«In unserer Alp ist permanente Wolfspräsenz vorhanden»
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Ausbildung Herdenschutzhunde:«In unserer Alp ist permanente Wolfspräsenz vorhanden»

Herdenschutzhunde und die Schafe
Sie kommen neben den Lämmern zur Welt

Sie beschützen die Schafe vor dem Wolf – wie ihre eigene Familie. Django und Dacia sind Schutzhunde in Ausbildung – ein Besuch auf dem Biohof Guggenbüel.
Publiziert: 31.08.2024 um 20:13 Uhr
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Aktualisiert: 31.08.2024 um 20:51 Uhr
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Katja RichardRedaktorin Gesellschaft

Sie sind erst neun Monate alt und schon so gross wie ausgewachsene Labradore, aber schlanker und agiler: Django und Dacia sind Patous. Die Herdenschutzhunde in Ausbildung kommen zur Begrüssung freudig mit dem Schwanz wedelnd an den Zaun gesprungen. Das tun sie nur, weil Besitzerin Sabrina Otto (43) dabei ist. «Sonst würden sie euch anbellen», sagt Otto. «Das ist ihr Job.»

Bruno Zähner und Sabrina Otto mit Django und Dacia.
Foto: Kim Niederhauser

Auf dem Biolandbau Guggenbüel in Illnau im Zürcher Oberland züchtet die ehemalige Lehrerin gemeinsam mit ihrem Partner Bruno Zähner (45) Pyrenäenberghunde, die später zum Schutz ihrer Schafe, und teils auch bei anderen Landwirten, eingesetzt werden. Zum Demeterhof gehören 250 Mutterschafe, fast alle sind derzeit mit den anderen Hunden auf der Alp Zanay/Lasa in Valens SG. Unter einem Apfelbaum suhlt sich ein Dutzend Wollschweine quietschvergnügt im Morast. Im Hofladen gibts Fleisch und Käse von den Schafen. 

Welpen wachsen mit Schafen auf

Etwas abseits vom Hof leben die beiden Junghunde mit ein paar der unten gebliebenen Schafe auf einer abgezäunten Wiese. Es ist ihr Übungsfeld, bevor sie im Frühling ihre Prüfung machen und zum Arbeiten auf die Alp gehen. Die Versuchung, durch das weiche, helle Fell der Hunde zu streicheln ist gross: Wir dürfen. Die Hunde werden doppelt sozialisiert, mit Menschen und Schafen. Zur Welt kommen die Schutzhunde darum im Stall bei den Schafen, dort steht die geschützte Wurfbox für die Welpen bereit – bei der Geburt sind sie gerade einmal so gross wie ein doppeltes Weggli und noch blind.

Bruno Zähner und Sabrina Otto bilden auf dem Hof im Guggenbüel Herdenschutzhunde aus.
Die Nähe zu den Schafen in die Wiege gelegt: Dacia als Welpe im Stall.
Foto: Zvg

«Sie tragen diesen Beschützerinstinkt seit Jahrtausenden in sich», sagt Zähner. Bei der Zucht werden sie entsprechend dieser Veranlagung aus der Linie von Arbeitshunden selektioniert. «Die eine Hälfte ist Genetik, die andere Umgebung und Ausbildung», erklärt er. Das Erste, was die munzigen Vierbeiner zu Gesicht bekommen, wenn sie nach zwei Wochen die Augen öffnen, sind Schafe und Menschen. Und zwar möglichst verschiedene, auch Kinder, Velofahrer oder Leute mit Stöcken, das ist der erste Schritt der Ausbildung. «Diese Besuche zu organisieren, ist nicht so schwierig», sagt Zähner und lacht. «Zu den kleinen Hunden kommen alle gerne.»

