Lieblingsspeisen aus Kindertagen
Darum wecken Gerichte von früher schöne Gefühle in uns

Lieblingsgerichte aus Kindertagen lösen wohlige Gefühle aus. Inklusive vieler Erinnerungen. Wir erklären, weshalb das so ist. Und stellen euch Speisen von früher vor, die uns bis heute rühren.
Publiziert: 25.02.2023 um 17:20 Uhr
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Aktualisiert: 25.02.2023 um 17:23 Uhr

Schnuppern wir an einer Sonnencreme-Tube, beamt uns der Duft in die Kindheit zurück, plötzlich ist alles wieder da: das salzige Meer in Sardinien, der sandige Strand, die gleissende Sonne, der Federballmatch mit dem Vater. Wir wissen auf einmal vielleicht auch wieder, wie das Parfüm roch, das unsere Mutter aufgelegt hatte, wenn wir als Familie auswärts Pizza essen gingen. Bestimmte Gerüche und Düfte knipsen einen inneren Kinofilm an. Mit allen Emotionen von damals.

Proust-Effekt nennt man das. Nach dem grossen französischen Schriftsteller Marcel Proust (1871–1922). In seinem Roman «Auf der Suche nach der verlorenen Zeit» ereilt den Protagonisten eine plötzliche Erinnerung an seine Kindheit, als er ein Madeleine-Gebäck in seinen Tee tunkt. Und damit sind wir schon beim Thema: Essen. Gerichte aus Kindertagen.

Die Nase war überlebenswichtig

Wir sind der Frage nachgegangen: Woher kommt diese starke emotionale Bedeutung von Gerichten von früher? Drei Journalistinnen und Journalisten erinnern sich an ihre Lieblingsspeisen aus der Kindheit, und zwei Köche verraten das Rezept, das sie in frühere Tage zurückversetzt.

Speisen, die wir schon als Kind gern assen, lösen gute Gefühle aus.
Foto: Getty Images
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Fest steht: Ohne Geruchssinn geht in dieser Sache nichts. Er ist der Schlüssel. Unsere Nase kann rund eine Million verschiedene Gerüche wahrnehmen, die Zunge hingegen nur eine Handvoll Geschmacksrichtungen. Das ist ein Überbleibsel aus der Evolution. Der Geruchssinn stellte während der Anfänge der Menschheit sicher, dass wir uns lange an das erinnern, auf das es am meisten ankam: Essen. Mit der Nase erkannten die frühen Menschen, ob die Nahrung, die sie gejagt und gesammelt hatten, gut oder schlecht war.

Unsere Nase transportiert ihre Informationen über den Riechkolben direkt in das Gedächtniszentrum und in das Emotionszentrum. Die Folge: Essen wir, fühlen wir. Das weiss die Neurowissenschaftlerin Pamela Banta Lavenex, die an der FernUni Schweiz zur Entwicklung des Gedächtnisses forscht. Sie sagt: «Vor allem Erinnerungen mit einer hohen emotionalen Wertigkeit – positiv oder negativ – haben aufgrund ihrer Bedeutung für unser Überleben eine sehr hohe Chance, langfristig gespeichert und abgerufen zu werden.»

Bis ins hohe Alter im Hirn verknüpft: Essen und Emotionen

Kocht die Grossmutter für uns als Kind immer Tomatenspaghetti, fühlen wir uns beim Essen wohl und geborgen und legen den Geruch gemeinsam mit dieser Emotion im Hirn ab. Wenn wir dann später wieder Tomatenspaghetti riechen oder essen, ist die Erinnerung an jenen Moment von damals wieder da – und an das Gefühl. Das lernen wir schon ganz früh. Christine Brombach, Professorin an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, beschäftigt sich mit unserem Ernährungsverhalten und sagt: «Essen ist eine gesamtkörperliche Erfahrung, die wir bereits als Baby machen.» Beim Trinken in den Armen der Mutter oder des Vaters spüren wir zum ersten Mal Zugewandtheit und Geborgenheit. Wir lernen, das zu verknüpfen.

Ein Leben lang jagen wir diesem schönen, wohligen Gefühl nach. Das kann regional an ganz bestimmte Gerichte geknüpft sein: bei den Freiburgern das Vacherin-Fondue, bei den Solothurnern ein Weinsüppchen und bei den Wallisern ein Raclette. So wünschen sie sich bei den Eltern ihr Lieblingsgericht. Selber zubereiten bringt nichts, im Restaurant bestellen ebenso wenig. Sonst fühlt man es nicht. Denn dafür sollte, so Christine Brombach: «Das Gericht genauso schmecken wie damals.»

Nachfolgend besprechen wir unsere Lieblingsgerichte aus Kindertagen:

Kindheitsmenü von Redaktor Daniel Arnet: Hackbraten und Kartoffelstock mit Seeli

Hackbraten und Kartoffelstock mit Seeli.
Foto: Shutterstock

Das war mein Wunschmenü bei bevorstehenden Geburtstagen oder nach überstandenen Kinderkrankheiten. Meine Mutter widmete sich dem Gericht mit viel Liebe und feinen Zutaten – sie verwendete nie Brät, das Fleisch war stets saftig-locker. Fett verspritzte das Innere des Backofens, die Küche roch noch Stunden danach würzig.

