Psychologin Samson über Lachen in schwierigen Zeiten
«Humor hilft uns, schwierige Erlebnisse zu bewältigen»

Psychologin Andrea Samson erforscht, wie Witze unsere Emotionen regulieren können. Im Interview spricht die Professorin über ihre eigenen Humor-Vorlieben, ihre Arbeit mit autistischen Kindern und darüber, wie unterschiedlich wir auf Witze reagieren können.
Publiziert: 04.02.2023 um 12:49 Uhr
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Aktualisiert: 17.02.2023 um 09:39 Uhr
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Joschka SchaffnerRedaktor Politik

Blick: Frau Samson, wie humorvoll ist die Schweiz?
Andrea Samson: Nicht weniger humorvoll als andere Länder. Unter anderem mit «Tschugger» hat die Schweiz gezeigt, dass sie Humor kann. Zudem hat die Schweiz viele gute Komiker.

Humor ist aber regional sehr verschieden. Den «Tschugger»-Humor könnte man kaum in Zürich oder in der Ostschweiz reproduzieren.
Es gibt dennoch ganz viele Elemente, die universal sind. Die zugrundeliegenden Mechanismen sind dieselben.

Was ist der Kern eines Witzes?
Die Inkongruenz. Zwei Bedeutungen, die nicht übereinstimmen. Wie dies aufgelöst wird, bleibt meist ähnlich. Da gibt es keine grossen kulturellen Unterschiede. Der Inhalt des Humors kann sich aber je nach Kultur unterscheiden. Dazu spielt der soziale Kontext eine Rolle – ob der Witz bei der Arbeit, in der Schule oder unter Freunden erzählt wird.

Psychologin Andrea Samson erforscht, wie uns Humor helfen kann, schwierige Situationen zu bewältigen.
Foto: Nathalie Taiana
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Haben Sie einen Lieblingshumor?
Ich finde Gary Larson super. In letzter Zeit fand ich, wie bereits erwähnt, «Tschugger» toll. Natürlich auch aus der Perspektive der Humorforscherin.

Die Lachexpertin

Psychologin Andrea Samson (44) befasst sich in ihrer Forschung mit Humor und Emotionen. 2008 promovierte sie an der Universität Freiburg zum Thema Humor und Gehirn. Anschliessend arbeitete sie an der Stanford-Universität in Kalifornien (USA) und an der Universität Genf und hatte eine Förderungsprofessur des Schweizerischen Nationalfonds an der Universität Freiburg. Seit 2020 ist Samson ausserordentliche Professorin an der FernUni Schweiz in Brig VS sowie Leiterin des chEERS Lab. Sie lebt mit ihrer Familie in Freiburg.

Humorforscherin Andrea Samson
Nathalie Taiana

Psychologin Andrea Samson (44) befasst sich in ihrer Forschung mit Humor und Emotionen. 2008 promovierte sie an der Universität Freiburg zum Thema Humor und Gehirn. Anschliessend arbeitete sie an der Stanford-Universität in Kalifornien (USA) und an der Universität Genf und hatte eine Förderungsprofessur des Schweizerischen Nationalfonds an der Universität Freiburg. Seit 2020 ist Samson ausserordentliche Professorin an der FernUni Schweiz in Brig VS sowie Leiterin des chEERS Lab. Sie lebt mit ihrer Familie in Freiburg.

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Gibt es guten und schlechten Humor?
Schlussendlich geht es darum, wie Emotionen ausgelöst werden. Eine Emotion besitzt verschiedene Facetten. Etwa subjektive Gefühle, also Traurigkeit, Erheiterung, Scham, Verlegenheit. Diese fühlen sich für jeden Menschen anders an. Dazu kommen körperliche Reaktionen. Gewisse Emotionen lösen Herzrasen aus. Man errötet, schwitzt oder zittert. Die dritte Komponente sind sogenannte «action tendencies», also die Tendenz zu reagieren. Bei Angst sucht man eher den Rückzug, bei Wut den Angriff. Und das Letzte ist der Ausdruck der Emotion durch Lachen, Weinen oder durch die Gestik und Stimme. Je nach Kontext beurteilen wir ein Ereignis anders. Bei einem Witz denken wir als Erstes an Erheiterung. Humor kann aber auch starke Empörung und Unverständnis auslösen. Es hängt von den gesellschaftlichen Normen ab und der Rolle, die die Leute in einer Gruppe einnehmen.

