So bringt Christel Hell den Kindern spielerisch das Tanzen bei
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«Das ist mega schön»:So bringt Hell den Kindern spielerisch das Tanzen bei

Australische Studie zu Depressionen zeigt überraschende Ergebnisse
Tanzen ist besser als Antidepressiva

Tanzkurs, Clubbing, frei zu Rhythmen rumwirbeln – egal, wie und wo man sich zu Musik bewegt: Tanzen ist das Beste, das man für sein Wohlbefinden tun kann. Und hilft sogar besser als ein Antidepressivum.
Publiziert: 23.03.2024 um 18:02 Uhr
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Aktualisiert: 04.04.2024 um 08:53 Uhr
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Katja RichardRedaktorin Gesellschaft

Noch bevor wir sprechen können, tanzen wir. Bereits zehn Monate alte Babys fangen an, sich zu Musik zu bewegen. Es ist eine urmenschliche Freude an Melodie und Rhythmus, die man bei Kindern beobachten kann. Während die Kleinen noch ungehemmt wirbeln und rumhüpfen, werden wir beim Erwachsenwerden zusehends hüftsteifer.

Das Tanzen ist uns in die Wiege gelegt, schon mit zehn Monaten bewegen sich Babys zum Rhythmus.
Foto: Getty Images

Das ist schade, denn Tanzen ist so ziemlich das Beste, das man für sein emotionales und geistiges Wohlbefinden tun kann. Das belegt eine aktuelle Metastudie, die von der Universität im australischen Queensland durchgeführt wurde. Darin wurden die Erkenntnisse von weltweit 14'170 Teilnehmenden ausgewertet zur Frage, welche Auswirkung verschiedene Bewegungsformen auf Menschen mit einer Depression haben. Verglichen wurde alles – von Yoga bis Joggen, von Krafttraining bis Velofahren. Was dabei heraussticht: Tanzen hat mit Abstand den stärksten Effekt auf die psychische Gesundheit.

Eindrücklich ist, dass Tanzen auch mehr bewirkt als eine Psychotherapie oder Antidepressiva. «Das hat mit der Ausschüttung von Glückshormonen zu tun», sagt die Neurowissenschaftlerin Barbara Studer (39). «Es ist die perfekte Mischung, um die Neurotransmitter und damit den Austausch zwischen den Neuronen anzukurbeln», so die Gründerin von Hirncoach.

Tanzen ist unsere Natur: Kindergartenkinder aus Bremgarten AG in der Tanzstunde bei Christel Hell.
Foto: Linda Käsbohrer
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Neurowissenschaftlerin Barbara Studer erklärt, was im Hirn passiert, wenn wir tanzen.
Foto: Linda Käsbohrer

Im Rausch der Glückshormone

Genau das tun Antidepressiva mit Serotonin-Wiederaufnahmehemmern. «Beim Tanzen erreicht man dasselbe ohne Nebenwirkungen.» Von den positiven Auswirkungen profitiert nicht nur, wer Depressionen hat. Diverse Studien zeigen, dass Tanzen in jedem Alter guttut: Jugendliche können sich besser konzentrieren und entwickeln ihre kognitiven Fähigkeiten – das hilft auch in der Mathematik. Ältere Menschen können das Risiko, an Demenz zu erkranken, um 20 Prozent senken oder die Erkrankung mit regelmässiger Bewegung zu Musik sogar aufhalten. Studer: «Das hat mit der erhöhten Hirnplastizität zu tun. Die Neubildung von Nervenzellen funktioniert bis ins hohe Alter und kann durch Tanzen angeregt werden.»

Dass Tanzen einen starken emotionalen Effekt hat, zeigt sich auch beim Messen von Hirnströmen. Anders als beim Sport wird nicht nur das motorische Areal aktiviert, sondern auch das limbische System, dort, wo unsere Gefühle sitzen. Genau so auch die Insula, der Ort unserer Körperwahrnehmung. «Tanzen massiert unser Gehirn bis ins Innerste», sagt Studer. «Ganz ähnlich wie beim Musizieren.» Es ist ein kreativer Prozess, bei dem wir uns selber Ausdruck geben.

Sozialer Klebstoff

Dabei spielt auch das Zusammensein eine wichtige Rolle. «Einsamkeit ist ein grosses Thema in unserer Gesellschaft», sagt Studer. Beim Tanzen ist man in der Regel nicht allein, sondern im Paar oder in einer Gruppe. «Es ist sozialer Klebstoff. Und man fühlt sich aufgehoben in einer Gemeinschaft», sagt die Neurowissenschaftlerin. «Mit Tanzen verbinden wir oft bloss Spass und Vergnügen, aber es ist so viel mehr. Eigentlich sollte es ärztlich verschrieben werden.»

Tanzen begleitet die Menschheit von Beginn an, also seit wir vor zwei Millionen Jahren angefangen haben, in Gruppen zu leben. Gemeinsames Musizieren und Tanzen ist etwas, was Menschen verbindet – auf einer tiefen, nicht sprachlichen Ebene. Bedeutsam war das laut der Tanzkultur-Expertin Maya Farner (59) für all unsere Rituale, von der Geburt bis zum Tod: «Im Tanz finden alle Gefühle ihren Raum, so konnten nicht nur Freude, sondern auch Trauer und Wut zum Ausdruck kommen.»

Zu den ältesten überlieferten Tanzkulturen gehört jene der Yorubas aus Afrika. Sie verbinden sich mit ihrem Tanz und Gesang mit den Naturkräften, also dem Donner, dem Meer, der Erde oder dem Regen. «Der Tanz kam vor dem geschriebenen Wort, vor der Religion, es war ein Gebet mit dem Körper und dem ganzen Sein», sagt Farner.

Walzer war verboten

Je nach Kultur und Religion wurde das Tanzen über die Jahrhunderte geprägt, geformt oder gar verboten. So der Walzer. Heute gutbürgerlich, war der schwungvolle Schritt einst revolutionär: Eng umschlungen drehten sich Mann und Frau im ununterbrochenen Wirbel in eine gemeinsame Trance. Erste Spuren des berauschenden ¾-Takts gehen bis ins 12. Jahrhundert zurück, immer wieder wurde der Tanz von Kirche und Staat verboten.

Mit Drehtanz in sich selbst eintauchen: Tanzkultur-Expertin Maya Farner.
Foto: MARC STRAUMANN

Dabei gehört das Drehen zum Menschsein. «Kinder drehen sich im Kreis, bis sie hinfallen und selig in den Himmel schauen», so Farner. Kultisch ist der Drehtanz tief verankert, Schamanen nutzen ihn, um in ihre inneren Welten zu blicken. Bekannt ist er aus dem Sufismus, wo das Drehtanzen von den Mystikern als Gebet gepflegt wird. Farner tanzt und unterrichtet selber den Derwischtanz, frei von religiösen Prägungen: «Während der Körper wirbelt, kann sich der Geist in der Mitte zentrieren.»

Ob man eine meditative Tanzform sucht, sich frei in der Disco bewegt oder den Cha-Cha-Cha tanzt, spielt mit Blick auf die positiven Effekte des Tanzens nicht so eine grosse Rolle. Barbara Studer rät: «Wichtig ist bei jeder Tanzform, nicht in einen Leistungsdruck zu kommen, von dem haben wir im Alltag schon genug.»

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