Die Macht der Büsi
Aufstand der Cat Ladies

Früher wurden sie als Hexen verbrannt – heute mischen sie den US-Wahlkampf auf. Katzenfrauen. Trumps Vizepräsidentschaftskandidat J. D. Vance diffamiert kinderlose Frauen als «Cat Ladies», das fliegt ihm jetzt um die Ohren. Er hat die Macht der Büsi unterschätzt.
Publiziert: 11.08.2024 um 20:10 Uhr
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Aktualisiert: 12.08.2024 um 08:36 Uhr
Blick-Redaktorin Katja Richard mit Kater Wuschel – der höchst ungern fürs Foto posiert.
Foto: Thomas Meier
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Katja RichardRedaktorin Gesellschaft

Ich habe eine Katze, lebe alleine und habe keine Kinder – ich bin eine Katzenlady. Wer den Begriff googelt, sieht als Erstes eine Verrückte: Eleanor Abernathy, die «Crazy Cat Lady» aus der Kultserie «The Simpsons». Sie ist um die 40, nach einem Burnout ist sie komplett durchgedreht, sie ist single, säuft und hat sehr viele Katzen, mit denen sie wütend um sich schmeisst. Kurz gesagt, sie ist unglücklich, erfolglos und kinderlos.

Eleanor Abernathy, die «Crazy Cat Lady» aus der Kultserie «The Simpsons».

Die Katzenlady im Cartoon entspricht einem weitverbreiteten Stereotyp der (Single-)Frau mit Katze: Sie gilt als einsam, sie ist unfreiwillig alleinstehend, hat keinen Mann abgekriegt, und die Katze muss jetzt als Kinderersatz herhalten. Wahlweise gilt sie als männerfeindliche Emanze, als Esoterikerin, Tierfreundin oder eben als Verrückte. Es sind frauenfeindliche und boshafte Klischees. Die lassen uns Katzenladys meistens kalt.

J. D. Vance tritt als Vizepräsidentschaftskandidat von Donald Trump bei den US-Wahlen an.
Foto: keystone-sda.ch

Die Katzenfrauen schlagen zurück

Gerade aber schlagen Katzenfrauen zurück. Auslöser ist eine Aussage des republikanischen Vizepräsidentschaftskandidaten J. D. Vance (40). In einem Interview hatte er sich zu Politikerinnen der demokratischen Partei – darunter auch die jetzige Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris (59) – geäussert und sie als «kinderlose Katzenfrauen» bezeichnet. Laut Vance sind sie Frauen, «die in ihrem eigenen Leben und mit den Entscheidungen, die sie getroffen haben, unglücklich sind und deshalb auch den Rest des Landes unglücklich machen wollen». Zwar ist das Interview mit dem Sender Fox schon drei Jahre alt, aber das Internet vergisst bekanntlich nie.

Sie könnte die erste US-Präsidentin werden: Kamala Harris.
Foto: AP

Jetzt fliegt Vance die Aussage um die Ohren, und zwar so richtig. Vance muss vergessen haben, dass eine der einflussreichsten Frauen der Welt ebenfalls eine kinderlose Katzenlady ist. Taylor Swift (34) posierte letztes Jahr auf der Titelseite der Zeitschrift «Time» – mit ihrem Kater Benjamin Button. Und sie ist nur die Spitze des Eisbergs von berühmten Frauen mit Katzen, so wie Model Gigi Hadid (29), die ehemalige neuseeländische Premierministerin Jacinda Ardern (44) oder Künstlerin Yoko Ono (91). Auch von Schauspielerinnen wie Audrey Hepburn (1929–1993) oder Elizabeth Taylor (1932–2011) gibt es zahlreiche Fotos und Filmszenen mit Katzen.

