Schweizer Firma hilft Schulen, den Unterricht online weiterzuführen
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Unterricht trotz Corona:Schweizer Firma hilft Schulen, den Unterricht online weiterzuführen

Die Corona-Krise beschleunigt die Digitalisierung der Schule
Das Online-Klassenzimmer wird uns bleiben

Keinen Tag Unterricht musste die Privatschule Academic Gateway ausfallen lassen. Dank virtuellem Klassenzimmer haben die 120 Schüler ganz normal Mathe oder Biologie. Auch das Start-up MaxBrain zeigt, wie digitales Lernen der Zukunft auch heute schon möglich ist.
Publiziert: 24.03.2020 um 23:18 Uhr
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Aktualisiert: 13.08.2020 um 12:12 Uhr
Digitale Plattform statt echtes Schulzimmer: Academic Gateway hat die Matura-Lehrgänge gänzlich ins Internet verschoben, davon profitiert auch Stella (17).
Foto: Lorenz Keller
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Lorenz Keller

Englischlehrer Werner van Rooyen liest einen Abschnitt aus «The Picture of Dorian Gray» von Oscar Wilde vor und stellt eine Frage zum Textverständnis. Eine Schülerin meldet sich per Klick, wird vom Lehrer freigeschaltet und antwortet. Lehrer und Klasse sitzen aber nicht – wie noch vor zwei Wochen – im Schulzimmer der Privatschule Academic Gateway in Zürich, sondern wegen der Corona-Krise allein zu Hause.

«Wir hatten Glück und mussten keinen Unterricht ausfallen lassen», sagt Alexandre Touihri (34), Verwaltungsratspräsident der privaten Schule, in der man die Matura in einem Jahr ablegt und Maturavorbereitungskurse anbietet. Academic Gateway hat schon seit längerem einen grossen Teil des Unterrichts digitalisiert und wollte ab Sommer eine vollwertige Online-Matura anbieten. «Den Start haben wir nun vorgezogen, das Team hat die gesamte Schule innerhalb eines Wochenendes umgestellt», sagt Touihri.

Und so funktioniert dieses virtuelle Klassenzimmer, das mehr ist als einfach ein Videochat. Auf der Plattform können die Lehrpersonen Dokumente oder Präsentationen zeigen, die jede Schülerin und jeder Schüler bearbeiten kann. Gruppenarbeiten sind genauso möglich wie Quiz zur Überprüfung des Gelernten.

Der Mathematiklehrer kann auf einem Touchscreen Kurven oder Grafiken einzeichnen und Schüler auffordern, auf der virtuellen Wandtafel Werte zu ergänzen. Sprachlehrer haben die Möglichkeit, auf Knopfdruck die Klasse zufällig in Zweier- oder Dreiergruppen einzuteilen, um zusammen zu üben oder Aufgaben zu erledigen.

Unterricht ist keinen Tag ausgefallen, trotz Schulschliessung

Im digitalen Klassenzimmer kann man zwischen verschiedenen Ansichten wechseln: Der Lehrer wird gross eingeblendet, die virtuelle Wandtafel oder auch ein Schüler. Nicht alle nutzen eine Webcam, das ist jetzt beim Start auch nicht unbedingt nötig. Neben der Audioverbindung gibts auch einen Chat für Lehrer und Schüler. So können verschiedenste Aufgaben zusammen gelöst werden.

«Ich war beeindruckt, wie schnell meine Schule alles umgestellt hat. Am Freitag sass ich noch im Klassenzimmer, am Montag schon zu Hause vor dem Computer», sagt Stella (17) per Videochat zu BLICK. Sie hat am 2. März mit dem Vorkurs begonnen und wird im Sommer die Matura Vollzeit in zwei Semestern absolvieren. «Ich würde viel Zeit verlieren, hätte ich bis zum Sommer keinen Unterricht.»

Die Umstellung auf den virtuellen Unterricht sei erstaunlich einfach gewesen. «Klar, es braucht etwas mehr Selbstdisziplin», sagt Stella. Und sie vermisst den direkten Austausch mit den Klassenkameraden. «Aber sonst sind die Stunden wie vorher.»

Academic Gateway hat nicht nur wegen der geplanten Online-Matura viel ins digitale Klassenzimmer investiert. Schon seit 2016 wird jede Lektion mit Video und Audio als Podcast aufgezeichnet, sodass die Schüler sie beim Lernen für die Matura nochmals anschauen können. Auch sind alle Unterrichtsmaterialien digital verfügbar, die Lehrer erstellen jeweils von jeder Lektion eine Präsentation.

