Foto: Antje Berghaeuser/laif

Frank A. Meyer über 50 Jahre Ringier Journalistenschule
«Ich lese jeden Tag fünf bis sechs Zeitungen»

Frank A. Meyer, Präsident der Hans Ringier Stiftung, spricht mit dem früheren «Jouschu» Daniel Arnet über 50 Jahre Ringier Journalistenschule, gedruckte Zeitungen, Klickzahlen von Online-Artikeln und leere Kaffeebecher auf Arbeitstischen.
Publiziert: 22.09.2024 um 00:25 Uhr

Kurz zusammengefasst

  • Frank A. Meyer betrachtet Journalismus als Handwerk
  • 50 Jahre Ringier Journalistenschule ist für ihn eine Errungenschaft
  • Den Nachwuchs will er aus verschiedenen Berufen heranziehen
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
Frank A. Meyer bei der Zeitungslektüre im Café Manzini in Berlin ...
Foto: Antje Berghaeuser/laif
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Daniel ArnetRedaktor Gesellschaft / Magazin

Herr Meyer, nach Ihrem Beruf befragt, bezeichnen Sie sich stets schlicht als Journalist. Mit Stolz?
Ich bin nicht stolz, dass ich Journalist bin. Aber ich betrachte den Beruf mit einer Hochachtung, denn er ist ein Handwerk, ein Denkhandwerk.

Und trotzdem rangieren Journalisten bei Umfragen nach dem Ansehen von Berufen weit hinter klassischen Handwerksberufen. Weshalb?
Ich weiss nicht, ob das immer so war. Aber ein Bodenleger oder ein Schreiner schafft etwas, das man anfassen kann – Parkettbeläge oder einen Tisch.

Text ist letztlich auch etwas Handfestes und geht auf das Wort Textilie, Gewebe und Geflecht zurück.
Genau. Journalisten, die ihren Beruf richtig verstehen, sind Skulpteure: Sie machen den Menschen die Welt begreifbar – nicht ein einzelner Journalist, sondern wir alle in der Summe. Und wenn wir bei begreifbar die erste Silbe weglassen, dann wird es greifbar – und wir sind wieder beim Handfesten.

Frank A. Meyer am 18. September bei der Feier zu 50 Jahre Ringier Journalistenschule.
Foto: Coda Mattia
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Als Präsident der Hans Ringier Stiftung setzen Sie sich an der Ringier Journalistenschule seit Jahren für den Nachwuchs ein und wollen das Handwerk weitergeben.
Ja, denn das ist eigentlich eine Gewerbeschule, und die Schülerinnen und Schüler sind Lehrlinge. Deshalb ist es mir auch wichtig, dass nicht mehr als die Hälfte eines Lehrgangs von Universitäten kommt. In den Klassen sollen möglichst viele Berufe zusammenkommen. Und es müssen mindestens 50 Prozent Frauen sein.

Schon in meinem Lehrgang 1993/94 erreichten wir annähernd diesen Wert. Doch lohnt es sich heute noch, den Journalistenberuf zu ergreifen? Viele Verlage – auch Ringier – bauten Stellen ab.
Mein Vater war Uhrmacher in Biel, und dort habe ich die Uhrenkrise ganz direkt miterlebt, als die Japaner in den 1970er-Jahren mit den Digitaluhren den Markt eroberten. Doch dann kam Nicolas Hayek und hat das Schweizer Handwerk gerettet – heute sind mechanische Uhren wieder hoch im Kurs.

Aber wer ist der Hayek der Medienbranche?
Das kann nicht ein Einzelner sein, da müssen alle Verlage gemeinsam anpacken. Letztlich ist die gedruckte Zeitung die mechanische Uhr.

Sie glauben an die gedruckte Zeitung?
Ich lese jeden Tag fünf bis sechs Zeitungen. Ein toller Artikel, auf einer Seite toll inszeniert, bekommt Gewicht. Die Typografie wertet ihn auf – ich bin ja gelernter Schriftsetzer und habe noch mit Bleisatz gearbeitet.

Und trotzdem schliessen Verlage – auch Ringier – Druckereien.
Das ist ein technisches Problem. Die machen zu, weil wir mit neuer Technologie immer noch genügend Kapazität haben, alles zu drucken.