Wenn ich mit meinem Kater Wuschel im Homeoffice arbeite, bin ich nicht allein. Ich swipe durch Social Media, klicke mich durch Newssites – und sehe plötzlich überall Katzenladys. Mit ihnen tauchen Memes mit Superkatzen auf. J. D. Vance hat ein Portal geöffnet. Die Katzenfrauen treten hervor. Es zeigt sich: Wir sind viele. Unser Einfluss ist gross.

Die Katzenladys schlagen zurück: mit Memes für Kamala Harris.
Foto: internet

Allein Taylor Swift erreicht auf Instagram 283 Millionen Menschen. Ihre Stimme findet vor allem bei jungen Wählerinnen und Wählern Gehör. Vor vier Jahren unterstützte sie die Demokraten, zum aktuellen Wahlkampf hat sie noch keine Stellung bezogen. Auch nicht zur Anfeindung gegenüber den kinderlosen Katzenfrauen. Doch ihre Anhängerschaft tut es an ihrer Stelle: Die Swifties posten fleissig das «Time»-Cover der Sängerin mit ihrer Katze. Sieht so eine Frau aus, die unglücklich ist mit ihrem Leben und ihren Entscheidungen?

Taylor Swift auf der Titelseite von «Time» – mit Kater Benjamin Button.

Besonders schlecht ist die Aussage von Vance bei Hollywoodstar Jennifer Aniston (55) angekommen. Vor rund zwei Jahren hat sie erstmals öffentlich über ihre eigene, unfreiwillige Kinderlosigkeit gesprochen. Auf Instagram kontert sie: «Mr. Vance, ich bete, dass Ihre Tochter das Glück hat, eines Tages eigene Kinder bekommen zu können. Ich hoffe, dass sie sich nicht einer künstlichen Befruchtung als zweite Option unterziehen muss. Denn Sie versuchen, ihr auch diese zu nehmen.» Und sogar aus der eigenen Partei wird Vance für die Aussage kritisiert, so von der republikanischen Senatorin Lisa Murkowski (67): «Das war beleidigend für mich als Frau! Frauen treffen ihre eigenen Entscheidungen, ob sie Kinder haben wollen – oder Katzen oder Hunde.»

Jennifer Aniston konnte keine Kinder bekommen, die Aussage von Vance trifft sie.
Foto: imago images/ZUMA Press

Aus den Reihen der Katzenfrauen – und anderer Tierfreunde – hat sich breiter Widerstand gegen die sexistische Äusserung formiert. Eine Gruppe namens «Pet Lovers for Kamala» (Tierliebhaber für Kamala) macht sich für Harris’ Wahl zur Präsidentin stark. Hinter der Kampagne steckt die mächtige Politberaterin Christine Pelosi (58). Ihre Mutter Nancy Pelosi (84), ehemalige Sprecherin des Repräsentantenhauses der Vereinigten Staaten, sagte laut «The Guardian»: «Wir haben entschieden, dass die Katzenladys zurückschlagen.» Die politischen Gegnerinnen nutzen die Aussage zu ihrem Vorteil. «Vance war sich nicht bewusst, welche Chance er uns damit gab, und was er damit auslösen würde.» Die Katzenfrauen haben ihre Krallen ausgefahren.

Dass das Bild der verrückten Katzenlady, wie Eleanor Abernathy aus «The Simpsons» eine ist, nicht zutrifft, wissen Millionen von Amerikanerinnen und Amerikanern – denn sie besitzen selbst eine Katze. Zwar sind Katzen überall beliebt, aber die meisten Büsi leben in den USA: Es sind 95,6 Millionen Hauskatzen laut einer Erhebung von 2017. Katzen haben also eine grosse Lobby. Zudem machen niedliche Katzenvideos sie zu absoluten Stars auf sämtlichen Social-Media-Kanälen. Und selbstverständlich werden sie nicht nur von Singlefrauen, sondern auch von Männern geliebt. Auf Schiffen waren sie nicht nur beliebte Mäusejäger, sondern wärmten auch das Herz von so manchem Matrosen. Bis heute sind sie in den Schützengräben des Krieges die Gefährten von Soldaten – so aktuell in der Ukraine.