Kein Interesse bei den öffentlichen Schulen

«Wichtig ist, dass alles einfach funktioniert und auch für weniger technikaffine Lehrpersonen machbar ist», sagt Alexandre Touihri. So könne man etwa den Video-Podcast mit einem Knopfdruck aufzeichnen. Für alle Funktionen gebe es Schritt-für-Schritt-Anleitungen. «Wir haben das digitale Klassenzimmer für jedes Fach etwas angepasst.» Zudem werde zusätzlicher Aufwand entschädigt, den Lehrkräfte wegen der Digitalisierung haben.

Das System von Academic Gateway wäre auch an den normalen Kantonsschulen sofort einsetzbar. «Ich hatte Kontakte mit der Bildungsdirektion des Kantons Zürich, dem Mittelschul- und Berufsbildungsamt und einzelnen Gymnasien. Bisher gibt es zwar Interesse, aber mehr auch nicht», sagt Touihri. «Die öffentlichen Schulen könnten ab sofort das E-Learning gratis nutzen. Wir würden unser Team zur Verfügung stellen, um alles aufzugleisen.»

Will ein Maturand irgendeines Schweizer Gymis mit den Materialien lernen, kann er über soli@academic-gateway.ch einen Gratis-Zugang anfordern zu den digitalen Lernmaterialien aller Lektionen.

Start-up mit Notpaket für Weiterbildungs-Institutionen

Über mangelnde Nachfrage kann sich das Start-up MaxBrain mit elf Angestellten nicht beklagen. «Wir haben 15 Anfragen pro Tag», sagt CEO Alex Blattmann (45). Bereits wurde die Belegschaft um zwei Personen aufgestockt. Der Run auf das Zürcher Unternehmen hat sicher auch damit zu tun, dass das Unternehmen ein «Corona-Notfallpaket» anbietet.

Damit können Weiterbildungs-Anbieter zum Preis von 5000 Franken im Monat einen digitalen Classroom mit allen Funktionen nutzen. «Wir können eine ganze Schule in rund sechs Stunden auf die Plattform bringen», verspricht Blattmann. Bereits haben mehrere Neukunden diese Möglichkeit genutzt. Falls es nur um einzelne Kurse oder Klassen geht, sinkt der Preis.

Die Hotelfachschule Zürich Belvoirpark etwa hat am Dienstag angerufen, am Donnerstag war alles bereit für die Ausbildung der Lehrkräfte. Und eine Woche nach der ersten Kontaktaufnahme konnten die ersten Kurse digital starten. Das Notfallpaket kann monatlich gekündigt werden, aber natürlich hofft MaxBrain auf eine längerfristige Zusammenarbeit.

«Da gerade die neuen Interessenten vielfach auf klassische Seminare setzen, haben wir kurzfristig eine Videofunktion eingebaut», sagt der Chef des Start-ups. So sind nun auch Webinare mit dem bekannten Anbieter Zoom möglich und direkt in die MaxBrain-Plattform integriert.

Corona bringt einen Schub für digitales Lernen

«Digitale Bildungsprogramme sind aber viel mehr, als einfach den Schulbetrieb ins Internet zu verfrachten», sagt Blattmann. Kurzfristig ist das die Lösung für Schulen und Weiterbildungsinstitutionen, die sonst den Betrieb einstellen müssen. Mittel- und langfristig muss man aber auch die Inhalte darauf einstellen.

Gerade bei der internen Ausbildung in Firmen oder der berufsbegleitenden Weiterbildung werde es zunehmend mehr, aber auch deutlich kürzere Einheiten geben. «Statt dass jemand zwei Wochen ganz weg ist, lernt er zwischendurch mit einer App etwas», sagt der Experte. Videos, digitale Arbeitsmaterialien und interaktive Plattformen sind dann wichtig, weniger eine physische Präsenz in einem Klassenzimmer oder Seminarraum.

«Auf die Bildungslandschaft könnte die Krise sogar einen positiven Effekt haben», glaubt Blattmann. Viele Schulen und Institute hätten erkannt, dass sie jetzt handeln müssten. Es sei für sie auch eine Chance. Wer gute Lerninhalte habe, könne diese in der digitalen Welt viel breiter anbieten, als wenn er nur rein analoge Kurse habe. «Damit können Mitarbeiter auch viel besser und effizienter auf die nächste Krise vorbereitet werden.»

Und wird das Start-up dank Coronavirus zum Grossverdiener? «Wir müssen drei Jahre nach der Unternehmensgründung nach wie vor hohe Anfangsinvestitionen decken», winkt Blattmann ab. Wenn jemand profitiere, sei es ein internationaler Anbieter wie Zoom, der nun weltweit Tausende Lizenzen für Videokonferenzen verkaufen kann. Das US-Unternehmen konnte denn auch seinen Aktienkurs seit Anfang Jahr verdoppeln.

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