Das richtige Verhalten gegenüber Herdenschutzhunden
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Video erklärt:Das richtige Verhalten gegenüber Herdenschutzhunden

Wenn man zu Django und Dacia niederkniet, schmiegen sie sich freundlich an. Für Hunde, die ständig draussen bei den Schafen leben, duften sie erstaunlich gut. Es ist gar nicht so einfach, sich vorzustellen, dass diese kuschligen Schönheiten zähnefletschend einen Wolf in die Flucht schlagen. «Wir züchten keine Bestien», betont Zähner. «Es sind Arbeitshunde, die eine sehr anspruchsvolle Aufgabe erfüllen. Sie müssen nicht nur zwischen Wolf und Wanderer unterscheiden können. Sondern auch der Situation angepasst reagieren.»

Freundliche Hunde: Django und Dacia mit Blick-Redaktorin Katja Richard.
Foto: Kim Niederhauser

Der Wolf ist da

Seit diesem Sommer auf der Alp Halde bei Flums SG der Herdenschutzhund Fly schwer verletzt wurde, eskaliert der Konflikt zwischen Landwirten und Tierschützern. Der Bauernverband fordert, dass Wolfsrüden nach «massiven Angriffen» auf Nutztiere unverzüglich abgeschossen werden dürfen. Zugleich wurden Expertenstimmen laut, dass die Bisswunden von Fly nicht von einem Wolf, sondern von anderen Schutzhunden stammen könnten. Für Felix Hahn (50), Leiter der Fachstelle Herdenschutzhund Agridea, eine wahrscheinliche These, wobei sich weder die eine noch die andere beweisen liesse. «In der Regel weicht ein Wolf dem Konflikt mit einem Schutzhund aus und sucht seine Beute woanders.»

Vor 30 Jahren wurde der erste Wolf im Wallis gesichtet, 2021 bildete sich das erste Rudel, inzwischen sind es 35 Rudel. 232 Wölfe streifen laut Zählung der Stiftung Kora durchs Land, vor allem in den Kantonen Graubünden, Wallis und Tessin. Mit der steigenden Population wächst der Konflikt mit der Landwirtschaft – insbesondere in Sömmerungsgebieten, aber auch in tiefer gelegenen Weiden. Im Jahr 2023 wurden 991 Nutztiere vom Wolf gerissen. 

Hündin Esta wacht auf der Alp Zanay/Lasa in Valens SG.
Foto: Luana Rieben

Das macht gut ausgebildete Hunde wie Django und Dacia begehrt. Seit 2003 werden sie im Rahmen des Bundesprogramms zum Herdenschutz gezüchtet. Die Anzahl solcher Hunde hat sich in den letzten 20 Jahren von etwa 50 auf rund 500 verzehnfacht.

Es geht nicht ums Geldverdienen

Anfang Jahr hat der Bund überraschend mitgeteilt, dass das nationale Zuchtprogramm für Herdenschutzhunde Ende 2024 ausläuft. Wie es weitergeht, müssen Bund und Kantone gemeinsam bestimmen. Bis dahin wird die Ausbildung eines Herdenschutzhundes mit 200 Franken pro Monat bis zu seinem 15. Lebensmonat unterstützt. Futter- und Tierarztkosten werden mit einer Pauschale von 100 Franken monatlich bis ans Lebensende des Hundes gedeckt. Ein Landwirt bezahlt für einen ausgebildeten Hund 1200 Franken, der Wert ist laut Hahn weitaus höher. Möglich ist das nur mit staatlicher Unterstützung, die soll laut Hahn auch künftig gewährleistet sein.

Junghunde in Ausbildung: Sabrina Otto bringt Django und Dacia bei, bei den Schafen zu bleiben.
Foto: Kim Niederhauser

Geld verdienen, das können Bruno Zähner und Sabrina Otto mit der Aufzucht und Ausbildung ihrer Hunde ohnehin nicht. «Und darum geht es uns auch nicht», so Zähner, der schon als Bub Schafe gehütet hat. Er ist Landwirt aus Leidenschaft. Ursprünglich gelernter Zimmermann, hat er als Hobbyschäfer zunächst vier Sommer im Glarnerland auf der Alp verbracht. Seit zwölf Jahren ist das Paar auf dem Hof im Guggenbüel. Ihre Schafe übersommern zusammen mit den Herden anderer Bauern auf der Alp in Valens, insgesamt sind es 1200 Tiere. Beschützt werden sie von acht Hunden, die bei Zähner ausgebildet wurden. In den letzten Jahren kam es auf der Alp nur zu zwei Wolfsrissen, diesen Sommer zu gar keinem. 