Katzenforscher findets primitiv

Was hält der schweizerisch-amerikanische Katzenforscher Dennis C. Turner (76) von der Katzenlady-Aussage von Vance? Turner antwortet umgehend per Mail aus den Ferien. Das Statement sei «primitiv und nicht belegt». Er führt aus: «Die Mehrheit der Katzen und auch der Hunde leben in Familien mit Kindern und werden als vollwertige Familienmitglieder betrachtet. Unsere Forschung hat jedoch gezeigt, dass eine Katze eine sehr wertvolle, soziale Begleiterin sowohl für alleinlebende Frauen als auch für alleinlebende Männer sein kann.»

Dass es eine besondere Verbindung zwischen Frauen und Katzen gibt, bestätigt der Biologe: «Frauen und Mädchen interagieren mit Katzen anders als Männer: Sie gehen hinunter auf die Ebene der Katze. Während Männer meist sitzen oder stehen bleiben. Zudem sprechen Frauen auch häufiger mit ihren Katzen. Das schätzen die Büsi auch!»

Alter Aberglaube: Eine Frau mit Katze galt rasch mal als Hexe.
Foto: Getty Images

Unabhängige Frauen scheinen noch heute das konservative, männliche Lager zu irritieren. Vor Jahrhunderten wurden Frauen als Hexen gejagt. Damals genügte es schon, wenn eine Frau eine Katze besass, um sie auf dem Scheiterhaufen zu verbrennen. Schätzungsweise 60'000 Frauen wurden zwischen 1550 und 1650 gefoltert und getötet. Die Hatz richtete sich häufig gegen alleinstehende Frauen, die abseits der Gesellschaft lebten. Man warf ihnen Magie, Schadenzauber und Unzucht vor – sogar kleine Kinder sollen sie verspeist haben. Dabei waren die Angeklagten oft Heilerinnen und Hebammen; hinter der angeblichen Magie steckte das Wissen aus der Pflanzenheilkunde. Ihr unabhängiges und selbstbestimmtes Leben war für den patriarchalischen Klerus jener Zeit des Teufels.

Symbiose von Katze und Frau

Blickt man noch weiter zurück, sieht man, dass die Symbiose von der Katze mit dem Weiblichen tief verwurzelt ist. Bereits um 7000 v. Chr. sind in Anatolien Statuetten von Frauen entstanden, die mit Katzen schmusen. Die germanische Göttin Freya hatte graue Katzen: Für eine reiche Ernte stellte man ein Schälchen Milch ins Kornfeld. Auch im alten Ägypten wurden die Katzen verehrt, zum Beispiel Bastet, die Katzengöttin.

Katzen kommen überallhin, nicht umsonst nennt man sie die Spione der Götter oder wohl besser der Göttinnen. In Verruf gerieten die Samtpfoten und ihre Besitzerinnen erst im christlichen Mittelalter, als der heidnische Glaube vertrieben wurde.

Mal als Gottheit verehrt, mal als Sinnbild für die Sünde verteufelt. Der Charakter der Katze wurde immer wieder so ambivalent bewertet wie die Weiblichkeit. Oft im negativen Sinne. So schrieb man in der Antike den Frauen katzenähnliche Eigenschaften wie Heuchelei, Eifersucht oder Wollust zu. Auch im Christentum wurde die Triebhaftigkeit von Katzen mit sündiger weiblicher Sexualität in Verbindung gebracht: Katzen galten als lüsterne Tiere, die die Männchen aktiv zu sexuellen Handlungen auffordern.

