Bringt Wasserstoff uns weg von Erdgas und Atomstrom?
Stoff der Zukunft

Klimaneutral, energiereich, vielfältig einsetzbar: Der Wasserstoff gilt neben Solar-, Wasser- und Windkraft als wichtiges Puzzleteil für ein vollständig erneuerbares Energiesystem. Doch die Hürden, die es zu bewältigen gilt, sind hoch.
Publiziert: 25.02.2023 um 15:32 Uhr
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Aktualisiert: 26.02.2023 um 13:27 Uhr
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Joschka SchaffnerRedaktor Politik

Die Zukunft der nachhaltigen Energiegewinnung beginnt vor rund 13,8 Milliarden Jahren. Zehn Sekunden nach dem Urknall verschmelzen bei rund zehn Milliarden Grad Celsius kurz zuvor entstandene Neutronen, Protonen und Elektronen. Das Resultat: Wasserstoff.

Wasserstoff ist das häufigste Element unseres Universums. Beinahe drei Viertel der Masse besteht aus dem kleinsten Atom. Auf der Erde findet sich das Element deutlich seltener. In weniger als einem Prozent der Erdmasse stecken Wasserstoffatome. Auf der Oberfläche ist es aber überall: im Boden, in der Luft und als Bestandteil von Wasser. Im 20. Jahrhundert machte es der Mensch zum Schreckgespenst: Es begrub mit der Hindenburg-Katastrophe die Idee des Luftschiffs als Reisemittel, schürte in der Wasserstoffbombe Angst vor der atomaren Apokalypse und verursachte als Fluorchlorkohlenwasserstoff das Ozonloch. Nach der Jahrhundertwende wird es nun aber zur Hoffnung auf eine Zukunft ohne fossile Brennstoffe und Stromlücken.

Zahlreiche Vorteile, grosse Stolpersteine

Dass Wasserstoff als Energieträger in aller Munde ist, hat drei Gründe. Zum einen enthält Wasserstoff pro Masse rund dreimal so viel Energie wie Erdgas. Zum andern ist er in Anwesenheit von Sauerstoff hochentzündlich. Er kann in Verbrennungsmotoren verwendet oder in sogenannten Brennstoffzellen zu Strom umgewandelt werden. Und geht H2 in Flammen auf, so entsteht statt CO2 ein klimafreundliches Abgas: Wasser.

Wasserstoff könnte zusammen mit Batterien und erneuerbaren Energiequellen ein vollkommen erneuerbares Energiesystem bilden. Das Problem: Er ist teuer, energieintensiv und schwierig zu transportieren.
Foto: Shutterstock
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Die Vorteile laden zum Träumen ein. Auf dem Weg zur Wasserstoff-Utopie liegt aber mehr als nur ein Stolperstein. Der erste: Natürliche Reserven, die weltweit erst innerhalb des letzten Jahrzehnts entdeckt wurden, sind wenig nutzbar. Anders als bei fossilen Energieträgern, fehlen die Belege, wie und weshalb sich die Wasserstoffquellen dort ansammeln, wo sie auftreten. Deshalb muss das Gas vorerst aus anderen Energiequellen hergestellt werden. In den europäischen Energiestrategien wird der Wasserstoff als natürliche Ressource daher kaum erwähnt. Wenn heute von Wasserstoff gesprochen wird, dann als Energiespeicher.

Der meiste Wasserstoff ist noch nicht CO2-frei

Als solcher ist Wasserstoff noch in den wenigsten Fällen tatsächlich klimaneutral. Die effizienteste Methode, ihn zu produzieren, liegt ausgerechnet bei den fossilen Brennstoffen. Noch heute ist die Spaltung von Methan, Kohle oder Erdöl, um sogenannten grauen Wasserstoff zu gewinnen, weltweit die dominierende Produktionsmethode. Pro Tonne Wasserstoff entstehen dabei zehn Tonnen CO2. «Da könnte man gleich bei fossilen Treibstoffen bleiben», sagt Markus Friedl (53), Leiter des Instituts für Energietechnik an der Ostschweizer Fachhochschule. «Das Ziel ist, grünen Wasserstoff zu produzieren.» So wie es etwa in der Schweiz vorangetrieben wird.