Seine Meinung zum Wolf mag Zähner nicht äussern, er ist pragmatisch: «Der Wolf ist da, und wir müssen lernen, damit umzugehen.» Er beobachtet die Entwicklung schon länger. «Den Feuerlöscher kann man sich nicht erst besorgen, wenn es brennt», sagt er. «Und man kann nicht einfach einen Hund vor die Herde stellen, und es funktioniert, das ist komplexer, und wir haben über die letzten Jahre vieles dazugelernt.»

Der Schutzhund ist ein Alleskönner

Ursprünglich wurden Herdenschutzhunde depriviert, sprich, sie wurden nicht an den Umgang mit Menschen gewöhnt. «Das ist in der Schweiz nicht möglich», sagt Zähner. «Zum Wohle des Hundes und auch seines Umfelds.» Ein Schutzhund muss die Herde gegen mögliche Angreifer verteidigen, gleichzeitig darf er – getrennt vom ihm anvertrauten Vieh – keine Gefahr für Menschen darstellen. «Das ist immer ein Spannungsfeld», erklärt Zähner. «Abwehrverhalten bedingt eine gewisse Aggressivität, aber dieses darf der Hund nur im Beisein seiner Herde zeigen. Und ich muss mich mit den Hunden nicht nur auf der Alp, sondern auch im Tal bewegen können.»

Herdentreue: Das Wichtigste ist die Loyalität zu den Schafen.
Foto: Kim Niederhauser

Das Wichtigste ist die Herdentreue, also die Loyalität zu den Schafen. Das lernen die Hunde mit ihrem ersten Atemzug und ist Teil ihres Instinkts. Woran sich Django und Dacia gewöhnen müssen, ist, dass ihre Besitzer weggehen und sie in dieser Zeit bei der Herde bleiben. Diesen Kontaktabbruch übt Sabrina Otto auf dem Gelände, wo die beiden Junghunde rund um die Uhr mit den Schafen leben. Trainieren kann sie das, indem sie den Hunden keine Beachtung schenkt, wenn sie ihr hinterherkommen. Tatsächlich drehen sie sich schon bald wieder zu den Schafen um. Das Paar geht mit den Hunden auch spazieren, das dient ebenfalls der Sozialisierung. Allerdings nicht vom Gelände aus: «Dann packen wir sie ins Auto und fahren irgendwohin», so Otto. «Damit sie nicht auf die Idee kommen, von den Schafen wegzugehen.» 

Glaubt ein Hund, der so nahe mit Schafen aufwächst, dass er selber eines ist? Zähner winkt ab: «Ein Hund bleibt ein Hund. Aber die Schafe sind ein Teil seiner Familie, so wie wir auch.» Die Herde ist gewissermassen das Territorium, das der Hund verteidigt, egal wo sie hinzieht. In einem halben Jahr sind Django und Dacia bereit für ihre Eignungsprüfung. Dort werden ihre Führbarkeit durch den Halter und ihre Stresstoleranz getestet, zum Beispiel bei einem lauten Knall. Im Zentrum stehen jedoch ihre Herdentreue und ihre Reaktivität auf Menschen und Begleithunde, sowohl im Beisein der Herde als auch ohne Herde. Bis heute haben über 500 Hunde den eidgenössischen Eignungstest absolviert, rund 93 Prozent davon erfolgreich.

Auch er gehört zum Team: Border Collie Lu ist als Treibhund im Einsatz.
Foto: Kim Niederhauser

Wenn Django und Dacia im nächsten Frühling auf die Alp gehen, wie gross ist die Sorge, dass ihnen etwas zustösst, so wie Fly in den Flumserbergen? «Natürlich haben wir eine emotionale Bindung zu ihnen. Aber es sind Arbeitshunde, und es kann ihnen etwas passieren, sei es ein Schlangenbiss, ein Beinbruch oder Steinschlag. Das gehört dazu», so Zähner.

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