Haben Sie ein Beispiel?
Etwa wenn eine hierarchisch höher gestellte Person ihrem Team einen Witz erzählt. Das Team wird lachen, auch wenn es den Witz nicht sonderlich lustig findet. Lachen ist ein Mittel im sozialen Kontext, um sich wohlgesinnt oder freundlich zu zeigen. Ein Beispiel ist auch, dass man über einen lustigen Witz weniger lacht, je nachdem, wer ihn erzählt.

Ist das etwas, das alle Menschen gleich machen?
Wir kommen mit einem reduzierten Repertoire auf die Welt. Als Babys nuckeln wir am Daumen oder lassen uns durch Singen und Wiegen beruhigen. Während der Kindheit und Jugend wächst das Repertoire an Strategien. Wir schauen etwa, was andere Familienmitglieder machen. Durch Beobachtung, Interaktionen und Reaktionen lernen wir, wie man mit Emotionen umgehen kann.

Ist das in jedem Fall positiv?
Wenn etwa Eltern ihrem Kind bloss sagen, es solle aufhören zu weinen, ermöglicht dies dem Kind unter Umständen gar nicht, die Situation richtig zu verstehen oder zu verarbeiten. Interessant ist, dass wir das Erlernen von Emotionen nur selten explizit thematisieren – auch nicht in der Schule. Strategien zur Emotionsregulation sind kein Thema. Es passiert bloss nebenbei. Dabei sind Emotionen für uns unheimlich wichtige Kompetenzen. Da gehört nicht nur Regulation dazu, sondern auch zu identifizieren, was ich weshalb fühle und wie ich damit umgehe. Was ist gut für mich und was nicht? Wenn du nur lernst, Gefühle zu unterdrücken – beispielsweise weil dir stets gesagt wurde, du sollst ruhig sein –, dann bildet sich ein höheres Risiko, Ängste und Depressionen zu entwickeln.

Wie wurden Sie zur Humorforscherin?
Mein Doktorvater Oswald Huber war in der Entscheidungsforschung, aber daneben auch Cartoonist. Er fragte mich, ob ich mich für Entscheidungsforschung oder Humor begeistern könnte. Auch wenn ich ab und an Schwierigkeiten habe, Entscheidungen zu treffen, in diesem Fall war meine Antwort klar: Humor.

Sie promovierten an der Universität Freiburg, gingen dann als Postdoktorandin in die USA. Weshalb?
In meiner Doktorarbeit habe ich mich damit auseinandergesetzt, wie wir Humor verstehen und was dabei im Gehirn passiert. Als Nächstes wollte ich Humor als Strategie zur Regulation von Emotionen untersuchen. In Stanford hatte ich das Glück, mit James Gross zusammenarbeiten zu können. Er ist eine der Koryphäen auf dem Gebiet der Emotionsregulation. Er stellte die Hypothese auf, dass Emotionen beeinflusst werden können – mit fünf verschiedene Gruppen von Strategien.

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«Emotionale Unterdrückung ist nicht per se schlecht»
Andrea Samson
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Welche?
Die erste Strategiegruppe betrifft die Auswahl des Auslösers. Als erwachsener Mensch kann ich oft selbst entscheiden, ob ich mich einer Situation exponiere oder nicht. Wir können aber auch versuchen, die Situation selbst zu beeinflussen. Manchmal muss ein Problem direkt angegangen werden, um Emotionen zu regulieren. Dann gibt es die Strategiegruppe der Ablenkung: Wenn wir uns nicht mit etwas auseinandersetzen wollen, können wir uns mit anderem beschäftigen. Auch Humor funktioniert da hervorragend. Aber die nächste Gruppe finde ich fast die spannendste: die Umbewertung. Wenn man es schafft, eine schwierige Situation aus einem anderen Blickwinkel zu sehen, kann dies für die Emotionsregulation sehr gesund sein. Die fünfte Gruppe ist die emotionale Unterdrückung. Das ist nicht per se schlecht. Oft ist es wichtig, sich im sozialen Kontext anzupassen.