Aber Sie lesen ebenso Online-Medien?
Ich brauche den Druck, aber ich verachte Online überhaupt nicht. Das wäre ja blöd. Das sind halt Entwicklungen, die so sind.

Mit welchen Folgen?
Wir wollen alles im Augenblick. Natürlich will auch ich sofort über die Flutkatastrophe informiert werden, aber danach will ich eine Denkarbeit, einen Artikel, der das einordnet. Und für den reflektierten Zugang ist der Druck unverzichtbar.

Doch online lässt sich der Erfolg eines Artikels mittels Klickzahlen bemessen.
Das ist die dümmste Form von Bewertung! Ein Medium verkauft sich schichtspezifisch: Die 5 Prozent, die es wegen des Feuilletons konsumieren, braucht es genauso wie die 30 Prozent, die People lesen, oder die 50 Prozent, die es wegen des Sports kaufen.

Jetzt haben Sie die Politik ausgelassen. Lange Jahre hatten Sie ein Zimmer im Hotel Bellevue in Bern …
… über 30 Jahre …

… und waren eine einflussreiche Person im politischen Bundeshaus – damals galt der Journalismus als vierte Macht. Ist er das noch?
Diesen Begriff habe ich immer kategorisch abgelehnt. Wir haben nach Montesquieu die drei Gewalten Legislative, Exekutive und Judikative. Und wenn der Journalismus meint, die kontrollieren zu müssen, dann hat das etwas Anmassendes.

Aber Zeitungsartikel haben Politiker früher zum Rücktritt gezwungen.
Ja, aber die Kontrolle liegt nicht bei den Medien, sondern bei den Bürgern. Journalismus gibt den Bürgern bloss die Möglichkeit, Dinge zu erkennen. In einer Demokratie muss dann das Volk die Macht ausüben.

Gehört es zur Aufgabe von uns Journalistinnen und Journalisten, für den Erhalt der Demokratie zu arbeiten?
Wissen Sie, die Demokratie ist nicht gefährdet – zumindest nicht bei uns in der Schweiz.

Vor 50 Jahren, als die Ringier Journalistenschule begann, arbeiteten Sie schon für Ringier. Wie haben Sie die Gründung erlebt?
Damals war Heinrich Oswald Direktionspräsident und Delegierter des Verwaltungsrats bei Ringier. Er war ein richtiger Citoyen, ein engagierter Bürger. Er kam vom Lebensmittelhersteller Knorr. Und ich weiss noch, wie er sagte, er verstehe nichts vom Journalismus. Er hat dann die Journalistenschule gegründet – ich glaube, ein Stück weit auch für sich selber.

Was ist die grösste Errungenschaft der Ringier Journalistenschule?
Dass es sie noch gibt.

Wird man dereinst auch 100 Jahre Ringier Journalistenschule feiern?
Wir haben das Glück, dass mit Marc Walder als CEO und Michael Ringier als Verleger zwei Journalisten an der Spitze des Konzerns sind. Was danach kommt, wissen wir nicht.

Wird KI unseren Beruf gefährden?
Jetzt gebrauche ich mal einen englischen Begriff: Das ist alles ein Hype! Dass die künstliche Intelligenz den Weltuntergang bedeutet, ist eine Kinderei. Die darf es geben, aber man muss sich ja nicht auf jede Kinderei einlassen. 

Dass sich aber immer mehr junge Menschen über Social Media und nicht mehr über klassische Medien informieren, ist eine reale Gefahr etablierter Zeitungen.
Wir erreichen doch die, die in der Gesellschaft anpacken – und damit müssen wir uns begnügen. Nein, an der Digitalisierung ist etwas anderes fatal.

Nämlich?
Dass heute jeder Journalist, jede Journalistin gebeugt und abgeschottet vor dem eigenen Laptop sitzt. Das Persönliche am Arbeitsplatz reduziert sich auf einen Kaffeebecher, den man noch nicht weggeworfen hat.

Was würden Sie ändern?
Jeder braucht einen ganz persönlichen Tisch, der seine Arbeitskultur zum Ausdruck bringt und der ein Begegnungsort mit Kollegen ist. Wir sind Menschen und gehören zu Menschen. Es geht auch darum, dass wir wieder Freude an uns bekommen. Und wir müssen diese Freude als Journalisten ausstrahlen.

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