Wasserstoffproduktion: Eine Farbenlehre

Wasserstoff wird je nach Energiequelle und Herstellungsverfahren in Farbkategorien eingeteilt.

Grau: Entstammt der Spaltung fossiler Rohstoffe. Bei der Produktion entweichen grosse Mengen an Kohlendioxid in die Atmosphäre.
Blau: Grauer Wasserstoff, dessen CO2-Emmissionen im Boden gespeichert werden. Das macht ihn klimaneutral. Die Langzeitwirkungen dieser CO2-Speicherung sind jedoch unklar.
Türkis: Methan wird in Wasserstoff und festen Kohlenstoff (Graphit) gespalten. Solange der Kohlenstoff nicht weiterverwendet wird, entsteht kein Kohlendioxid.
Grün: Herstellung mittels erneuerbarer Stromquellen, wie etwa Wasserkraft oder Solarenergie. Durch ein elektrisches Trennungsverfahren, die sogenannte Elektrolyse, wird H2 aus Wasser abgetrennt.
Pink: Elektrolyse von Wasser mittels Atomstrom
Weiss, Gold, Orange: Unklar definierte Sammelbegriffe. Oftmals verwendet für unterirdische Ablagerungen.

Wasserstoff wird je nach Energiequelle und Herstellungsverfahren in Farbkategorien eingeteilt.

Grau: Entstammt der Spaltung fossiler Rohstoffe. Bei der Produktion entweichen grosse Mengen an Kohlendioxid in die Atmosphäre.
Blau: Grauer Wasserstoff, dessen CO2-Emmissionen im Boden gespeichert werden. Das macht ihn klimaneutral. Die Langzeitwirkungen dieser CO2-Speicherung sind jedoch unklar.
Türkis: Methan wird in Wasserstoff und festen Kohlenstoff (Graphit) gespalten. Solange der Kohlenstoff nicht weiterverwendet wird, entsteht kein Kohlendioxid.
Grün: Herstellung mittels erneuerbarer Stromquellen, wie etwa Wasserkraft oder Solarenergie. Durch ein elektrisches Trennungsverfahren, die sogenannte Elektrolyse, wird H2 aus Wasser abgetrennt.
Pink: Elektrolyse von Wasser mittels Atomstrom
Weiss, Gold, Orange: Unklar definierte Sammelbegriffe. Oftmals verwendet für unterirdische Ablagerungen.

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Hierzulande wird klimaneutrales H2 erst an wenigen Standorten, unter anderem in den Kantonen Solothurn, Aargau und St. Gallen, mittels Wasserkraft hergestellt. Zudem schlossen sich vor fünf Jahren Detailhändler, Transportfirmen und Tankstellenbetreiber zum «Förderverein H2 Mobilität» zusammen. Heute sind in der Schweiz 13 Tankstellen und 47 mit Wasserstoff betriebene Lastfahrzeuge im Betrieb.

Die privatwirtschaftliche Initiative soll in der Schweiz als Startschuss für den Stoff gelten, der vielfältig einsetzbar ist. Im Bericht der Akademien der Wissenschaften Schweiz zum Energiesystem 2050 spielt der produzierte Wasserstoff eine Mehrfachrolle: Er soll überschüssigen Strom aus Kraftwerken oder Privathaushalten speichern und als Rohstoff für längerfristig lagerbares, künstlich hergestelltes Methan oder Methanol gelten. «Power-to-X» nennt sich die Strategie. Damit sollen zukünftig Stromlücken ohne Atomstrom oder fossiles Flüssiggas gedeckt werden. Auch für den klimafreundlichen Transport auf der Strasse, in der Luft und auf Wasser soll das Gas angewendet werden. «Wasserstoff wird dann neben Batterien und der erneuerbaren Stromproduktion einen wichtigen Teil des Energiesystems übernehmen», sagt Friedl.

Auch in der Kernfusion spielt der Wasserstoff eine Hauptrolle!