Wann beispielsweise?
In einem Bewerbungsgespräch. Oder wenn mir meine Freundin plötzlich erzählt, dass sie von ihrem Freund verlassen wurde, und ich eigentlich eine tolle Nachricht zu erzählen hatte. Ein vierjähriges Kind könnte sich da etwa noch nicht zurückhalten.

Wie führen Sie Ihre Studien durch?
Um Emotionsregulation zu untersuchen, zeigen wir unseren Studienteilnehmern Bilder oder Filme, welche verschiedene Gefühle auslösen. Wir geben ihnen spezifische Instruktionen: Sie sollen das Bild bloss betrachten oder versuchen, die Situation umzudeuten. Wir konnten zeigen, dass sich Humor in gewissen Situationen effektiver zeigt als seriöse Bewertungen, um negative Emotionen zu dämpfen.

Mit Witzen bewältigt man schwierige Situationen besser?
Humor und Lachen kann uns helfen, über schwierige Situationen und Erlebnisse hinwegzukommen. Man denke etwa an Galgenhumor. Oder an Menschen, die auch in ausweglosen Situationen etwas Humorvolles finden. Das wird zwar die Situation oft nicht verändern, aber es kann helfen, anders damit umzugehen. Es bedeutet aber nicht, dass man bei jeder schwierig anmutenden Situation einen Witz reissen sollte.

Sie untersuchen in Ihrem Institut auch Emotionsregulierung und Humor bei Kindern mit Entwicklungsstörungen. Was kann daraus gelernt werden?
In meiner Zeit als Doktorandin stiess ich auf eine Publikation von Hans Asperger, der behauptete, dass Menschen mit Autismus keinen Sinn für Humor hätten. Und wenn sie es versuchen würden, sei es oft ungelenk und aggressiv. Als Humorforscherin wollte ich wissen, ob dies tatsächlich stimmt. In zahlreichen Studien mit autistischen Kindern konnten wir zeigen, dass Asperger mit seiner Annahme falschlag. Im Gegenteil: Es gibt heute zahlreiche Komikerinnen und Komiker, die sich im Autismus-Spektrum bewegen. In einem weiteren Punkt lag Asperger aber richtig: Menschen mit Autismus haben oft Schwierigkeiten, die soziale Perspektive zu übernehmen. Sie haben Mühe, gewisse Subtilität zu verstehen. Und für viele Witze ist dies wichtig.

Wie unterscheiden sich Kinder mit Autismus bei der Bewältigung von Emotionen?
Sie setzen weniger Strategien ein. Unsere Studien haben aber auch gezeigt, dass diese unter Umständen gefördert werden können – etwa durch Training mithilfe von Filmen und Cartoons.

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«Es ist wichtig, gemeinsam über Sachen zu lachen»
Andrea Samson
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Steigt mit der humoristischen Umdeutung negativer Situationen nicht die Gefahr, dass die Menschen zynischer werden?
Natürlich muss ich flexibel genug sein, um nicht in jeder Situation die gleiche Strategie einzusetzen. Eine humoristische Umbewertung eignet sich nicht immer. Aber gerade in Situationen, die ausweglos erscheinen, kann sogar zynischer Humor dienlich sein. Oder er eignet sich als subtile Form der Kritik. Wobei das natürlich auch Grenzen hat. Humor ist nicht nur ein Instrument zur Bewältigung, sondern auch ein Werkzeug des sozialen Zusammenhalts. Es ist wichtig, dass man gemeinsam über Sachen lachen kann.

Aufgrund der Pandemie stand das Leben beinahe zwei Jahre lang still, jetzt herrscht Krieg in Europa, und wir befinden uns in einer Wirtschaftskrise. Wie hilft da Humor?
Humor kann zuweilen helfen, etwas Distanz herzustellen und wenigstens für einen kurzen Moment das Absurde einer Situation zu erkennen. Gerade am Anfang der Pandemie, als man noch nicht wusste, wie sich das Leben verändern wird, war es für viele einfacher, darüber zu lachen. Für viele Menschen waren die zwei Jahre eine psychische Herausforderung. Auch heute zeigen sich noch die Nachwirkungen. Da nahm Humor eine wichtige Funktion ein, um über etwas lachen zu können, das dich eigentlich stresst und einschränkt. Alle Wunden heilt aber auch Humor nicht.

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