Doch damals faszinierte mich wohl mehr das Kartoffelpüree mit der braunen Sauce in der Mitte: «Seeli» klang in meinen Kinderohren nach Bergidylle, auch wenn es farblich eher aussah wie Bauerngülle. Egal, dafür kam der elfenbeinfarbene Stocki drumrum einer schneebedeckten alpinen Gebirgskette ganz nahe. Und mit ein bisschen Gestaltungswille konnte ich dem nachhelfen.

Das ist vermutlich der entscheidende Punkt: Mit diesem Essen durfte ich bei Tisch spielen, ohne dass mich meine Eltern rügten. Mit viel Fantasie und wenig Aufwand konnte ich mit Messer und Gabel ein richtiges Drama auf den Teller zaubern: Staudamm gebrochen, Land unter! Die Sauce floss aus dem Seeli und tränkte Hackbratenstück sowie Beigemüse. Die Katastrophe fein säuberlich aufzuessen, machte richtig Spass.

Wenn ich heute in einem Restaurant mit kindlicher Vorfreude Hackbraten samt Kartoffelpüree bestelle und ich mein Wunschmenü serviert bekomme, dann drücke ich mit der Gabel genüsslich eine Seite des Damms ein – auf dass die Sauce das ganze Gericht fein feucht macht.

Kindheitsmenü von Co-Leiterin Alexandra Fitz: Riebel mit Apfelmus

Riebel mit Apfelmus.
Foto: Shutterstock

Ich war nirgends lieber zu Besuch als bei Oma und Opa. Okay, Opa zockte mich zwar beim Jassen ab, aber das machte Oma mit ihrer Küche wett. Ich schlief nirgends besser ein als bei meinen Grosseltern. Denn ich wusste: Zum Zmorga gibt es Riebel! Ein einfaches Gericht, bekannt in Vorarlberg, im St. Galler Rheintal und in Liechtenstein.

Kurz erklärt: Griess wird in Wasser und/oder Milch eingekocht. Das Ganze muss quellen und kann dann in einer Pfanne mit Butter (ja nicht zu wenig Butter!) angebraten werden. Opa tunkte den Riebel in seine grosse Tasse Kaffee. Löffel für Löffel. Ich ass ihn mit Zucker bestreut, manchmal goss ich Milch darüber. Zu Hause bei Mama gab es Riebel auch zum Zmittag. Freitags. Und zwar mit Apfelmus oder warmen Hoadla. Warmen Heidelbeeren. Die Zähne wurden dann so schön blau. Lang, sehr lang, also bis vor kurzem, traute ich mich nicht an das Gericht. Für mich sind die einfachsten Gerichte immer die schwierigsten.

Jetzt weiss ich zwar, wie man Riebel macht, und ich bereite ihn schon für die nächste Generation zu, lieber ist mir aber immer noch der von Mama. Die grösste Freude habe ich, wenn mein kleiner Sohn genüsslich mit seinen Fingern Riebelstücke in den Mund stopft. Dazwischen schiebe ich ihm Apfelmus rein. Er sagt dann nur zwei Dinge: «Mhmmmmm» und «meh!». Zum Glück kommt meine Mutter regelmässig und bringt Kiloweise Stoff. Das Gute: Gekochter Riebel hält sich ein paar Tage im Kühlschrank, morgens brät man in frisch in der Pfanne an. «Mhmmmmmm», «meh!»

Kindheitsmenü von Redaktorin Lea Ernst: Selbst gemachte Spätzli mit Rahmsauce

Selbst gemachte Spätzli mit Rahmsauce.

Am Esstisch meiner Kindheit war es ganz schön laut. Jede und jeder hatte etwas zu erzählen, es lief Musik, wir zeukelten uns gern, spielten Fangis um den Tisch herum – zum Entzücken unserer Eltern. Nur eins brachte meine Schwester, meinen Bruder und mich zuverlässig zum Verstummen: ein Berg goldgelb gebratener Spätzli. Dazu sämige Rahmsauce mit Geschnetzeltem in unserer Mitte, warmer Zwiebelduft aus der Küche. Die kollektive Vorfreude auf unser aller Lieblingsessen vereinte uns: Spätzli! Und schon wurde es in der Stube ruhig und friedlich.

Als meine Geschwister und ich aus dem gelben Elternhaus auszogen, schenkte unser Mami allen den Spätzlimacher von Betty Bossi. Gebraucht habe ich ihn in über zehn Jahren erst wenige Male: Einmal war der Teig zu dick und meine Arme zu schwach, ein zweites Mal landete die gesamte Ladung auf dem Küchenboden. Ein drittes Mal verfluchte ich mich, als ich verkatert den über Nacht steinhart gewordenen Teig aus tausend Töpfen kratzte. Eine gigantische Sauerei veranstaltete ich jedes Mal. Seit ich den Aufwand kenne, rechne ich meiner Mutter viel höher an, dass sie nach der Arbeit noch für die ganze Familie Spätzli gemacht hat. Unser Lieblingsessen. Ich sollte meine Familie ganz bald einmal dazu einladen. Abwaschen kann dann ja mein Bruder.

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