Wasserstoff ist nicht gleich Wasserstoff: Das Element existiert in drei Varianten, sogenannten Isotopen. 99,99 Prozent aller Wasserstoffatome bestehen aus einem einzelnen positiv geladenen Proton und einem negativ geladenen Elektron. Die Variante, die zehn Sekunden nach dem Urknall entstand, besitzt im Kern zusätzlich ein ungeladenes Neutron. Sie nennt sich schwerer Wasserstoff – oder, in der Fachsprache, Deuterium. Kommt ein weiteres Neutron dazu, entsteht das radioaktive Isotop Tritium. Sein Anteil beträgt rund ein Billiardstelprozent. Deuterium und Tritium spielen die Hauptrolle bei der Kernfusion. Sie werden dabei so hoch erhitzt, dass sie zu Helium verschmelzen. Die freigesetzte Energie soll analog zur in Atomkraftwerken angewendeten Kernspaltung zu Strom umgewandelt werden. Bislang gelang es noch keinem Forscherteam, mehr Energie zu erhalten, als für den Prozess aufgewendet wurde. Der internationale Forschungsreaktor Iter, der seit einigen Jahren im Süden Frankreichs gebaut wird, soll frühestens 2050 ein erstes Mal ans Stromnetz gehen.

Wasserstoff ist nicht gleich Wasserstoff: Das Element existiert in drei Varianten, sogenannten Isotopen. 99,99 Prozent aller Wasserstoffatome bestehen aus einem einzelnen positiv geladenen Proton und einem negativ geladenen Elektron. Die Variante, die zehn Sekunden nach dem Urknall entstand, besitzt im Kern zusätzlich ein ungeladenes Neutron. Sie nennt sich schwerer Wasserstoff – oder, in der Fachsprache, Deuterium. Kommt ein weiteres Neutron dazu, entsteht das radioaktive Isotop Tritium. Sein Anteil beträgt rund ein Billiardstelprozent. Deuterium und Tritium spielen die Hauptrolle bei der Kernfusion. Sie werden dabei so hoch erhitzt, dass sie zu Helium verschmelzen. Die freigesetzte Energie soll analog zur in Atomkraftwerken angewendeten Kernspaltung zu Strom umgewandelt werden. Bislang gelang es noch keinem Forscherteam, mehr Energie zu erhalten, als für den Prozess aufgewendet wurde. Der internationale Forschungsreaktor Iter, der seit einigen Jahren im Süden Frankreichs gebaut wird, soll frühestens 2050 ein erstes Mal ans Stromnetz gehen.

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«Es braucht Pioniere, die das System in die Hand nehmen»

Bis hergestellter Wasserstoff das Stromnetz unterstützt oder ein Fahrzeug antreibt, muss Energie mehrfach umgewandelt werden. Rund drei Viertel des Energiegehalts der Ausgangsquelle gehen dabei verloren. Dazu wird durch die stetig zunehmende Stromnachfrage der «Überschussstrom» zum raren Gut. Die EU setzt für ihre Strategie, bis 2030 auf rund 20 Millionen Tonnen grünen Wasserstoff pro Jahr zu setzen, eine Verdoppelung der erneuerbaren Stromproduktion voraus. Auch der gegenüber Erdgas dreifache Brennwert des Wasserstoffs relativiert sich dadurch, dass er unter Normaldruck das rund Siebenfache an Platz einnimmt. Für den Transport muss er entweder bei sehr tiefen Temperaturen verflüssigt, unter hohen Druck gesetzt oder zu dichteren Materialien wie etwa Ammoniak oder Methanol umgewandelt werden. «Dies braucht wiederum Energie», sagt Friedl. Der Wasserstoff wird somit teuer.

Dabei bleibt auch die Frage, was zuerst gefördert werden soll. Wird mehr Wasserstoff produziert, so wird auch die Infrastruktur benötigt, um ihn zu verwenden. «Momentan rennt Europa der Technologie hinterher», sagt Friedl. «Wasserstoffbetriebene Fahrzeuge sind beispielsweise kaum erhältlich.» Die Lastkraftflotte in der Schweiz stamme aus koreanischer Produktion. «Es braucht nun Pioniere, die das System in die Hand nehmen.» Bis das passiert, bleibt die H2-Technologie vor allem eines: Stoff der Zukunft.

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