Audrey Hepburn im Filmklassiker «Breakfast at Tiffany's».
Foto: imago images/Everett Collection

Sinnlich und unberechenbar

Wer schon mal mit einer Katze geschmust hat, weiss, kaum ein anderes Tier ist so hingebungsvoll. Katzen schnurren, schmiegen sich an und räkeln sich – um plötzlich ihre Krallen auszufahren. Sie strahlen eine gelassene Sinnlichkeit aus, gepaart mit einer Unberechenbarkeit, die bis heute mit dem Weiblichen in Verbindung gebracht wird. Das zeigt sich in der Popkultur mit der Comicfigur der Catwoman, die zugleich sexy, aber auch kämpferisch und unabhängig ist. Oder der Band Pussycat Dolls, die mit den Reizen der unnahbaren Katze spielen. Die US-amerikanische Rapperin Doja Cat (28) schlägt mit ihrem Auftritt als «heisses Kätzchen» feministische Töne an. Im Song «Juicy» spielt sie auf sexuelle Selbstbestimmung an und feiert die Vielfalt der Körperformen und ermutigt Frauen, sich selbst und ihre Kurven zu lieben.

Rapperin Doja Cat spielt mit dem Image der Katze.
Foto: Getty Images for The Met Museum/Vogue

Es geht um Selbstermächtigung und Befreiung vom männlichen Blick auf den weiblichen Körper. Die Botschaft: Mein Körper und meine Lust gehören mir. Ich bin sinnlich, selbstbewusst und ziehe meine eigene Grenze – sonst gibts was auf die Pfoten.

Einer, der das nicht respektiert, ist Donald Trump (78). Der ehemalige US-Präsident grapscht mit dem Recht der Mächtigen um sich: «Grab 'em by the pussy. You can do anything.» (Zu Deutsch: «Pack sie an der Muschi. Du kannst alles machen.») Die Aussage, die 2005 heimlich aufgezeichnet wurde, befeuerte mit der Veröffentlichung 2016 die MeToo-Bewegung. Heute traut man sich so was wie «Heissi Chatz» nur noch hinter vorgehaltener Hand zu sagen.

Kurzform für die einsame, traurige Frau

Auch in diesem Licht kann man die Katzenlady-Aussage sehen: Weil man Frauen nicht mehr direkt auf sexueller Ebene angreifen und kleinmachen kann, gibt es jetzt eine neue. In jüngerer Zeit hat sich der Begriff «Katzenlady» zu einer Kurzform für eine einsame, traurige Frau entwickelt, die keinen Mann, keinen Sex und infolgedessen auch keine Kinder hat. Ob im Einzelfall zutreffend oder nicht: Der Begriff soll die betreffende Frau beschämen und kleinhalten.

Katze im Weissen Haus: Socks war die Katze von Ex-Präsident Bill Clinton im Jahr 1993.
Foto: Getty Images

Kamala Harris, die möglicherweise erste Präsidentin der USA, hat keine leiblichen Kinder. Sie ist aber die «Momala» von Ella (25) und Cole (29). Es sind die Kinder von ihrem Mann Douglas Emhoff (59), die er vor zehn Jahren mit in die Ehe gebracht hat. Soweit bekannt, hat Kamala Harris keine Katze und auch keinen Hund. Ebenso wenig wie Trump, der 2017 als erster US-Präsident ohne Haustier ins Weisse Haus einzog.

Blick-Redaktorin Katja Richard mit ihrem Kater Wuschel - der höchst ungern fürs Foto posiert.
Foto: Thomas Meier

Ich finde es schön, dass ich als Katzenlady eine Lobby bekomme. Und ich wünschte, ich wäre mehr wie mein Kater Wuschel. Wenn ihm etwas nicht passt, dreht er sich gelangweilt ab. Sei es der Besuch eines Verehrers oder des Fotografen für ein Shooting zu diesem Artikel. Niemand sagt mit einer solchen Gelassenheit und Klarheit Nein wie Katzen. Sinnlich und selbstbestimmt. Kein Wunder, stehen Katzen uns Frauen so nahe.

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