Keile werden so überflüssig.

Mercedes V-Klasse Marco Polo 300d 4matic

Antrieb 2,0-R4-Turbodiesel, 237 PS (174 kW), 500 Nm, 9-Gang-Automatik, Allrad
Fahrleistungen 0-100 km/h in 9,1 s, Spitze 211 km/h
Masse L/B/H 5,14/1,93/1,99 m, ca. 3000 kg (je nach Ausstattung), Nutzlast 430 kg
Verbrauch WLTP 8,2–8,7 l/100 km, 215–229 g CO₂/km, Energieklasse G
Preis ab 97'782 Franken (Basis: 220d, 163 PS, Heckantrieb, ab 87'885 Fr.)

Antrieb 2,0-R4-Turbodiesel, 237 PS (174 kW), 500 Nm, 9-Gang-Automatik, Allrad
Fahrleistungen 0-100 km/h in 9,1 s, Spitze 211 km/h
Masse L/B/H 5,14/1,93/1,99 m, ca. 3000 kg (je nach Ausstattung), Nutzlast 430 kg
Verbrauch WLTP 8,2–8,7 l/100 km, 215–229 g CO₂/km, Energieklasse G
Preis ab 97'782 Franken (Basis: 220d, 163 PS, Heckantrieb, ab 87'885 Fr.)

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Platzwunder

Und auch im Innenraum gehts clever weiter. So finden wir im in der hinteren Ecke platzierten Kleiderschrank auch einen integrierten Schminkspiegel samt Ablagefach für Kosmetik-Accessoires. Oberhalb der Küchenzeile gibts einen zusätzlichen Dachstaukasten, darunter eine grosse und zwei kleinere Schubladen für Töpfe, Geschirr und Lebensmittel. Die von Mercedes mitgelieferten Tassen und Teller sind dabei mit Magneten versehen, dank denen sich das Campingzubehör während der Fahrt nicht verselbstständigt.

Die Rücksitzbank, unter der sich weiterer Stauraum befindet, lässt sich auf Knopfdruck in ein zweites Doppelbett (2,03 x 1,13 m) verwandeln. Somit können bis zu vier Personen im Marco Polo übernachten. Ansonsten kann der Platz neben der Küche, die mit zweiflammigem Gaskocher und kleiner Spüle ausgestattet ist, dank integriertem Klapptisch als Essbereich genutzt werden. Im gesamten Innenraum sind zudem diverse 230- und 12-Volt-Steckdosen sowie USB-C-Ladebuchsen verteilt.

Luxuriöser geht nicht

Nach einem langen Tag auf schottischen Strassen sagen wir: Oidhche mhath – gälisch für gute Nacht. Über den Fahrersitz gehts hoch ins bequeme Dachbett, das dank Kaltschaummatratze und punktlastigen Federelementen den Vergleich mit dem heimischen Nest nicht zu scheuen braucht. Wir dimmen die Ambientebeleuchtung mit dem Smartphone runter, erhaschen durch die Frontöffnung einen letzten Blick auf den schottischen Sternenhimmel und aktivieren die programmierbare Standheizung – die Nächte hier können auch Anfang Juni noch kalt sein.

Unser Fazit nach dem Trip in die Highlands: Luxuriöser als im neuen Marco Polo liess es sich in einem Campervan wohl noch nie in der Natur übernachten – fehlen nur Dusche und WC. Doch wir sind sicher: Auch Dr. William Gordon Stables hätte an diesem Wohnwagen seine Freude gehabt. Am Preis aber wahrscheinlich weniger: Schon die Einstiegsversion mit Heckantrieb startet bei rund 88'000 Franken. Das von uns gefahrene Topmodell (ohne die erwähnten Extras) kostet mindestens nochmals 10'000 Franken mehr.


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